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Fliegender Spanier. Pep Guardiola nach dem Finalsieg 2009 in Rom.

© Tedeschi/dpa

Kolumne Meine Champions: Pep Guardiola und die Geburt der falschen Neun

Im Champions-League-Spiel gegen Manchester United profitiert der FC Barcelona noch immer von Guardiolas Erbe. Dabei gefällt ihm Tiki-Taka gar nicht.

Mitternacht ist nicht mehr fern an diesem Frühlingstag in Rom, da wendet sich Pep Guardiola kurz ab von seiner Mannschaft. Er sucht einen Augenblick der Besinnlichkeit und sagt, er müsste jetzt eigentlich aufhören, denn „ich habe ja alles erreicht“. Meisterschaft, Pokalsieg und Champions-League-Sieg, und das alles in einer Saison. Mehr geht nicht.

Ähnliches wird ein paar Jahre später Jupp Heynckes durch den Kopf gehen, als er sein Triple mit den Bayern vollendet. Aber Heynckes hat da gerade seinen 68. Geburtstag gefeiert, seine Karriere steht vor einem logischen Ende. Die von Guardiola hat gerade erst begonnen. Am 27. Mai 2009 vollendet er beim 2:0-Sieg im Champions-League-Finale gegen Manchester United sein erstes Jahr auf der Trainerbank. Mit gerade 38 Jahren.

Am Mittwoch hat es der FC Barcelona wieder mit Manchester United zu tun, diesmal schon im Viertelfinale. Guardiola ist längst nicht mehr da und doch immer noch präsent. Barça inszeniert zwar nicht mehr die Reinform des einst von Guardiola eingeführten Tiki-Taka. Der Klub hat sich von der Selbstverliebtheit des Kurzpassspiels emanzipiert und es an ein neues, temporeicheres System überführt. Doch der Zauber ist erhalten geblieben und ist ohne Guardiolas Einfluss schwer vorstellbar. Noch wichtiger aber ist ein anderes Erbe, von dem der Klub seines Herzens bis heute zehrt und mit ihm der wahrscheinlich beste Fußballspieler der Welt.

Guardiola fand die perfekte Position für Messi

Pep Guardiola hat für Lionel Messi die Position erfunden, auf der seine unerreichte Qualität perfekt zur Geltung kommt. Als Stürmer, der eigentlich gar kein Stürmer ist, weil er sich immer wieder fallen lässt und damit für die im Raum agierende Verteidigung kaum zu greifen ist. Pep Guardiola macht Lionel Messi zur falschen Neun.

Heute mag sich kaum jemand vorstellen, wie schwer Guardiola die ersten Tage im Camp Nou fallen. Er hat einen großen Namen als ehemaliger Nationalspieler und ist als Trainer doch ein Anfänger, ausgestattet mit der Erfahrung einer Saison bei Barças Reservemannschaft. Aber der Novize verfügt über ausgeprägtes Selbstbewusstsein und klare Vorstellungen. Als erstes lässt er die Weltstars Deco und Ronaldinho wissen, sie mögen sich doch bitte neue Vereine suchen, sie passen nicht in sein System. Auch mit Samuel Eto’o kann er eigentlich nichts anfangen und behält ihn dann doch noch für ein Jahr. Der Stürmer aus Kamerun wird es ihm im Finale von Rom danken.

Ein Herz und eine Seele: Lionel Messi und Pep Guardiola.
Ein Herz und eine Seele: Lionel Messi und Pep Guardiola.

© Alberto Estevez/dpa

Guardiola teilt das Spielfeld in Minisektoren ein, mit genauen Anweisungen für jeden Spieler, in welcher Situation er sich wo aufzuhalten habe. Die Umsetzung braucht seine Zeit. Das erste Spiel in Numancia geht 0:1 verloren, das zweite daheim gegen Santander endet 1:1. Die Fans werden ungeduldig mit dem Novizen, viele von ihnen hatten sich ohnehin den Portugiesen José Mourinho gewünscht. In seiner von Marti Perarnau verfassten Biographie schildert Guardiola, wie in dieser Phase Andres Iniesta an die Tür zum Trainerzimmer klopft. Der sonst so stille Mittelfeldspieler sagt: „Keine Sorge, Señor. Wir sind auf dem richtigen Weg. Wir werden alles gewinnen.“

Im nächsten Spiel gibt es ein 6:1 in Gijon, und jetzt ist Barcelona nicht mehr zu stoppen. Es folgen 20 Spiele in Serie ohne Niederlage. Zum Rückrundenduell beim Lieblingsfeind Real Madrid schult Guardiola Messi zur falschen Neun um. Barça siegt 6:2, Messi schießt zwei Tore und kurz darauf noch eines beim 4:1 im Pokalfinale gegen Gijon. Dann steht auch schon die Reise nach Rom an.

Beim Finale im Stadio Olimpico hat Pep Guardiola noch Haare und Lionel Messi weder Bart noch Tattoos. Es ist Cristiano Ronaldos letztes Spiel für Manchester United vor dem Wechsel nach Madrid. Der Cupverteidiger wähnt sich in der Rolle des Favoriten, aber auf dem Platz ist nichts davon zu sehen. Schon nach acht Minuten zwirbelt Samuel Eto’o, der beinahe Verstoßene, den Ball aus spitzem Winkel zum 1:0 ins rechte Eck, vorbei am überraschten Torhüter Edwin van der Sar.

Messi in guter, falscher Mittelstürmermanier

Es ist nicht der letzte unangenehme Moment für den langen Holländer. 20 Minuten vor Schluss flankt Xavi Hernandez von der rechten Seite in den Strafraum. Kein Engländer fühlt sich zuständig, bis ihnen aufgeht, dass Lionel Messi sich in ihren Rücken geschlichen hat. Der Argentinier misst 170 Zentimeter, der kleinste Spieler auf dem Platz, aber er macht, was ein guter Mittelstürmer macht, auch wenn er nur ein falscher ist. Messi schraubt sich nach oben, er scheint in der Luft zu stehen, trifft den Ball mit der Stirn und hebt ihn über den bedauernswerten van der Sar. 2:0, das Spiel ist entschieden.

Uniteds Trainer Alex Ferguson verneigt sich vor dem Gegner und gratuliert mit einem Kompliment: „Barça hielt den Ball den ganzen Abend in seinen Reihen, und wenn wir ihn mal hatten, war er schnell wieder weg. Sie haben den Fußball genossen. Das ist ein Verdienst von Guardiola.“ Und seinem Tiki-Taka. Pep Guardiola mag den Begriff übrigens nicht, er erscheint ihm zu profan für sein komplexes Werk.

Albert Einstein wäre wohl auch nicht begeistert gewesen, wenn die zeitgenössische Presse seine Relativitätstheorie TempoTempo genannt hätte.

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