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Sich besondere Laufstrecken auszusuchen, ist ein spezieller Motivationstrick.

© DPA

Kolumne: So läuft es: Ein Erinnerungslauf als Motivations-Infusion

Im Winter fällt das Laufen auch unserem Kolumnisten schwer. Aber er hat einen eigenen Weg gefunden, sich doch zu motivieren.

Die ersten Marathonveranstaltungen im Frühjahr locken, und ich weiß: Ohne Vorbereitung geht es nicht. Es regnet, es ist dauernd dunkel, es ist kalt, es ist die Hölle. Das Laufen macht Spaß, aber es ist eine Qual, überhaupt in die Laufklamotten zu kommen. Der Kopf sagt: „Los, raus mit Dir. Üben, üben, üben, sonst kein Marathon.“ Die Seele sagt: „Bleib. Mach es Dir schön. Schon Dich. Wärm Dich am Feuer.“ Täglich geht es mir gerade so. Und ich bin mir sicher: Sie kennen das auch. Es bedarf schon eines starken Willens, eiserner Disziplin, um im Winter zu bestehen. Um sich perfekt auf die Frühlingsläufe vorzubereiten.

Ich habe für mich einen Weg gefunden, das Laufen trotz der Umstände mehr als genießen zu können. Das Geheimnis ist: Kreativ werden. In regelmäßigen Abständen schaffe ich mir meine Laufinseln. Auch wenn sie weit entfernt sind, suche ich meine schönsten Strecken auf. Strecken und Momente, die mich bewegt haben. Dorthin kehre ich zurück, und wiederhole Läufe, die mir etwas Besonderes gegeben haben. Ich atme dort pure Motivation ein. Jeder dieser Erinnerungsläufe wird zu einer Art Motivations-Infusion. Davon zehre ich Wochen, und komme perfekt durch den Winter.

Ich fand die alten Wege ohne zu überlegen

So werde ich mich schon sehr bald auf den Weg zu dem Ort machen, in dem ich die ersten Jahre meiner Kindheit verbrachte, bei meinen Großeltern. Dillenburg, auf der hessischen Seite des Westerwaldes. Hier lebte Großmutter bis sie vor zwei Jahren für immer ging. Großvater starb bereits 1992. Viel zu früh. Als es Oma schon nicht mehr ganz so gut ging, besuchte ich sie. Während sie ihren Mittagsschlaf hielt, machte ich einen Lauf. Einen Lauf durch die Vergangenheit.

Als ich Kind war, lag dort im Winter stets unendlich viel Schnee. Durch die Höhe und den Wind schien schnell wieder die Sonne und der Schnee knirschte unter den Füßen von uns Kindern. Wir fuhren den ganzen Tag mit dem Schlitten, oder übten auf alten Skibrettern das Skilaufen. Bis unsere Schneeanzüge durchnässt und unsere Lippen blau waren, die Hände brannten, wenn Großmutter sie zu Hause warmrubbelte. Stets mit den Worten: „Ei, was hast Du kalte Hände. Was sind die so kalt.“

Mein Lauf vor zwei Jahren – als Großmutter schlief – fühlte sich genau so an. Es war wieder so ein Tag. Massenhaft Schnee, Sonne, nur der Wald und ich. Dazu die unendliche Stille des Westerwaldes. Ich lief. Ich lief einfach. Genau die Wege, die ich das letzte Mal als Kind mit dem Schlitten gefahren war. Hätte ich vorher überlegt, ich hätte die Wege nie gefunden. Ich lief sie einfach. Ich fand sie einfach. Jeden einzelnen von ihnen.

Ganze drei Stunden wurden es, ohne dass ich es merkte. Erst als ich bei Großmutter wieder vor der Türe stand, meine Laufsachen nass, mein Bart vereist, meine Lippen blau. Großmutter wartete, sie nahm meine Hände. „Ei, was hast Du kalte Hände. Was sind die so kalt“, sagte sie. Und rubbelte sie warm. Sie brannten. Sie schmerzten. Und doch tat es so unfassbar gut. Bald werde ich nach Dillenburg fahren. So läuft es.

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