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Zwei Jogger im Tiergarten: Unserem Autor hilft das Laufen über Trauer hinweg.

© Paul Zinken/dpa

Kolumne: So läuft es: Der Hund hilft loszulassen

Nach dem Tod seines Hundes läuft unser Autor auch, weil es ihm beim Loslassen hilft. An seiner Seite ist seit Kurzem: sein neuer Hund Bilbo.

Selbst einige Monate nach dem Tod meines Hundes Dante fällt es mir noch immer schwer, loszulassen. Ich gebe zu: Das Loslassen per se war noch nie so wirklich meine Stärke. Wenn mir Dinge lieb sind, wenn ich sie gar liebe, wenn sie nicht mehr sind, kann ich mich schwer davon trennen. Auch wenn ich es muss. Das Laufen hat mir immer dabei enorm geholfen. Immer dann, wenn ich sie brauche, mache ich besondere Läufe. Ich nenne sie Los-Lass-Läufe. Meist sind sie sehr lang, denn ich brauche Zeit. Für mich hat das Loslassen schlicht etwas mit Vertrauen zutun. Wer sich selbst und anderen gut vertrauen kann, der kann Dinge besser gehenlassen. Denn das Vertrauen sagt einem: Es kann nichts passieren. Lass los. Was soll schon passieren?

Zur Zeit lerne ich eine weitere Lektion. Ich lerne, ein Stück weit mehr zu vertrauen, die Dinge loszulassen. Verantwortlich dafür ist Bilbo. Er kam kurz vor Dantes Tod aus dem selben italienischen Tierheim wie er zu mir. Auch Bilbo ist ein Herdenschutzhund. Das vereint ihn und Dante. Diese Rasse – Maremmano Abruzzese – ist unter anderem bekannt dafür, stets ihren Weg zu gehen. Und dafür, dass sie den Menschen unbedingt brauchen, aber immer auch ihre Freiheit wollen. Ich war in den letzten Tagen mehrmals an der Elbe in Hamburg mit den Hunden laufen. Bilbo läuft nach wenigen Monaten komplett ohne Leine und er genießt diese Freiheit sehr. Heute fühlte sich der Lauf mit Bilbo anders an. Vom Start weg.

Bereits nach den ersten Metern setzte sich Bilbo an die Spitze, er lief voraus. Und immer wieder musste ich ihn ermahnen, nicht zu weit wegzulaufen. Der Weg führte uns auch an Straßen entlang und bereits hier wurde mein Vertrauen auf die Probe gestellt. Ich bin mir sicher, er spürte meine Unsicherheit, nutzte sie jedoch nicht aus und blieb in der Nähe. Mir war klar, dass er zu gerne einfach gerannt wäre. Weit, schnell, ohne Ziel. Er verzichtete zunächst, sodass mein Vertrauen in ihn wuchs.

Gegen Ende unseres Weges war es, als ob er sich nun ein Stück meines Vertrauens zurückholen wollte. Bilbo stürmte los, er hörte nicht auf. Er lief in einen kleinen Wald hinein, er schaute nicht zurück, er rannte immer schneller. Meine Rückrufversuche waren komplett überflüssig. Bilbo hatte eine Idee, eine Mission. Als ich ihn nicht mehr sehen konnte, fühlte ich zunächst Stille. Und dazu eine Form von Leere.

Plötzlich war da das Gefühl des Loslassens. So wie ich es schon so sehr oft in anderen Situationen während des Laufens spüren konnte. Ich vertraute darauf, dass Bilbo zurückkehren würde und setzte meinen Lauf einfach fort. Mit der Gewissheit, dass mein Hund – auch wenn es einige Zeit dauern würde – plötzlich aus dem Geäst vor mir stehen könnte. Der Weg machte eine leichte Linkskurve. Und da stand Bilbo. Er wartete. Freudig kam er auf mich zugelaufen, ich schloss ihn meine Arme. Um ihn voller Vertrauen wieder loszulassen. So läuft es.

Mike Kleiß leitet eine Kommunikations- und Markenagentur in Köln und schreibt hier an jedem Donnerstag übers Laufen.

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