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© AFP

Leichtathletik: Coach hinter Gittern

Anweisungen gibt's per Telefon: Der US-amerikanische Sprintstar Tyson Gay wird von einem Häftling trainiert.

Jedes Mal, wenn ein großes Leichtathletik-Meeting bevorsteht, werden die täglichen Telefongespräche zwischen Kim Brauman und ihrem Ehemann Lance kürzer und kürzer. „Er fragt mich, ob alles okay ist, sagt unserer Tochter Gute Nacht, und das ist es dann auch.“ Die restlichen Telefonminuten von den 300, die Brauman laut Gefängnisordnung in der Besserungsanstalt in Texarkana im US-Bundesstaat Texas pro Monat zustehen, verwendet er für die Betreuung seiner anderen Familie, jener mit den schnellen Beinen. Bevor er im November vergangenen Jahres seine 366-tägige Haftstrafe antrat, rief er sie zusammen in seinem Haus in Fayetteville in Arkansas. Tyson Gay, Wallace Spearmon und Veronica Campbell drückte er dicht beschriebene Notizbücher in die Hände, die Trainingspläne für die nächsten zwölf Monate. „Es war ein sehr emotionaler Moment“, erinnert sich Gay, „er hat ein bisschen geweint.“ Und sarkastische Witze gemacht.

Gay, 24 Jahre alt und die nächste große Sprinthoffnung der US-Leichtathletik, ist kein Mann der großen Worte. Wenn das Gespräch auf seinen Trainer kommt, wird er noch einsilbiger als sonst: „Die Situation ist wie sie ist. In ein paar Monaten ist er wieder draußen.“ Bis dahin muss Gay sich alleine durchschlagen, was ihm scheinbar mühelos gelingt. Bei den US-Leichtathletik-Meisterschaften in Indianapolis stürmte er am Freitagabend in 9,84 Sekunden zum ungefährdeten Sieg über die 100-Meter-Distanz. Am Schlusstag sprintete er über 200 Meter in 19,62 Sekunden zu seinem zweiten Titel. Es war die zweitschnellste je gelaufene Zeit.

Gays Sprintzeit über die 100 Meter ist nicht nur die schnellste des Jahres, sondern auch dicht dran am Weltrekord von 9,77 Sekunden, gehalten von dem Jamaikaner Asafa Powell. Gay hatte die Bestmarke bereits Anfang Juni in New York um eine Hundertstelsekunde unterboten, doch zu starker Rückenwind verhinderte damals die Anerkennung. In Indianapolis kam der Wind von vorne. „Die Bedingungen waren nicht die besten“, sagte Gay hernach, „ich hatte gehofft, den Weltrekord zu unterbieten. Mein Körper fühlt sich so gut an wie seit langem nicht mehr.“ So aber bleibt ihm nur die Genugtuung, dass er mit der schnellsten Zeit in die Geschichtsbücher eingeht, die jemals ein Amerikaner auf amerikanischem Boden rannte. Gay war übrigens Titelverteidiger, obwohl er im Vorjahr die Ziellinie hinter Justin Gatlin überquert hatte. Dessen Sieg jedoch wurde gestrichen, weil Gatlin positiv auf Doping getestet worden war.

Das Reizwort Doping fällt oft im Zusammenhang mit Gay, wie bei jedem, der sich anstellt, Rekorde zu brechen, die in der Ära der jüngsten Skandale aufgestellt wurden. Der junge Mann aus Lexington, Kentucky, sagt dazu nur: „Ich kann die Leute nicht davon abhalten zu glauben, was sie glauben wollen. Es liegt immer am Athleten selbst, sauber zu bleiben.“ Immerhin kann er darauf verweisen, nicht im Umfeld des inzwischen ausgehobenen Doping-Labors Balco groß geworden zu sein. Oder sich mit zweifelhaften Trainern mit Dopingruf umgeben zu haben, wie die inzwischen von der Bildfläche verschwundene Marion Jones. Lance Brauman sitzt hinter Gittern, weil er in einem anderen System von Sportbetrug und Vertuschung mitmischte.

Es ging darum, auf illegalem Wege die strengen Regeln des Collegesports zu hintergehen und Sportlern mit Tricks ein Einkommen und so gute Noten zu verschaffen, dass sie durch die Prüfungen kommen und Stipendien erhalten. Am Barton County Community College in Kansas, an dem Brauman lehrte und Gay lernte, gab es seit den Siebzigerjahren ein System, das talentierten Sportlern Geld und gute Noten besorgte, ohne dass sie dafür etwas tun mussten. Als der Schwindel im vergangenen Jahr aufflog, war Brauman der einzige von sieben Angeklagten, der sich nicht schuldig bekannte – und ins Gefängnis musste, statt wie alle anderen mit einer Bewährungsstrafe davonzukommen.

Nun dient er als Wachmann für die dem Gefängnis angeschlossene Schule und muss sich in eine Liste eintragen, wenn er wie am Freitag die Läufe seiner Schützlinge im Fernsehen sehen will. Die Fernbetreuung scheint trotzdem zu funktionieren, neben Gay entwickeln sich auch Spearmon und Campbell prächtig. Theoretisch muss Brauman noch bis zum 27. September hinter Gittern bleiben. Es sei denn, er wird wegen guter Führung vorzeitig entlassen. Das wäre von Vorteil, denn Ende August beginnen die Leichtathletik-Weltmeisterschaften in Osaka – und dafür sind 300 Telefonminuten nun wirklich viel zu kurz.

Matthias Krause[New York]

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