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BSV Hürtürkel trifft im 5-0 Sieg gegen FSV Fortuna Pankow.

© Ian Stenhouse/No Die Magazine

Kolumne Berliner Fußball (7): BSV Hürtürkel – die Wundertüte aus Neukölln

Über den BSV Hürtürkel wundert sich so mancher Beobachter des Berliner Fußballs. Was steckt hinter dem Aufschwung des Neuköllner Oberligisten? Unser Kolumnist Stephen Glennon hat versucht, es herauszufinden.

Ich gucke nicht sehr viel Fernsehen oder Filme. Ich gucke aber genug, um zu wissen, dass es kein gutes Omen ist, wenn ein Charakter allzu begeistert von seinen Zukunftsplänen ist. So jemand wird bald ein gruseliges Ende finden und wenn ich ehrlich bin, genieße ich das. Er hat’s ja verdient, denke ich. Vielleicht liegt das an meiner irischen Herkunft: die Iren sind sehr sensibel, was Arroganz betrifft. Man muss immer wenigstens so tun als ob man Bescheiden ist. Wenn man ungewöhnlich große Ambitionen hat, wird das oft als Arroganz betrachtet und alle warten nur darauf, bis die Pläne scheitern. Es tut mir Leid, werden alle sagen, aber der Untertitel lautet: wusste ich doch. Selber schuld. Schadenfreude könnte ein irisches Wort sein.

Schadenfreude gibt es aber auch in Deutschland, vor allem im Berliner Amateurfußball. Immer wieder scheitern hoch ambitionierte Klubs und andere nehmen es mit Genugtuung wahr. Momentan schauen deshalb viele auf Emporkömmling BSV Hürtürkel, der mit zwei Aufstiegen in Folge von der Landes- in die Oberliga durchmarschierte. Auch ich schaue genau hin.

Als ich im letzten Jahr mit Trainer Vedat Beyazit sprach, war ich sehr beeindruckt. Er ist ein klar denkender Typ, sehr intensiv und präzise aber auch ein freundlicher Mensch.  Beyazit war vorher A-Jugend-Trainer und kennt viele der der Spieler dadurch schon lange. . „Wir wollen jahrelang zusammenspielen damit der Erfolg da ist“, sagte der Trainer der Neuköllner damals und der Plan scheint bislang aufzugehen.

Ein Großteil der Spieler, die schon in der Landesliga dabei waren, steht auch jetzt in der Oberliga wieder im Kader.  Auch Safa Sentürk, der Berlin-Liga Torschützenkönig der mit 16 Toren in einem einzigen Spiel landesweit Aufmerksamkeit erregt hatte, trägt weiterhin das rote Trikot von Hürtürkel. „Sentürk hatte ein paar Angebote. Er ist aber geblieben, weil diese Mannschaft zusammen aufgewachsen ist“, erklärt der Erste Vorsitzende Selami Erbay.

Mit Erbay habe ich über die Zukunft von Hürtürkel gesprochen und im Vergleich zu Beyazit ist er äußerst wortkarg. Beyazit hat damals meinen Reflex, alle ambitionierten Pläne als Arroganz zu werten, gedämpft, indem er seine Auffassungen klar und logisch dargelegt hat. Erbay glenag dies nicht. Nur ein einziges Mal antwortete er mit mehr als einem Satz – als er über die 26 verschiedene Mannschaften von Hürtürkel gesprochen hat. „Wir bieten für jeden was an“, meint er. Wenn man die Facebook-Seite oder die Webseite von Hürtürkel anguckt, sieht man, dass dort die viele Jugendmannschaften genauso wichtig sind wie die von den ersten Männern – alle Ergebnisse werden gleichmäßig aufgelistet und keine einzige Mannschaft wird besonders behandelt. Das ist schön.

Was sich sonst noch herausfinden ließ, war dass Hürtürkel durch mehrere kleine Sponsoren finanziert ist, und dass ein Zusammenbruch á la Tennis Borussia oder Türkiyemspor dadurch vermieden werden soll. Außerdem sagte Erbay: „Unser Ziel in dieser Saison ist der Klassenerhalt“  aber auch: „Wenn Dynamo nicht dabei wäre, würden wir sagen, wir wollen aufsteigen“. Dass Mannschaften nur den Klassenerhalt als Ziel vorgeben, hört man ständig. Ich glaube es eher selten und bei solch widersprüchlichen Aussagen definitiv nicht.

Wie hoch will Hürtürkel denn noch klettern? Laut Erbay soll der Verein die Regionalliga oder die 3.Liga erreichen, „in drei Jahren, wenn es klappt“. Ich wollte dann wissen, ob das Finanzmodell mit vielen kleinen Sponsoren auch in den höheren Ligen funktionieren kann. Erbay erklärte, dass es Pläne gibt, ein „Pilotverein“ von einem großen Bundesligaklub oder einem Verein aus der türkischen Süper Lig zu werden. So wie der Berliner AK das mal mit Ankaraspor erfolgslos versucht hat? „Ja, aber sie haben was falsch gemacht. Wir wollen es anders machen.“ Was heißt anders? „Wir wollen von unten anfangen, mit Jugendlichen. Klein anfangen.“ Genauer wurde Erbay nicht.

Egal. Die Gegenwart interessiert mich sowieso viel mehr als die Zukunft. Ich warte gerne. Vorfreude ist angeblich die schönste Freude. Die Oberliga hat für Hürtürkel gut angefangen – mit zwei beeindruckenden Auswärtssiegen in Waltersdorf und Torgelow (Hürtürkels erste Spiele überhaupt außerhalb von Berlin) hat die Mannschaft insgesamt sieben Punkte aus den ersten vier Spielen gesammelt. Am Sonntag um 14:00 spielt Hürtürkel gegen den ungeschlagenen Brandenburger SC Süd.

Hürtürkel bleibt ein Rätsel und es lässt sich kaum vorhersagen, ob es das nächste Hoffenheim oder eher das nächste Tennis Borussia ist. Und egal was nun die wahren Ziele der Neuköllner sind: Am Sonntag wird es auf dem Hertzbergplatz an der Sonnenallee ein tolles Spiel geben.

Die Jungs von Hürtürkel versuchen dank Beyazits Philosphie nämlich immer, schönen Fußball zu spielen. Im Amateurfußball ist das eigentlich ein viel ambitionierteres Ziel als sportlicher Erfolg. Und gelingt es, erzeugt man Freude statt Schadenfreude.

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