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Ausgepaddelt. Thomas Becker (l.) und Robert Behling überzeugen in Prag auf dem Wasser – wie es für sie weitergehen soll, wissen die beiden trotzdem nicht.

© Sebastian Willnow/dpa

Kanuslalom: Ein Boot ist dem Untergang geweiht

Robert Behling und Thomas Becker gewinnen bei der Kanuslalom-EM in Prag eine wohl historische Medaille. Freuen können sie sich darüber allerdings kaum.

Es ist noch einmal Silber geworden für Robert Behling und Thomas Becker. Bei der Kanuslalom-EM mussten beide im Canadier Zweier (C2) an diesem Samstag nur den Prager Gastgebern Jonas Kaspar und Marek Sindler den Vortritt lassen. Eigentlich hätten sie ausgelassen feiern können, zumal es wohl eine historische Medaille war. Aber die Erzählung in den Geschichtsbüchern wird eben die einer Tragödie sein und nicht die eines Triumphes. Nach der EM ist Ende für den C2. Weltcups und Weltmeisterschaften wird es erst mal nicht mehr geben für sie. Der internationale Verband hat die Disziplin gestrichen. Es ist das Karriereende für viele, mehr oder weniger von einem Tag auf den anderen. Wahrscheinlich auch für die Schkopauer Becker, 27, und Behling, 28, die vergangenes Jahr noch Weltcup-Gesamtsieger und WM-Dritte wurden.

Becker und Behling haben schon viel durchgestanden. Als Schlag- und Steuermann haben sie sich durch die Wellen gewunden. Sie haben sich um rot und grün geringelte Torstangen geschlängelt, aufwärts wie abwärts, zwischen Walzen und Kehrwassern, Becker hinten und Behling vorn. Die Freunde haben nicht nur Wildwasser gemeistert: Auch die Krebserkrankung Beckers und ein komplettes Jahr Pause 2013; das hat sie noch stärker gemacht. Und jetzt, wo sie zurück sind und gut wie nie, soll einfach Schluss sein.

Den anderen deutschen Booten, Franz Anton und Jan Benzien sowie David Schröder und Nico Bettge geht es nicht besser. Anton wird im C1 weiterpaddeln, Benzien seine Karriere beenden. Sonst ist vieles unklar. Gewiss ist ihnen nur das Mitleid der Kollegen. Auf Facebook und Twitter kursiert sogar ein Hashtag #IloveC2 , unter dem sich hunderte solidarisieren. Andere zucken mehr oder minder mit den Schultern. Es war klar, dass irgendwann Schluss ist, nachdem das Internationale Olympische Komitee (IOC) den C2 aus dem olympischen Programm gekickt hatte. Aber so plötzlich?

Ab und an sei schon mal ein toter Hecht vorbeigetrieben

„Man hätte wenigstens bis nach der Saison warten können“, sagt Thomas Becker. Der ganze Winter, das Schuften im Kraftraum, auf Laufbändern und an der Kletterwand, die Technikeinheiten auf dem Wasser – alles war schon gelaufen, als Ende März das Aus bekannt wurde. Da liefen schon die Frühjahrsrennen. Auch Förderverträge waren schon unterschrieben. Die seien im Kanu ohnehin mühselig, erklärt Robert Behling. „Und dann gehst du zu Sponsoren und sagst: Hey, wir brauchen euer Geld nicht.“ „Respektlos“ nannte der Leipziger Weltmeister Franz Anton die Art der Mitteilung: Einige Paddler hatten von der Entscheidung erst aus den Medien erfahren.

Die EM sollte jetzt ein anständiger Abschluss werden. Entsprechend gewissenhaft war die Vorbereitung. Der Deutsche Kanu-Verband (DKV) hat extra noch mal Betreuer mitgenommen für die drei Boote. Video-Sequenzen gab es zu jedem Lauf. „Wir wollten den Jungs nochmal ermöglichen, sich so professionell es irgend geht vorzubereiten“, sagt Chef-Bundestrainer Michael Trummer. Noch mal alles mobilisieren auf der Moldau für das große Finale. Das Hotel ist nur einen Spaziergang von der Strecke entfernt.

Und an die trübe Brühe hat man sich schon gewöhnt. Auch an den Gestank, vor allem an heißen Tagen wie diesen. Ab und an sei schon mal ein toter Hecht vorbeigetrieben, sagt Trummer. Das schreckt in Prag weder Sportler noch Zuschauer ab. Die Tribünen im Stadtteil Troja sind voll. Tschechen sind fanatische Kanuliebhaber: Wer Plätze direkt an der Strecke will, muss frühmorgens kommen und dann bloß nicht wieder verschwinden. Ein gebührender Abschied für die Canadier, wenn schon die Umstände unwürdig sind. Was hat der Verband sich dabei gedacht?

Dem IOC geht es formal um Geschlechtergleichheit

Bei Olympia ist die Sache klar. Dem IOC geht es formal um Geschlechtergleichheit. Statt dem C2 rückt 2020 in Tokio erstmals der C1 der Frauen ins Programm – und dann womöglich vier Jahre später der Mixed C2. Letzteres: ein Boot, das eigentlich niemand will – und bislang auch niemand so recht hat, sieht man einmal von den Nachwuchs-Vorzeigenationen Frankreich und Tschechien ab.

Es ist die Logik der Sportpolitik: Mehr Disziplinen bedeuten mehr Medaillen. Problem nur: Das Boot ist voll, wenn man so will. Mehr Teilnehmer sollen es bei Sommerspielen bitte nicht werden. Also sollen, so hört man, Mann und Frau, die schon einzeln qualifiziert sind, im Mixed dann noch mal gemeinsam antreten. In Deutschland könnten das etwa die Augsburger Ricarda Funk und Hannes Aigner sein. Die würden dann weiter wie immer im Kajak trainieren, und sich dann eben ab und an mal gemeinsam ins Boot hocken. Aber spezialisieren? Das könne er sich hierzulande noch nicht vorstellen, sagt ein Betreuer des deutschen Teams. Olympisches Spitzenniveau kommt so kaum zustande. Aber das war ja auch nie Sinn der Sache.

Becker und Behling werden sich nach der EM mit der Polizei zusammensetzen. Fallen lässt sie ihr Arbeitgeber erst mal nicht. Aber eine Entscheidung muss her. Ein Umstieg in den Einer kommt eigentlich nicht infrage. Die Zeit dafür bekämen sie zwar. Aber bei der nationalen Konkurrenz ist das fast aussichtslos. Also ganz weg vom Sport? Trainer in Vollzeit gibt es im Kanusport kaum. „Erst mal Praktikum machen“, sagt Thomas Becker. Schauen, was möglich ist. Mobile Kontrolle und Überwachung oder Kriminaldienst – Spuren lesen statt Wasser? Auch eine Fortbildung zum gehobenen Dienst mittels Studium wäre möglich.

Ein bisschen dürfen sie noch hoffen. Die Hoffnung heißt Tony Estanguet, ist Olympiasieger und Star des Wildwassersports. Der einstige Weltklassepaddler sitzt seit einiger Zeit nicht mehr im Boot, sondern im Organisationskomitee für die Olympischen Spiele 2024 in Paris. Gastgeber dürfen bekanntlich beim IOC ein Wort mitreden, wenn es ums Programm geht. Vielleicht legt der smarte Franzose ein gutes Wort ein für seine Kanukollegen. Wer weiß schon, was morgen ist, im schnelllebigen Spitzensport.Anne Armbrecht

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