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Maria Tietze erreichte am Ende einen siebten Platz im 200-Meter-Rennen.

© imago images/Mika Volkmann

Kolumne - Mein Weg nach Tokio: Die volle Dröhnung

Unsere Kolumnistin blickt auf ihre Paralympics-Teilnahme zurück und erinnert sich an Gänsehautmomente. Mittlerweile lautet ihr Ziel Paris 2024.

Rückblick. Die Frage nach dem „Wie war’s?“ kann ich bis heute nicht einfach beantworten. Zu facettenreich die Zeit in Japan, im Dorf, bei den Paralympics. So viele Eindrücke zu verdauen – die guten wie die schlechten. Es war so viel in mir, dass ich meine Gedanken nicht einmal auf Papier bannen konnte. Fakt ist: Ich bin Paralympionikin. Und stolz darauf!

Damit habe ich etwas erreicht, was überhaupt nur wenige schaffen (Olympia mit einbezogen). Damit habe ich auch etwas erreicht, das so nicht geplant war. Anders als viele andere Sportler habe ich erst spät begonnen, den Traum der Olympischen/Paralympischen Spiele zu träumen. Konkret erst im Dezember 2019 nach einer erfolgreichen WM mit Platz sechs. War dieser späte Einstieg in den Traum vielleicht mein Vorteil? Also Vorteil gegenüber anderen Anfängern?

Ich habe andere Para-Athleten kommen und gehen sehen. Mittlerweile sind sie weg, gescheitert an oder vertrieben von der teilweise brutalen Mentalität und Stimmung. Wenn es immer darum geht, kleinere Zahlen nach überqueren der Ziellinie zu sehen, alles zu bewerten – wo ist da der Spaß? Für mich liegt er im gemeinsamen Training, in der Bewegung an sich, im Messen mit Anderen, immer wieder. Ich gehe gerne zum Training und es bereitet mir Freude. Dabei noch Erfolg zu haben und Geld verdienen zu können, grenzt an Perfektion. Heute habe ich dieses Wissen wiedererlangt. Es ist war mir spätestens im Juli abhandengekommen.

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Nachdem ich 2017 wortwörtlich in die Leichtathletik gestolpert bin, weil ich noch nicht so ganz sauber laufen konnte und jemanden suchte, der mir das Joggen beibringt, bin ich hängen geblieben und kann heute laufen. Schnell laufen sogar. Und wie weit ich seither gekommen bin. Immer einen Schritt nach dem anderen. Ohne jemals ein Fernziel zu definieren, das weiter weg lag als ein Jahr.

Wie sich die Dinge doch entwickeln können?! Mittlerweile lautet mein definiertes Ziel Paris 2024 und Platz sechs bei der WM in Kobe kommendes Jahr. Ich mag diese Veränderung.

Sportliches Highlight meines Lebens

Was noch zu beantworten bliebe: Wie war es jetzt also in Tokio? Es war sportlich das absolute Highlight meines Lebens. Selbst mein geliebter Fußball kommt da nicht dran. Hierbei geht es um den Tag meines 200-Meter-Rennens mit direkter Qualifikation für das Finale und am Ende Platz sieben.

Maria Tietze erlebte einen Gänsehautmoment beim Einmarsch ins Olympiastadion.
Maria Tietze erlebte einen Gänsehautmoment beim Einmarsch ins Olympiastadion.

© imago images/SNA

Emotional kommt der Einmarsch der Nationen in meiner Liste ganz weit nach oben. Dieser Moment kurz vor Betreten des Stadioninnenraums. Wir schlängeln uns mit den anderen Nationen durch die Katakomben. Mein Handy ruht in meiner Hosentasche, ich will nicht damit rumhantieren und alles durch den Filter einer Kameralinse erleben. Ich will alles direkt in mir aufnehmen, die volle Dröhnung.

Absoluter Gänsehautmoment

Meine Hände ruhen auf den Griffen von Francés Hermanns Rolli. So fühle ich mich irgendwie direkt verbunden, geerdet und nicht allein. Verrückt, es jetzt so zu formulieren, wo doch so viele Athleten um mich herum waren. Als wir rechts abbiegen und das erste Mal durch den Tunnel über den roten Teppich ins Stadion blicken, weiß ich kaum, wie mir geschieht. Ich bekomme Gänsehaut, bin aufgeregt wie ein kleines Kind zu Weihnachten und habe mich an den Rolligriffen fest gekrallt. Jetzt geht es wirklich los, jetzt bin ich bei den Paralympics. So wirklich.

Wäre das Stadion voll gewesen, ich hätte minutenlang geheult wie ein Schlosshund, auch trotz der ganzen Fernsehkameras. Es war ein absoluter Gänsehautmoment – einer der phänomenalsten meines Lebens. Der Weg dorthin war nicht immer leicht, aber es hat sich schon für diesen kurzen Moment gelohnt. Ein paar Sekunden, die so intensiv und glücklich waren, wie wenig zuvor in meinem Leben. Egal was jetzt kommt, das wird für immer bleiben.

Maria Tietze

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