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Duell im Heimatrevier. Emirates Team New Zealand (links) segelt gegen American Magic am dritten Tag der Prada America's Cup World Series in Auckland.

© AFP

Langsam wird's ernst beim America's Cup: Die Männer in den fliegenden Kisten

Neue Boote, neue Technik, neuer Superlativ: Beim ersten Kräftemessen der vier America's-Cup-Teams in der Bucht von Auckland gewinnt der heimische Verteidiger.

Man könnte auf den Gedanken kommen, die Neuseeländer hätten die Corona-Epidemie in ihrem Land nur deshalb so schnell bewältigt, um ihre Cup-Verteidigung nicht zu gefährden. Drei Monate vor dem Duell mit einem der drei Herausforderer und nur wenige Wochen vor deren internen Ausscheidungsregatten konnten die Menschen die Generalprobe zu dem Segelspektakel mehr oder weniger uneingeschränkt verfolgen. So trafen sich die vier Kontrahenten erstmals unter Wettkampfbedingungen in der Bucht, in der spätestens am 21. März die Entscheidung fallen soll. Die Bucht von Auckland, der City of Sails, wie die Hauptstadt im Norden Neuseelands genannt wird. Für vier Tage wurde sie zur Arena mit tausenden Zuschauern, die die Verteidigung des 2017 vom amerikanischen Oracle-Team gewonnenen America`s Cup zu einer nationalen Angelegenheit machen sollen.

Die Kiwis haben auch nur diese eine Möglichkeit, sich mit anderen Mannschaften unter realen Bedingungen zu messen. Nach der kleinen Rennserie, die als World Series deklariert ist, aber im Corona-Jahr an anderen Orten nicht ausgetragen werden konnte, sind die Verteidiger der Silberkanne wieder auf sich allein gestellt, während sich das italienische Luna-Rossa-Team, American Magic vom früheren Cup-Wächter New York Yacht Club sowie Ineos aus Großbritannien im direkten Vergleich ständig verbessern werden.

Peter Burling ähnelt als Steuermann des Cup-Verteidigers Emirates Team New Zealand mehr einem Jetpiloten als einem Segelsportler.
Peter Burling ähnelt als Steuermann des Cup-Verteidigers Emirates Team New Zealand mehr einem Jetpiloten als einem Segelsportler.

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Besonders große Angst davor brauchen die Segler um Steuermann Peter Burling und Skipper Glenn Ashby aber wohl nicht zu haben. Wie immer, wenn mit einem neuen Cup-Verteidiger auch neue Regeln und technologische Quantensprünge ersonnen werden, spielt die komplizierte Ausgangslage der heimischen Mannschaft in die Karten. Weil niemand das technisch unausgereifte Sportgerät perfekt beherrscht, zählt am Ende die Summe der Fehler, was defensives Verhalten automatisch belohnt.

Wie groß der Schritt im Segeln ist, den die neue Generation der AC75-Boote vollzieht, ist an den Kommentatoren dieser Premiere zu erkennen. Obwohl mit Ken Read und Nathan Outteridge extrem erfahrene Insider dieses Sports das Geschehen auf dem Wasser für die Zuschauer am Youtube-Stream zu erklären versuchen, gestehen sie oft, keinen Schimmer von den Abläufen und Kräften zu haben, die an Bord koordiniert werden müssen. Diese Einrümpfer mit einer Länge von 20,70 Metern segeln auf schwenkbaren Foils, die ihre 7,8 Tonnen Gewicht aus dem Wasser heben und sie auf ein Tempo von 35 bis 38 Knoten bringen. Zuweilen segeln sie mit der vierfachen Windgeschwindigkeit.

Luna Rossa Prada Pirelli im Duell mit Ineos Team UK (vorne).
Luna Rossa Prada Pirelli im Duell mit Ineos Team UK (vorne).

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Seit die ersten dieser AC 75 im Jahr 2019 zu Wasser gelassen und getestet wurden, haben sämtliche Teams nun ihre modifizierte Wettkampfversion in Betrieb genommen. Sie unterscheidet sich von dem jeweiligen Prototyp dadurch, dass sich die Designs deutlich angenähert haben. So verfügen nun alle Boote über so genannte Bustles, die einem altertümlichen Kiel ähneln, allerdings mangels Ballast eine andere Aufgabe übernehmen. Sie sollen es dem Rumpf erleichtern, sich in der Übergangsphase aus dem Wasser zu heben, indem sie zusätzlichen Auftrieb erzeugen.

Ansonsten fällt auf, dass die Neuseeländer ihre zehnköpfige Crew zu beiden Seiten des extrem flachen Decks in einem geschlossenen Schlauch verschwinden lassen, während die Konkurrenz in offenen Gräben hockt und dem Fahrtwind ungeschützter ausgesetzt ist. Nur die Italiener verzichten darauf, den Steuermann nach einer Wende oder Halse auf die jeweils dem Wind zugewandte Seite wechseln zu lassen, was nicht ganz einfach ist bei dem bis aufs Deck heruntergezogenen Großsegel, um das man herumlaufen muss wie um die Ecke eines Hochhauses. Sie beschäftigen zwei Steuerleute, die einander abwechseln, je nachdem auf welchem Bug gerade gesegelt wird. Neben Francesco Bruni ist Jimmy Spithill in der ansonsten nur aus Italienern bestehenden Mannschaft.

Spithill hat als Steuermann des Oracle-Teams den Cup zuletzt verloren, ein Schicksal, das der Australier mit Dean Barker teilt, dem Neuseeländer, der nach dem Verlust des Cups 2003 drei Versuche für seine Heimat unternehmen sollte, ihn zurückzuholen. Als er im Duell mit Spithill in der Bucht von San Francisco 2013 nur noch einen Sieg vom großen Triumph entfernt war, schaffte es der sechs Jahre jüngere Spithill, ihm acht Matchpoints hintereinander abzujagen. Barker verließ das neuseeländische Team daraufhin und verdingt sich seither als Gladiator.

Es sind also alte Bekannte, die sich auch auf dieser Generation von America's Cuppern wieder begegnen. Der Vierte im Bunde ist der Brite Ben Ainslie, der sich nach seinem vierten Olympia-Gold dem Oracle-Team angeschlossen und als Einflüsterer Spithills bei dessen "Comeback des Jahrhunderts" fungiert hatte.

Tragischer Verräter? Der 47-jährige Neuseeländer Dean Barker könnte mit American Magic zum größten Widersacher seiner Landsleute werden. Falls er den Cup gewinnen sollte, würde sich ein neuseeländisches Trauma wiederholen.
Tragischer Verräter? Der 47-jährige Neuseeländer Dean Barker könnte mit American Magic zum größten Widersacher seiner Landsleute werden. Falls er den Cup gewinnen sollte, würde sich ein neuseeländisches Trauma wiederholen.

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Mit Ineos versucht Ainslie schon zum zweiten Mal, selbst nach dem Cup zu greifen. Doch zeigen die Rennen in Auckland, dass die Briten weit von dem Punkt entfernt sind, als konkurrenzfähig zu gelten. "Ich hatte schon bessere Tage", sagt ein sichtlich frustrierter Ainslie nach dem ersten Wettkampftag der Serie, an dem der Foil-Mechanismus und diverse Software-Probleme immer wieder zu verheerenden Aussetzern führten.

Bei den hohen Geschwindigkeiten dieser Boote machen sich schon minimale Unstimmigkeiten in der Segelkonfiguration deutlich bemerkbar. Der Gegner enteilt sofort uneinholbar. Und aus einem Hochgeschwindigkeitsspektakel wird ein dröges Schauspiel technischer Extravaganz. Denn eigentlich ist es gleichgültig, wie schnell Segelboote vorankommen, solange sie einander nur in die Quere kommen und es darauf ankommt, als Mannschaft jeweils das Richtige zu tun.

Am zweiten Tag lief es für die Briten besser, doch konnten sie abermals kein einziges Rennen gewinnen. Es ist beinahe schwerzhaft zu sehen, wie schwer die die ambitionierten Briten tun. Der Abstand zu den zwei anderen Herausforderern ist so kurz vor der Kür des einen Teams, das sich mit Neuseeland messen darf, zu groß, um nicht eine bleibende Verunsicherung zu hinterlassen. Selbst an einem hartgesottenen Kämpfer wie Ainslie dürfte die eigene Chancenlosigkeit Spuren hinterlassen haben.

Es reicht noch nicht. Ben Ainslie weiß um den Rückstand seines britischen Ineos-Teams und macht bei bei der Pressekonferenz des dritten Renntages keinen Hehl daraus.
Es reicht noch nicht. Ben Ainslie weiß um den Rückstand seines britischen Ineos-Teams und macht bei bei der Pressekonferenz des dritten Renntages keinen Hehl daraus.

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Dabei zeigten er und Jimmy Spithill gelegentlich, wie aggressiv die Boote mit unbeschreiblich hohem Tempo in Duellsituationen hineinmanövriert werden können. Vor allem in der Vorstartphase versuchten sie, ihre Gegner durch geschickt gesetzte Attacken von den Foils zu holen. Denn wenn ein AC 75 aufs Wasser fällt, hat er Mühe sich aus dem Element wieder zu erheben. Die Speed-Differenz zum Flugmodus' der Foils beträgt 20 Knoten.

So entwickelt sich am Abschlusstag ein mühsames Ringen sämtlicher Crews, die Racer ihrer eigentlichen Bestimmung zuzuführen, als die ohnehin schwachen Winde gegen Abend weiter nachlassen. American Magic hat keine Probleme, sich bei diesen tückischen Bedingungen gegen die Briten durchzusetzen. Das Team des New York Yacht Club, des jahrzehntelangen Hüters des America's Cup, erweist sich mit seiner schwarz-glitzernden "Patriot" in guter Form. Beim anschließenden Prestigeduell zwischen Luna Rossa und Emirates zeigt Peter Burling vor allem in der Vorstartphase unerklärliche Schwächen und kann, weil er sich an der Startlinie verschätzt von Spithill ausgekontert werden. Der Rückstand ist sofort beträchtlich und er wächst weiter, als Burling an der ersten Wendemarke das Boot nicht auf den Foils halten kann. Auf 700 Meter schwillt er an. Da geraten plötzlich auch die Italiener in ein Luftloch. Beide Boote steuern absurde Kurse, um mehr Druck in die Segel zu kriegen. Es ist weniger ein Kampf gegen den Anderen in diesem Moment als einer mit den technischen Voraussetzungen der Flugmaschinen.

Die Italiener hatten als Herausforderer auf Einrumpfbooten bestanden. Die Neuseeländer wollten Foils. So kamen fliegende Flundern dabei heraus, bei denen kleine Fehler riesige Auswirkungen haben.
Die Italiener hatten als Herausforderer auf Einrumpfbooten bestanden. Die Neuseeländer wollten Foils. So kamen fliegende Flundern dabei heraus, bei denen kleine Fehler riesige Auswirkungen haben.

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Emirates schafft es vor Luna Rossa, sich wieder aufzurichten, um am Ende mit 16 Sekunden Vorsprung zu gewinnen.

Was einem das mit Blick auf den bevorstehenden Cup sagt? Selbst die Besten machen Fehler. Die Cup-Verteidiger haben vielleicht das am weitesten entwickelte Gefährt, aber einen Steuermann, der mehr Zweikämpfe bräuchte. Genau die wird er nicht mehr bekommen. Sein möglicher Gegner wird er jetzt auf die Probe gestellt.

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