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König Arthur. Der Zehnkämpfer jubelte ausgelassen über die Goldmedaille bei der Leichtathletik-EM in Berlin.

© imago/Norbert Schmidt

Leichtathletik-EM in Berlin: Europameister Abele: "Was da an Emotionen hochkam, ist unbeschreiblich"

Immer wieder musste der 32-jährige Zehnkämpfer Rückschläge verkraften – bis zum Gold-Coup in Berlin.

Von Johannes Nedo

Er kämpfte dagegen an, mit aller Macht. Als Arthur Abele am Donnerstagvormittag auf der Pressekonferenz des Deutschen Leichtathletik-Verbands (DLV) nach seinen Gefühlen vom Abend zuvor gefragt wurde, atmete er tief durch: Uff. Noch einmal: Uff. Und noch einmal: Uff. Aber er brachte kein Wort heraus. Und dann beugte sich dieser scheinbar unverwundbare, vor Kraft strotzende Zehnkämpfer nach vorne und begann zu weinen.
Es dauerte ein paar Minuten, bis sich Abele gesammelt hatte. Mit rotem Kopf sagte er: „Was da an Emotionen hochkam, ist unbeschreiblich. Da fehlen einem die Worte.“

Arthur Abele ist am Mittwochabend im Berliner Olympiastadion ein großer Triumph gelungen. Der 32-Jährige ist nicht nur mit 8431 Punkten Europameister im Zehnkampf geworden, er hat nicht nur die erste deutsche Goldmedaille bei der Leichtathletik-EM gewonnen – er hat vor allem nach zahllosen verletzungsbedingten Rückschlägen gezeigt, dass es sich gelohnt hat, nicht aufzugeben und immer weiterzumachen. „Arthur ist ein Phänomen. Es ist außergewöhnlich, wie er immer zurückkommt“, sagt der DLV-Sportdirektor Idriss Gonschinska.

Dabei begann seine Karriere überaus rasant. Schon im Alter von 21 Jahren wurde er bei der WM 2007 in Osaka Neunter. Auch ein Jahr später bei den Olympischen Spielen in Peking war er dabei, musste aber wegen einer Verletzung aufgeben. Und von da an warf ihn eine Verletzung nach der anderen aus der Bahn. Fast fünf Jahre musste er pausieren. Erst 2013 ging es für den Ulmer wieder voran. Doch eine Medaille konnte er danach auch nicht gewinnen.

Sein großes Ziel war deshalb die Heim-EM in Berlin – allerdings schien auch dieser Traum Anfang des Jahres zu platzen. „Im Februar hatte ich die Saison eigentlich abgehakt“, sagte Abele. Natürlich wieder wegen eines gesundheitlichen Rückschlags: einer Gesichtslähmung. Eine Mandelentzündung, mit der ihn sein zweijähriger Sohn angesteckt hatte, wanderte bei Abele über Kiefer und Ohr und setzte seinen Gesichtsnerv außer Gefecht. Er dachte zunächst, er hätte einen Schlaganfall. Doch auch davon berappelte er sich wieder, ebenfalls von Achillessehnenproblemen, die danach auftraten.

Dass er sich trotz all der Schwierigkeiten zurückkämpfte und am Dienstag und Mittwoch eine überragende Leistung abrief, führt Abele auf zwei Punkte zurück. Erstens: seine mentale Stärke. „Wenn man all das in Ruhe analysiert und merkt, welche Fehler man gemacht hat, weiß man damit umzugehen“, sagte er. Und zweitens: „Ich habe 20 Jahre Zehnkampf trainiert, meine Muskeln haben soviel abgespeichert, dass ich mich in viele Sachen nicht mehr einarbeiten muss.“ Weil er in Verletzungsphasen außerdem stets seine Schwächen trainiere, habe er eine „unfassbar gute Grundlagenausdauer“, sagte Abele.

Zu dem perfekten Wettkampfverlauf kam am Mittwochabend für ihn hinzu: Bereits nach dem Speerwerfen, der vorletzten Disziplin, wusste er, dass ihm der Sieg im abschließenden 1500-Meter- Lauf nicht mehr zu nehmen ist. „Da hätten mir die Konkurrenten schon die Füße weghauen müssen“, erzählte er. So konnte Abele die letzten Runden im Stadion absolut genießen – und sogar noch versuchen, seinem Teamkollegen Niklas Kaul zur Bronzemedaille zu verhelfen. „Ich wollte ihn mitziehen und anpeitschen“, sagte Abele. Der 20 Jahre alte Kaul wurde am Ende knapp Vierter. Nur 70 Punkte lag er hinter dem drittplatzierten Weißrussen Vitali Schuk (8290 Punkte) und 101 Punkte hinter dem Zweiten Ilja Schkurenjow, dem Russen, der unter neutraler Flagge startet.

Abele verabschiedet sich nun mit seiner Familie in den Urlaub. Komplett abzuschalten dürfte ihm dann aber schwer fallen. Als er am Donnerstagmorgen auf sein Smartphone schaute, blinkten 285 ungelesene Nachrichten auf – und es kamen sicher noch einige dazu. Es wird also eine Weile dauern, bis er alles in Ruhe verarbeitet hat. Aber das stört Abele gar nicht. Er hat Lust auf mehr. Bis Olympia 2020 in Tokio will er auf jeden Fall weitermachen.

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