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Alles im Griff. Stephan Vogt ist einer der erfolgreichsten Berliner Kletterer. Das zeigte er auch bei den ersten deutschen Meisterschaften im Olympic Combined im Juli in Augsburg.

© Leon Buchholz

Klettern und Bouldern: Eine Trendsportart wird olympisch

Wie sich Kletterer und Boulderer wie der Berliner Stephan Vogt auf die Olympischen Spiele in Tokio 2020 vorbereiten.

Steile Wände, komplizierte Routen, kleine Griffe, an denen man wieder und wieder abrutscht – all das ist kein Problem für Stephan Vogt. Der wohl erfolgreichste Berliner Kletterer und Boulderer hat unter anderem die „Action Directe“ bezwungen, eine Felskletterroute im Frankenjura mit extrem hohem Schwierigkeitsgrad. Das kostete ihn fünf Jahre, 20 Klettertage und einen gebrochenen Finger. Sogar bei Kälte und Schnee übte er jeden einzelnen Zug, bis Finger und Schultern schmerzten, überwand Frust und Zweifel. Als Vogt aber im Juli in Augsburg bei den ersten deutschen Meisterschaften im Olympic Combined drei Wettkämpfe an einem Tag bestritt, musste er feststellen, dass es auch für ihn noch Herausforderungen gibt. „Ich war fix und fertig“, sagt der 24-Jährige. „Man hat zwar Pausen zwischen den Disziplinen, aber es war ziemlich schwer, sich jedes Mal mental umzustellen.“

Denn die olympische Kombination hat es in sich: Zuerst absolvieren die Athleten eine Speed-Route, eine standardisierte Route, die extrem schnell geklettert, ja fast gesprungen wird. Dann folgt ein Boulderwettbewerb, der viel Kraft, aber vor allem Technik erfordert, während die anderen beiden Wettbewerbe jeweils Ausdauer und Schnelligkeit verlangen. Zum Abschluss steht eine Lead-Route, also eine lange Seilkletterroute, auf dem Programm.

Warum sich die Athleten das antun? Sie wollen nach Tokio, denn ab 2020 ist Klettern olympisch. Nur: Welches Klettern wird denn nun dort zu sehen sein? Olympic Combined ist alles gleichzeitig und nichts richtig, sagen die Kritiker. Viele stören sich vor allem am Speed-Klettern, das mit dem Trainingsalltag der meisten Kletterer und Boulderer nicht viel zu tun hat.

Als Spezialist hat man es in der Kombination schwer

„Es ist tatsächlich eine vierte Disziplin entstanden“, sagt Wolfgang Wabel. Er vergleicht die olympische Kombination mit dem Triathlon, bei dem man als Spezialist nicht weit kommt. Wabel ist Präsident des Europäischen Kletterverbands und war auf Seiten des Internationalen Sportkletterverbands an den Verhandlungen mit dem Internationalen Olympischen Komitee (IOC) beteiligt. Seit 2018 stehen die endgültigen Wettkampfmodalitäten fest und die ersten deutschen Meisterschaften sowie Weltmeisterschaften fanden im Juli in Augsburg und im September in Innsbruck statt.

Die Bilanz für die Athleten des Deutschen Alpenvereins (DAV) ist bisher positiv: Der Star der deutschen Szene, Jan Hojer, kletterte bei der WM auf Platz drei. Auch Stephan Vogt hat seine anfängliche Skepsis gegenüber dem neuen Modus überwunden. Auf Einladung des Alpenvereins reiste er zum Weltcup-Finale nach München und testete den neuen Modus. Dafür trainierte er in der DAV-Halle in Berlin-Moabit, die über eine Speed-Route verfügt. Beim Speed geht es um das perfekte Erlernen der weltweit standardisierten Route, die dann blitzschnell geklettert wird. „Gerade das Speed-Klettern habe ich skeptisch gesehen“, sagt Vogt. „Meiner Meinung nach sollte es nicht um Geschwindigkeit gehen, sondern um die Bewegungsabläufe.“ Nicht umsonst spricht man beim Bouldern von „Problemen“, eine Kletterroute wie die „Action Directe“ ist ein „Projekt“. Das ist eine ganz andere Herangehensweise zum spektakulären Speedklettern.

Welche Logik steckt also hinter der Entscheidung für die Kombination? „Es geht auch um die Fernsehzuschauer“, sagt Wolfgang Wabel. Da sei Speed, aber auch die Kombination aller Disziplinen eben attraktiv gewesen. Außerdem werden die Ränge miteinander multipliziert, sodass die Spannung bis zum Schluss erhalten bleibt. „Der neue Modus wird letztlich auch Konsequenzen für das Training haben und für die Körpertypen, die im Sport vertreten sind“, sagt Wabel.

In Berlin hat Stephan Vogt alles gewonnen

Das merkt Stephan Vogt bereits jetzt. In Vorbereitung auf die „Action Directe“ intensivierte er sein Training und zwang sich, strukturierter zu planen. „Vor einem Jahr habe ich beschlossen, mehr in das Klettern zu stecken“, sagt er. In Berlin hatte er alles gewonnen, 2017 schaffte er die „Action Directe“. Damit gewann er die Aufmerksamkeit des DAV, der seine Talente traditionell in Süddeutschland rekrutiert. Nach der Einladung zu den Deutschen Meisterschaften musste Vogt noch mehr Krafttraining einbauen sowie Einheiten am Campus- und Hangboard, mit denen vor allem die kletterspezifische Griffstärke trainiert wird. „Vor allem Speed kommt bei uns dazu, denn das wird in Deutschland kaum praktiziert", sagt Wabel. „Wir werden so schnell wie möglich Erfahrungen sammeln müssen, wie wir das Training am besten strukturieren, da niemand bislang Erfahrung für die Kombination der drei Disziplinen hat.“

Große Chancen, unter den zwei besten Deutschen und 20 weltbesten Kletterern zu sein, die sich für den ersten olympischen Kletterwettbewerb qualifizieren, rechnet sich Stephan Vogt nicht aus. Bei den Männern ist neben Jan Hojer auch Yannick Flohé ein Favorit auf einen der höchstens zwei Plätze im Männer-Wettbewerb. Die deutschen Frauen schnitten bei der WM eher mäßig ab. Ob sich bis zu den Qualifikationen im kommenden Jahr eine Frau so weit umstellen kann, dass sie es nach Tokio schafft, ist fraglich.

Ohnehin scheint es, als würden sich nur die wenigsten Athleten auf den neuen Modus spezialisieren. Die meisten bleiben wohl bei ihren Ursprungsdisziplinen, bouldern eben zu Hause und fahren an Wochenenden und Urlauben in die Natur, um an Felsen klettern. So, wie es etwa Stephan Vogt tut. Er hat sich mit dem neuen Wettbewerb mittlerweile aber angefreundet und sieht sogar die positiven Seiten: „Ich finde es schon ganz gut, dass wir mehr Geld und mehr Aufmerksamkeit bekommen.“

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