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Mike Kleißist verletzt und konnte am Berlin-Marathon nicht teilnehmen.

© Soeren Stache/dpa

Kolumne: So läuft es: Der verletzte Läufer

Unser Kolumnist leidet. Wegen seiner Knie-OP kann er nicht am Berlin-Marathon teilnehmen. Den anderen zuschauen zu müssen, ist schlimmer als Liebeskummer.

Dieser Sonntag war der schlimmste Sonntag seit langer Zeit. Ich habe mein Internet ausgeschaltet. Ich hätte es am liebsten kaputtgemacht. Überall diese wunderbaren Fotos von Menschen, die den Berlin-Marathon gelaufen sind. Glückliche Gesichter, strahlende Läuferinnen und Läufer. Und ich? Ich so mit Krücken. Auf dem Sofa. Kurz nach meiner Meniskus-Operation. Zugegeben: Ich habe lange Zeit nicht verstanden, warum verletzte Läufer so sehr leiden.

Warum sie weinen, schreien, warum die seelischen Schmerzen oft schlimmer zu sein scheinen als die Verletzung selbst. Seit Sonntag kann ich jeden einzelnen verstehen. Auf den Punkt gebracht: Es ist wie der schlimmste Liebeskummer der Welt. Es ist, als ob die oder der Liebste von heute auf Morgen gegangen ist. Ohne Tschüss zu sagen. Ohne eine Erklärung. Ohne ein Wort. Als ob das Handy ausgeschaltet wäre. Als ob zuvor sogar die ganze Wohnung ausgeräumt worden wäre. Diese Leere ist wohl noch leerer als ein staubiges ausgetrocknetes Wasserloch in der Wüste. Grauenhaft. Und wenn man dann beobachtet, wie andere laufen, dann fühlt sich das so an wie der Moment, in dem man den gegangenen Partner das erste Mal mit der oder dem Neuen sieht. Mega autsch!

Was hat das alles gebracht?

Nun bin ich also einer derer, die nicht in Berlin laufen konnten. Einer der vielen vielen verletzen Läufer, die sich – wieder genesen – erneut herankämpfen müssen. Einer derer, die noch so gar nicht wissen, woher sie die Motivation dafür nehmen sollen. Und wie viele andere, die gerade nicht laufen können, frage ich mich: Warum? Warum hat es mich getroffen? Und warum habe ich mir solche Mühe gegeben, fit zu bleiben? Warum habe ich jeden Morgen meinen Schweinehund überwunden? Warum habe ich so gewissenhaft und hart trainiert? Wozu das alles? Das sind die Fragen, die sich jeder verletzte Läufer stellt. Ob sie nun sinnvoll sind oder nicht. Denn man erhält niemals eine richtige Antwort darauf.

In diesem Loch gefangen, in all diesen Fragen verstrickt, schickte mir mein lieber Tagesspiegel-Kollege Friedhard Teuffel eine Nachricht. Die wohl beste und wichtigste Nachricht, die man sich wünschen kann. Sie lautete: „All Deine Läufe waren Vorarbeit für Deine Genesung. So läuft es.“

Kleine Spaziergänge sind schon möglich

Genauso muss man es sehen und nicht anders. Denn bereits drei Tage nach meiner Meniskus-Operation war ich in der Lage, die Krücken auf die Seite zu legen. Und einen kleinen, langsamen Spaziergang zu machen. Ohne all die Läufe der letzten Jahre wäre ich körperlich und auch mental nicht so schnell dazu in der Lage gewesen.

Auf die Frage, wann ich mit was wieder beginnen könnte, sagte mir mein Arzt: „Das Knie wird Dir jeden Tag genau sagen, was Du zutun hast. Hör genau hin.“ Und deshalb umarme ich heute all die Verletzten und möchte Euch sagen: Lauft so viel und so weit Ihr könnt und mögt. Es wird Euch eines Tages sehr helfen. Hört genau zu, was Euch der Körper sagt. Ignoriert seine Zeichen nicht. Es wird Euch eines Tages sehr helfen. So läuft es.

Mike Kleiß leitet eine Kommunikations- und Markenagentur in Köln und schreibt hier an jedem Donnerstag übers Laufen.

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