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Afrikanisches Lauffieber. Über 1000 kenianische Athleten haben sich in Iten niedergelassen.

© Nedo

Kenias Laufschule: Mit einem Eimer Wasser nach Boston

Der 4000-Einwohner-Ort Iten, 320 Kilometer nordwestlich von der Hauptstadt Nairobi auf 2400 Meter Höhe gelegen, hat unzählige erfolgreiche kenianische Langstreckenläufer hervorgebracht: Olympiasieger, Weltmeister und Gewinner großer Marathons.

Von Johannes Nedo

Schon von weitem sind ihre schnellen Schritte zu hören. Es klingt, als würde sich eine Herde Gnus ihren Weg bahnen. Und plötzlich tauchen hinter der Kurve rund 150 Läufer auf. Alle in höchstem Tempo. Alle in den neuesten neonfarbenen Shirts und Schuhen ihrer Ausstatter. Sie preschen einen kleinen Anstieg hinauf – und verschwinden so schnell wie sie gekommen sind. Doch der Mann, der am Wegesrand sein Motorrad wäscht, blickt nur kurz auf. Ansonsten lässt er sich von der Läuferkolonne nicht beeindrucken. Was sich auf den staubigen rotbraunen Wegen und den grünen Hügeln von Iten abspielt, ist ja auch kein besonderes Querfeldein-Rennen. Es ist Alltag. Jeden Morgen absolvieren mehrere hundert Athleten ihre Trainingsläufe rings um das Dorf im kenianischen Rift Valley. Denn Iten nennt sich selbst: „The Home of Champions“ – und das völlig zu Recht.

Das 4000-Einwohner-Örtchen, 320 Kilometer nordwestlich von der Hauptstadt Nairobi auf 2400 Meter Höhe gelegen, hat in den vergangenen 25 Jahren unzählige erfolgreiche kenianische Langstreckenläufer hervorgebracht: Olympiasieger, Weltmeister und Gewinner großer Marathons. Seitdem sind in der Region zahlreiche Läufercamps entstanden, über 1000 Läufer haben sich hier niedergelassen.

Peter Emase trägt einen Eimer Wasser nach Boston. Er ist einer dieser jungen Athleten, die von einer ruhmreichen Karriere träumen. „Boston“ steht in großen blauen Buchstaben über einer der sechs Türen einer weiß-grünen Baracke. Alle Räume sind nach Städten mit bedeutenden Marathons benannt. Es gibt noch Frankfurt, Paris, San Diego. Emase wohnt in „Wien“. Der hagere 19-Jährige gehört dem „Run-Fast-Camp“ in Iten an.

Wer hinter dem vielversprechenden Namen ein hochmodernes Leistungszentrum erwartet, wird schwer enttäuscht. Das Camp befindet sich zwischen wackeligen kleinen Holzhütten und außer der Baracke, hinter der die bunten Laufshirts auf einer langen Wäscheleine hängen, gibt es nichts. Zwölf Läufer sind hier untergebracht, neun Männer und drei Frauen.

Die Eimer Wasser verteilt Emase vor den einzelnen Räumen, weil für ihn nach dem Morgenlauf keine weiteren Trainingseinheiten anstehen. In ein paar Tagen absolviert er ein Cross-Rennen im 30 Kilometer entfernten Eldoret. Während im winterlichen Europa und an der amerikanischen Ostküste die Marathonsaison zu Ende gegangen ist, beginnt in Kenia die Zeit der Cross-Läufe – und damit schon die Vorbereitung für die nächsten großen Rennen im Frühjahr, wie den Boston-Marathon Ende April.

Das vergangene halbe Jahr ist für Peter Emase ziemlich gut gelaufen. Er startete bei einigen Halbmarathons in Großbritannien. In Hastings siegte er, in Cardiff wurde er Zweiter. „Mein bisher größter Erfolg“, sagt er stolz. In der neuen Saison soll er den nächsten Schritt in seiner Entwicklung nehmen, soll noch geschmeidiger laufen und soll noch mehr Tempohärte aufbauen, damit er in ein paar Jahren die ganz großen Marathons gewinnen kann.

Dafür nimmt Emase viel auf sich. Sein neun Quadratmeter kleines, dunkles „Wien“-Zimmer teilt er sich mit zwei anderen Athleten. Drei Betten und ein kleiner Tisch befinden sich darin. Auf dem Ecktisch stehen ein Fernseher, ein CD-Player sowie ihre Pokale. „Mein Leben dreht sich allein um das Laufen“, sagt Emase. Morgens um halb sechs steht er auf, trainiert, ruht sich aus, trainiert, und nach den Acht-Uhr-Nachrichten legt er sich schlafen. Seit eineinhalb Jahren laufen all seine Tage so ab, so lange ist er bereits im Camp. Freizeit mit Freunden oder Discobesuche vermisse er nicht. „Da könnte ich mich ja nur verletzen.“

Kenneth Kibet gefällt diese Einstellung, natürlich. Er ist Trainer und Manager des Läufercamps. Und Peter Emase ist eines seiner vielversprechendsten Talente. Sonst wäre er nicht schon so lange bei Kibet. Der 39-Jährige sichtet seinen Nachwuchs bei den unzähligen Rennen überall in Kenia. Wenn er die Auserwählten zu sich ins Camp holt, stattet er sie komplett aus und kommt für alles auf. Allerdings nur drei Monate lang. Wenn seine Schützlinge bis dahin nicht geliefert haben, also bei kleineren internationalen Rennen erfolgreich waren, müssen sie wieder gehen. „In Kenia gibt es nun mal so viele Läufer mit so viel Talent“, sagt Kibet.

Der Grund dafür mag einen romantischen Touch haben, erzählt Kibet, doch die Stärke der Kenianer im Langstreckenbereich komme eben zu einem gewissen Teil davon, dass viele Kinder oft lange Strecken zur Schule rennen. „So trainieren sie, ohne es zu wissen.“ In Iten wurde dieses riesige Potenzial zum ersten Mal professionell ausgeschöpft. Von einem Iren. Der Priester Colm O’ Connell kam 1976 als Lehrer an die St. Patrick's High School in Iten. Er erkannte die außergewöhnlichen Fähigkeiten vieler Schüler, förderte sie mit zielgerichtetem Training. Seither werden ständig neue Bäume auf dem Schulhof gepflanzt. Traditionell stiftet jeder erfolgreiche Läufer, der die Schule besucht hat, einen Baum.

Doch dass so viele Topathleten in Iten und der Rift-Valley-Region trainieren, hat auch ganz profane Gründe. Durch die Höhenlage von 2400 Meter über dem Meeresspiegel bilden sich im Körper mehr rote Blutkörperchen, die die Ausdauerleistung fördern. Die Temperaturen liegen konstant um die 20 Grad, Malaria ist dank der Höhe keine Gefahr. Die hügelige Landschaft bietet anspruchsvolle Strecken. Dazu kommt eine harte Konkurrenz, die auch daher rührt, dass die Kenianer nicht nur aus Spaß laufen. „Die meisten Athleten wollen einfach gutes Geld verdienen“, sagt Kibet. Auch Peter Emsai, dessen Eltern arme Bauern sind, nennt als seine Ziele: „Ich will einen Weltrekord aufstellen – und ein eigenes großes Haus haben.“

Geoffrey Mutai hat all das schon erreicht. 2011 gewann der 32-Jährige den Boston-Marathon, siegte im gleichen Jahr auch in New York, 2012 in Berlin, und Anfang November wiederholte er seinen Triumph in Manhattan. Mutai hat sich mit seinem Preisgeld schon mehrere Häuser gebaut, vor den Erfolgen arbeitete er als Holzfäller. Mittlerweile führt er auch ein eigenes Läufercamp im Rift Valley. Seit einer Woche hat Mutai wieder sein Trainingsprogramm aufgenommen. Er will noch einmal in Boston gewinnen. Und er werde dafür weiter den harten Weg gehen, sagt er. „Niemals mit Doping, wie immer mehr junge kenianische Athleten.“ Er begrüßt natürlich, dass der Kenianische Leichtathletik-Verband im Januar ein eigenes Anti-Dopinglabor eröffnen will und fordert lebenslange Sperren für Doper.

Peter Emase hat neben dem obligatorischen „Nein“ zu Doping noch einen Satz zu dem Thema parat: „Ich ziehe meine Energie nur aus dem Training und Ugali.“ Der fade Getreidebrei aus Maismehl ist das Grundnahrungsmittel der Kenianer.

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