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Sein letzter Auftritt als Bayern-Trainer. Carlo Ancelotti beim 0:3 des Rekordmeisters aus München. Weniger als 20 Stunden nach dem Spiel in Paris wurde ihm vom Klub dann mitgeteilt, dass er gehen muss.

© Charles Platiau/Reuters

Krise beim FC Bayern München: Der logische Lauf der Dinge

Vor der Saison feierte sich der FC Bayern für seinen Weitblick bei Transfers. Nun sucht der Deutsche Meister einen Nachfolger für den entlassenen Trainer Carlo Ancelotti.

Die offizielle Verkündung erfolgte um 15:53 Uhr. 16 Zeilen unter der Überschrift „FC Bayern trennt sich von Carlo Ancelotti“. Verwaltungsprosa, wie sie üblich ist bei Trainerentlassungen, mit Sätzen wie: „Die Leistungen unserer Mannschaft seit Saisonbeginn entsprachen nicht den Erwartungen, die wir an sie stellen“. Dazu ein bisschen Herzwärme vom Vorstandsvorsitzenden Karl-Heinz Rummenigge: „Carlo ist mein Freund und wird es bleiben, aber wir mussten hier eine professionelle Entscheidung im Sinne des FC Bayern treffen.“

Am Sonntag, beim Gastspiel im Berliner Olympiastadion gegen Hertha BSC, wird Ancelottis bisheriger Assistent Willy Sagnol die Kommandos geben. Als neuer Trainer wird mit Sicherheit Julian Nagelsmann gehandelt werden. Doch den Hoffenheimer werden die Bayern aktuell nicht bekommen. Anders als möglicherweise Thomas Tuchel. Ein fachlich hoch angesehener Fußballlehrer, aber ein in der Menschenführung nicht ganz unumstrittener Quergeist, der im Mai trotz Platz drei in der Bundesliga und des Sieges im DFB-Pokal bei Borussia Dortmund beurlaubt wurde.

Von Paris vorgeführt

Über Tuchel mochte am Donnerstag niemand öffentlich reden, dafür ging es umso intensiver um Ancelotti. Ganz so überraschend kam seine Freistellung nicht. Von Anfang an hatte man das Gefühl, dass das nicht so recht zusammenpasst. Nach zuletzt bescheidenen Auftritten in der Bundesliga und der Demütigung am Mittwoch in der Champions League wurde dieses Gefühl zur Gewissheit. Die Stimmung beim Bankett nach der 0:3-Niederlage bei Paris Saint-Germain passte zum Herbstanfang. Spät in der Nacht nippte Uli Hoeneß an seinem Glas, irgendwie musste er ja den Ärger hinunterspülen. Carlo Ancelotti saß ebenfalls am Tisch des Klub-Präsidenten, aber der Genussmensch aus Italien trank erst einmal nichts. Die Niederlage war erst ein paar Stunden alt und Ancelotti ahnte, dass dies keine schöne Nacht werden würde.

Die Bayern sind am Mittwochabend in der Champions League vorgeführt worden. Von einem Klub, den sie eigentlich gar nicht als satisfaktionsfähig betrachten, weil er seine Erfolge ausschließlich dem aus der Wüste herbeigekarrten Geld verdankt. Ja, da ist nichts organisch gewachsen rund um den Prinzenpark, aber es reicht für Fußball auf einem Niveau, an das die Bayern nicht mehr herankommen. Edinson Cavani, Kylian Mbappé und Neymar, das mit viel Geld akquirierte Angriffstrio aus Uruguay, Frankreich und Brasilien, spielte der Münchner Abwehr Knoten in die Füße und Karl-Heinz Rummenigge Schlaufen in den Kopf. In einer seiner gefürchteten Bankettreden sprach er von einer bitteren Niederlage, „über die es zu reden gilt, die zu analysieren ist und aus der wir in Klartextform Konsequenzen ziehen müssen“. Das mit den Konsequenzen in Klartextform klang unfreiwillig lustig, aber Ancelotti hat nicht gelacht. Er wusste, wie das mit den Konsequenzen gemeint war und dass seine Tage gezählt waren. Ein halber blieb ihm noch.

Was und wer kommt nach Ancelotti?

Am Donnerstag checkten Rummenigge und Hoeneß schon vormittags für den Rückflug nach München ein. Als die Mannschaft am Nachmittag folgte, war die Trennung beschlossene Sache. Einen Trainer zu entlassen ist vielleicht ein zwischenmenschliches Problem, ganz gewiss kein finanzielles, dafür haben die Bayern das von Uli Hoeneß oft genug angeführte Festgeldkonto. Aber was und wer kommt danach? Es gibt nicht so viele Trainer, die den Ansprüchen der Bayern genügen und sofort verfügbar sind. Thomas Tuchel stünde bereit, aber er ist vom Wesen her nicht unkomplizierter geworden als in jenen Tagen, als er schon mal als Bayern-Trainer gehandelt wurde. In Dortmund hat er, trotz aller Erfolge, nicht viele Freunde zurückgelassen.

Wenn es nach Guardiola gegangen wäre, hätte Tuchel sich den Umweg über den BVB gespart. Die beiden verbindet eine Art Nerd-Komplizenschaft. Es gibt da eine Geschichte aus dem Frühjahr 2015. Tuchel gönnte sich gerade ein einjähriges Sabbatical und folgte einer Einladung des Münchner Kollegen in Schumanns Bar am Hofgarten. Die beiden machten, was zwei Fußballverrückte im besten Restaurant der Stadt eben so machen. Sie funktionierten den Tisch kurzerhand zu einem virtuellen Fußballplatz um, mit Salz- und Pfefferstreuern als Verteidiger und Stürmer. Mit kindlicher Begeisterung spielten die beiden Schlachten der Fußballgeschichte nach, über Details schweigen sie sich bis heute aus. Pep Guardiola wurde jedoch ziemlich bald darauf beim Vorstand vorstellig und empfahl Thomas Tuchel wärmstens für den Fall, dass er München einmal verlassen würde.

Die Bayern aber scheuten das Risiko mit dem jungen und als schwierig verschrienen Mann und kaprizierten sich auf einen großen Namen. Carlo Ancelotti hat dreimal die Champions League und Titel in allen großen Ligen gewonnen. Aber anders als das von geometrischen Figuren auf dem Platz besessene Genie Pep Guardiola legt er den Schwerpunkt seiner Arbeit nicht auf taktische Feinheiten. Ancelotti ist ein Moderator. Einer, der die Stimmungsschwankungen in der Kabine ausgleicht, der die Interessen und Egos der kickenden Millionäre kanalisiert, alles zum Wohl des gemeinsamen Erfolges. Cristiano Ronaldo und Zlatan Ibrahimovic schwärmen noch heute von Ancelotti wie sonst nur von sich selbst.

Wo immer er gearbeitet hat, in Madrid oder Mailand, London oder Paris, hatte er die Mannschaft hinter sich. Ist das in München auch noch so? Am Mittwoch hat er in Paris nicht nur seine Abwehrchefs Mats Hummels und Jerome Boateng draußen gelassen. Sondern auch die Flügelstürmer Franck Ribéry und Arjen Robben, zwei Individualisten, die der Pariser Spielfreude ein Müncher Äquivalent hätten entgegensetzen können. Ancelottis Plan war es wohl, das Zentrum zu stärken, um Neymar, Mbappé und Cavani keinen Raum zu schnellen Gegenstößen zu bieten. Das hat nicht ganz geklappt. Die Bayern erfreuten sich zwar ausufernden Ballbesitzes, aber in den entscheidenden Phasen wurden sie von PSG über den Platz gejagt wie zuletzt im Frühling 2015, beim 0:4 daheim gegen Real Madrid, damals noch unter Pep Guardiola. Der Deutsche Meister verströmte im Prinzenpark die Aura eines untergehenden Empires, stolz und ohne Möglichkeit, den logischen Lauf der Dinge aufzuhalten. Eine Mannschaft von gestern, überfordert von der Gegenwart.

Ancelotti mit Trotz

Ancelotti sprach von einer „ausschließlich taktischen Entscheidung“. Es sei für ihn „die beste Aufstellung“ gewesen, betonte er fast trotzig. Aber er schwächte damit nicht nur die teaminterne Hierarchie, die nach den Rücktritten von Philipp Lahm und Xabi Alonso ohnehin nicht mehr stabil ist, sondern damit auch seine eigene Stellung. In der Mannschaft und bei den Herren Hoeneß und Rummenigge, die sich beide eher selten einig sind, in diesem Fall aber schon.

Franck Ribéry und Arjen Robben stehen für Esprit, Tempo und Überraschungen, für alles, was den Bayern am Mittwoch fehlte. Und für den internationalen Glanz der Bayern, für die große Zeit in einer gar nicht so fernen Vergangenheit. Für die Jahre 2010 bis 2013, als die Münchner dreimal im Finale der Champions League standen und es einmal auch gewannen, aus eigener Wirtschaftskraft und ohne Geld aus Arabien oder Russland. Doch der Fußball hat sich geändert. Da kann Uli Hoeneß noch so trotzig Bewunderung einfordern für die Grundsatzentscheidung, den Wahnsinn mit den Hundert-Millionen-Euro-Transfers nicht mitzumachen. Damit hätte er im Bundestagswahlkampf für Martin Schulz und dessen Konzept von sozialer Gerechtigkeit auftreten können, aber auch diesem Unternehmen war ja nicht besonders viel Erfolg beschieden. Im Fußball ist der Wahnsinn längst systemimmanent und deswegen der Normalfall für Klubs, die mehr wollen als ein Plätzchen in den Play-offs der Champions League. Kein Weltstar geht nach München, weil er sich dort am Anblick der Alpen erfreut oder an den vielen schönen Pokalen im Trophäensaal an der Säbener Straße.

Die Spieler hielten sich öffentlich mit Kritik zurück

Die Bundesliga vermarktet sich gern als Liga des Weltmeisters, aber wer wird schon ernsthaft behaupten, dass sie auch die beste der Welt ist? In den Champions-League-Spielen dieser Woche waren alle drei deutschen Klubs ohne jede Siegchance. Borussia Dortmund wurde von Real Madrid vorgeführt, RB Leipzig von Besiktas Istanbul, der FC Bayern von PSG. Natürlich schieße Geld keine Tore sagt der Münchner Nationalspieler Mats Hummels. „Aber Geld kauft Spieler, die viele Tore schießen.“ Die aus Katar alimentierten Franzosen haben in diesem Sommer gut 400 Millionen Euro Ablösesumme in die Transfers von Mbappé und Neymar gesteckt, am Mittwoch waren sie an allen Toren beteiligt.

Die Bayern feierten sich für ihren Weitblick und die Verpflichtung des ablösefreien Hoffenheimers Sebastian Rudy. Ihre höchste Investition belief sich auf 41,5 Millionen Euro Ablöse für Corentin Tolisso, einen 22-jährigen Franzosen, bei Olympique Lyon im Mittelfeld im Niemandsland der französischen Ligue 1 bewährt. Dazu kam eine Leihgebühr von 13 Millionen Euro für James Rodriguez. Der Kolumbianer war Ancelottis Wunschspieler, man kennt sich aus gemeinsamen Zeiten in Madrid, wo James zuletzt nicht mal mehr einen Stammplatz auf der Ersatzbank hatte. Als er vor zehn Tagen beim 3:0 auf Schalke sein erstes Tor für die Bayern schoss, feierte sein Trainer an der Seitenlinie so ausgelassen, wie es selten zu sehen war in der 15 Monate währenden Regentschaft des Italieners beim FC Bayern.

Aber Schalke ist Bundesliga und ein ganz anderes Niveau als die Champions League. In Paris schlich James am Mittwoch unauffällig über den Platz, bis ihn Ancelotti nach der ersten Halbzeit endlich erlöste. Der Innenverteidiger Süle war mit dem Tempospiel ebenso überfordert wie der Mittelfeldmann Tolisso, der zur zweiten Halbzeit Platz machte für Rudy, ohne dass damit ein Zugewinn an Esprit erfolgt wäre. Boateng saß auf der Tribüne, Ribéry und Hummels verharrten 90 Minuten lang auf der Ersatzbank. Robben kam zwanzig Minuten vor Schluss, als das Spiel längst gelaufen war.

Öffentlich hielten sich die Spieler zurück. „Ich werde dazu nichts sagen“, ließ Robben wissen. „Das Wichtigste ist, dass wir als Mannschaft zusammenhalten. Aber wenn sich unzufriedene Spieler äußern, hilft das der Mannschaft nicht.“ Hummels und Ribéry verschwanden schweigend. Allerdings gab es genügend Andeutungen und Formulierungen, die die Interpretation zulassen, dass einiges im Argen lag. Er werde jetzt nicht über Taktik reden, sagte Robben auf die Frage nach einem nicht zu erkennenden System. „Es war nicht zu übersehen, dass sich etwas ändern muss“, sprach Joshua Kimmich.

Es hat sich etwas geändert. Verkündet am Donnerstag um 15:53 Uhr, 16 Zeilen unter der Überschrift „FC Bayern trennt sich von Carlo Ancelotti“.

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