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Strike. Bei einem sich Weltmeisterschaft nennenden E-Sport-Event in Kattowitz.

© Grzegorz Celejewski/ REUTERS

Kontroverse um Anerkennung: Warum E-Sport nicht politisch gefördert werden sollte

Für E-Sport wird selbst im Koalitionsvertrag eine olympische Perspektive gefordert. Warum eigentlich? E-Sport ist doch der Aufzug und Sport die Treppe. Eine Kolumne.

Eine Kolumne von Werner van Bebber

Okay, das schöne Wort vom gesunden Geist, der in einem gesunden Körper wohnt, ist so angeblich nie gefallen. „Mens sana in corpore sano“ gehört dem berühmten Internetlexikon zufolge zu den Sprüchen, die aus ihrem Zusammenhang gerissen wurden und ganz anders gemeint waren. Und doch haben die meisten Menschen nach zwei Stunden Bewegung in frischer Luft eine Ahnung, was mit dem Spruch gemeint sein könnte: dass Bewegung gut tut.

Die schlichte Erkenntnis ist in der Diskussion um die markigen Sprüche von DFB-Präsident Reinhard Grindel untergegangen. Grindel hatte gegen den so genannten E-Sport gewettert, gegen das Hochleistungs-Gaming am Computer, allein oder im Team, das tausende Jugendliche fasziniert und längst zu einem großen Geschäft geworden ist, wie der Fußball. Der grimmige Grindel hatte gewettert wie ein Vater, der seinen Bengel nicht mehr vom Rechner weg und zum Fußballtraining bekommt: E-Sport sei kein Sport, Fußball gehöre auf den Rasen, dass Kinder und Jugendliche immer mehr Zeit mit digitalen Endgeräten verbrächten, sei eine „absolute Verarmung“.

Recht hat er – und doch sollte man so nicht argumentieren. Denn in seinem Groll wirkt Grindel wie einer, der ahnt, dass er in einem Streit schon verloren hat. Die neue große Koalition hat beschlossen, den E-Sport als „eigene Sportart mit Vereins- und Verbandsrecht“ anzunehmen und bei der „Schaffung einer olympischen Perspektive“ zu unterstützen. Begründet wird das damit, dass diese Sportart wichtige Fähigkeiten fördere und Training notwendig mache. Vermutlich sind Reaktionsvermögen, strategisches Denken und Disziplin gemeint – und damit liegen die Koalitionäre durchaus richtig. Doch so denken vor allem Leute, die zu viel sitzen.

Tim Cook, der Chef von Apple, hat bei der Vorstellung der Apple-Uhr 2015 eine Funktion hervorgehoben, die von einer gewissen Körpervergessenheit zeugt: Die Uhr könne einen daran erinnern, einmal pro Stunde aufzustehen. Seither kursiert der Spruch, Sitzen sei – wahlweise – der neue Krebs oder das neue Rauchen.

Im Sport geht es um ein gutes Körpergefühl

Man könnte sich auch mehrmals pro Stunde fragen, wie man sich gerade fühlt – und sich von der Antwort zum Aufstehen bewegen lassen. Man könnte sich auch fragen, warum dieses wunderbare System aus fünfhundert Muskeln im Körper in Verbindung mit jeder Menge Sehnen und Bändern im Biologieunterricht als „Bewegungsapparat“ vorgestellt worden ist. Beides brächte einen geistig an die Seite Grindels mit all seiner Skepsis und physisch vielleicht dazu, die Treppe zu nehmen und nicht den Aufzug.

Man muss ja nicht gleich Kampfsportambitionen entwickeln wie die Spartaner. Unbestritten, dass man es mit dem Sport und der Härte übertreiben kann. In der Wirbelsäule und den Kniegelenken von Thor Björnsson möchte man nicht stecken – auch wenn er fröhlich und vital die Arme reckte, nachdem er beim jüngsten Strongman-Wettbewerb in Columbus, USA, 472 Kilo gehoben hat. Es geht beim Sport im Grunde auch nicht ums Optimieren, selbst wenn viele das heute für den höheren Sinn von Sport halten. Es geht um die Auseinandersetzung mit sich selbst und vielleicht auch mit anderen. Und zuallererst geht es um ein gutes Körpergefühl.

Das unterscheidet Sport von E-Sport. Mag sein, dass der Gamer den gleichen Stolz empfindet wie Thor, der Muskelberg, wenn er einen Kampf gewonnen hat. Dass aber eine Tätigkeit, die die Fixierung auf Bildschirme und die Betätigung einzelner Finger in maximaler Geschwindigkeit verlangt, großer Sport ist, das wird nur jemand glauben, der schon länger nicht mehr gelaufen ist.

Ich mache doch Leistungssport, könnten Kinder ihren Eltern sagen

Die politische Förderung von E-Sport, die Gleichstellung der Gamer mit denen, die Fußball spielen, in Hallen klettern oder boxen ist ein Fehler. Grindel hat Recht, wenn er kritisiert, dass dem Bewegungssport hier eine direkte Konkurrenz entsteht. Und er wird ahnen, welchen Sog das Gaming erst entwickelt, wenn Kinder gegen skeptische Eltern mit dem Argument antreten, schließlich sei das Training mit Freunden für eine Schlacht auf den Monitoren sogar anerkannter Leistungssport.

Kinder und Jugendliche mögen beim Gamen ihre Reaktionen trainieren – ihrer Physis fügen sie Schäden zu. Wer das ignoriert, hat einiges nicht mitbekommen von der Zunahme der Dicklichkeit bei Kindern bis zur Wirkung von Smartphones auf die Fähigkeit, abends einzuschlafen. Man könnte auch sagen: Wer das Gamen politisch fördert, der denkt mit dem Hintern, pardon: im Sitzen.

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