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Sven Goldmann schreibt immer dienstags in den Spielwochen der Champions League über Kicker, Klubs und Klassiker in Europas Fußball.

© picture alliance / dpa

Kolumne Meine Champions: Als Leroy Sané groß herauskam

Leroy Sané trifft mit Manchester City auf seinen früheren Klub Schalke 04. Vor ziemlich genau vier Jahren begann sein Aufstieg. Unser Autor erinnert sich.

Die Familie wohnt immer noch in Wattenscheid. Zwölf Kilometer südlich von der Schalker Arena, mit dem Auto dauert es eine halbe Stunde über die viel befahrene Kurt-Schumacher-Straße, aber dafür wird er kaum eine Gelegenheit finden. Leroy Sané kommt nur zu einem kurzen Arbeitsbesuch nach Hause. 90 Minuten im Achtelfinale der Champions League, es ist zweieinhalb Jahre nach seinem Abschied das erste Gastspiel bei den alten Kollegen. Sané hat Schalke im Sommer 2016 als Talent verlassen, am Mittwoch spielt er dort mit Manchester City als angehender Weltstar vor. Im vergangenen Jahr haben ihn die Kollegen in der Premier League zum besten Nachwuchsspieler gewählt. Dank der seltsamen Nichtberücksichtigung für das deutsche WM-Aufgebot hat er einen entspannten Sommer verlebt und in dieser Saison schon zwölf Tore erzielt, das jüngste am Samstag beim 4:1-Sieg im FA- Cup gegen Newport. Bald vier Jahre ist es jetzt her, dass Sané zum ersten Mal die Welt auf sich aufmerksam machte. Ebenfalls im Achtelfinale der Champions League, damals noch im Schalker Trikot.

Als Leroy Sané im März 2015 in die Reisegruppe für das Rückspiel beim Pokalverteidiger Real Madrid berufen wird, ist er gerade 19 Jahre alt geworden und verfügt über die Erfahrung von sieben Bundesligaspielen. Der Auftritt im Estadio Santiago Bernabeu gilt als besserer Betriebsausflug, denn Schalke hat das Hinspiel daheim 0:2 verloren und dabei so gut wie keine Gegenwehr gezeigt. Die spanische Sportzeitung „As“ hält die Wahrscheinlichkeit eines Madrider Ausscheidens für „ungefähr so groß wie die Gefahr, von einem herabstürzenden Klavier erschlagen zu werden“. Am Ende saust das Klavier mit aller Wucht und nur ganz knapp an Real vorbei. Der Champions-League-Debütant Leroy Sané ist daran nicht ganz schuldlos.

Zu Beginn des Spiels sitzt er erst einmal auf der Schalker Ersatzbank und freut sich über das Schalker Führungstor, erzielt vom Verteidiger Christian Fuchs. Die Hoffnung auf eine Sensation währt erst einmal nur fünf Minuten, dann schafft Cristiano Ronaldo den Ausgleich. Weitere vier Minuten später wird es für Leroy Sané ernst. Eric-Maxim Choupo-Moting muss mit einer Verletzung abtreten und macht Platz für das Bürschlein, das sein Alter auf dem Rücken träg. Niemand bei Real kennt den Schalker Wuschelkopf mit der Nummer 19. Noch nicht.

Sané fordert immer häufiger den Ball

Sané sucht sich seinen Platz im Windschatten des Schalker Torjägers Klaas-Jan Huntelaar, der gleich das zweite Tor schießt, aber auch darauf hat Real eine Antwort, wieder durch Ronaldo. Als Karim Benzema zu Beginn der zweiten Halbzeit Real in Führung schießt, scheint der Abend gelaufen zu sein. Egal, es ist ein schönes, aufregendes Spiel mit vielen Torszenen, für die schönste und aufregendste ist der Champions-League-Debütant Leroy Sané zuständig. Am rechten Strafraumeck bringt ihn Christian Fuchs ins Spiel. Sané stoppt den Ball behutsam mit dem linken Fuß, er hebt den Kopf und registriert, dass Reals Verteidiger Fabio Coentrao einen Sicherheitsabstand von fünf Metern hält. Also macht Sané instinktiv, was er wahrscheinlich schon tausendmal im Training gemacht hat. Er legt sich den Ball ein Stück weiter in die Mitte und zirkelt ihn in aller Ruhe halbhoch in die linke Ecke, vorbei am Madrider Torhüter Iker Casillas, der so verblüfft ist, dass er nicht mal den Versuch einer Abwehraktion unternimmt.

3:3, Schalke ist zurück in diesem vogelwilden Spiel. Immer häufiger fordert Sané den Ball und treibt ihn mit raumgreifenden Schritten über den Platz. Kurz vor Schluss bekommt er den Ball an der Mittellinie und hängt Toni Kroos ab. Raphael Varane und Luka Modric stellen sich in seinen Weg, aber Sané chippt den Ball im perfekten Moment zwischen den beiden hindurch, in den Lauf von Huntelaar, der sein zweites Tor erzielt. Auf einmal ist es ganz ruhig im Bernabeu. Fünf Minuten noch, ein einziges Tor fehlt Schalke zur Sensation. Wieder trickst Sané den armen Modric aus, wieder schießt er halbhoch ins rechte Eck, aber diesmal fliegt Casillas durch die Luft und lenkt den Ball um den Pfosten. In der Nachspielzeit vergibt Benedikt Höwedes eine letzte große Chance, dann ist endlich Schluss. 60 000 Madrider pfeifen Real aus, 4000 Deutsche feiern Schalke. Und einen jungen Burschen mit Starkstromfrisur, von dem im März 2015 noch keiner ahnt, dass er vier Jahre später als angehender Weltstar auf Heimatbesuch kommen wird.

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