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Forciert das Tempo. Claudia Pechstein kämpft um Akzeptanz im deutschen Eisschnelllauf.

© Sergei Grits/dpa

Kampf im deutschen Eisschnelllauf: Claudia Pechstein und ihr Kleinkrieg auf dem Eis

Gemeinsam mit ihrem Lebensgefährten nimmt Claudia Pechstein Einfluss auf den deutschen Eisschnelllauf-Verband. Darunter leidet die Sportart.

Ritsch, ratsch, ritsch, ratsch. Diese schneidenden Geräusche beim Start – sie sind prägnant und gehen auf die Ohren. Doch sobald es losgegangen ist, werden ritsch und ratsch von angenehmer Stille auf dem Eis abgelöst. Blitzschnell auf diesen seltsamen Schlittschuhen über das Eis jagen – das kann nicht jede oder jeder. Allein die Kurven auf dem 400-Meter-Oval im richtigen Winkel zu durchlaufen auf den langen Kufen, ist ein Kunststück. Eisschnelllauf ist eine Kunst, Eisschnelllauf ist Eleganz, ist Dynamik – und ist in Deutschland: Claudia Pechstein.

Sie ist die erfolgreichste deutsche Winter-Olympionikin mit ihren fünf Goldmedaillen zwischen 1994 und 2006, etlichen Weltmeistertiteln (der letzte 2015) und Weltcupsiegen. Und sie ist natürlich die Rekordtitelträgerin bei deutschen Meisterschaften. Doch die inzwischen 47 Jahre alte Dauerläuferin kämpft eben auch seit Jahren um ihren Ruf und polarisiert. In dieser Saison scheint sie sogar noch einmal einen draufzusetzen.

Weil sie sich mit neuen Bundestrainer Erik Bouwman überworfen hat, trainiert sie nun mit der polnischen Nationalmannschaft. Außerdem will sie Einfluss nehmen auf den Verband und ihren Lebensgefährten Matthias Große an der Spitze installieren. Denn die Deutsche Eisschnelllauf-Gemeinschaft (DESG) ist führungslos, Präsidentin Stefanie Teeuwen ist zurückgetreten, Vizepräsident Hubert Graf auch. Den Verband drücken Schulden.

Große machte sofort Wahlkampf für sich. Im Verband hätten sie über die Verhältnisse und „wie die Fürsten“ gelebt, ließ er wissen. Er könne als erfolgreicher Unternehmer sicher etwas bewegen. Zudem hatte Pechsteins Lebensgefährte den Bundestrainer in Frage gestellt. Daraufhin flog Große vor dem ersten Weltcup an diesem Wochenende in Minsk aus dem Betreuerstab.

Sportdirektor Matthias Kulik sprach von „teilweise unsachgemäßen und verbandsschädigenden Aussagen von Herrn Matthias Große gegen unsere aktuelle leistungssportliche Verbandsstrategie“. Die Retourkutsche von Pechstein kam in einem offenen Brief, den sie über „Facebook“ verbreitete. Die „vorsätzliche Schädigung meines sportlichen Weges und meines Umfeldes“ seien „der falsche Weg, Herr Sportdirektor!“, schreibt sie und kündigte Gespräche mit dem Deutschen Olympischen Sport-Bund und dem Innenministerium an.

Was Pechstein erlebt habe, sei „nicht überlebbar“

Es ist die nächste von vielen Streitereien, die es in den vergangenen Jahren gab. Und daran zeigt sich wieder einmal: Das Paar Claudia Pechstein und Mathias Große ist dem großen Rest der Szene nicht geheuer. Dafür gibt es Gründe. Der Unternehmer Große ist eine imposante Erscheinung, ein kräftiger großer Mann mit fast kahlgeschorenem Schädel. Seit 2010 ist er an der Seite von Claudia Pechstein und fast immer präsent bei öffentlichen Auftritten. Bei Pressekonferenzen sitzt er neben seiner Lebensgefährtin und ergreift gerne das Wort. Vor allem, wenn es darum geht, Claudia Pechstein zu verteidigen. Was die nämlich erlebt habe, sei an sich „nicht überlebbar“ gewesen, hat Große einmal formuliert.

2009 hatte der Weltverband ISU die Läuferin wegen angeblichen Blutdopings für zwei Jahre gesperrt, zu Unrecht. Es wurde konstatiert, dass Pechstein unter einer seltenen Blutanomalie leidet. Doch wegen der Sperre verpasste sie Olympia 2010. „Die Spiele in Vancouver sind mir durch die Bosse des Weltverbandes gestohlen worden“, sagte Pechstein dem Tagesspiegel. „Das war Betrug am Fair-Play-Gedanken und an mir. Jede Medaille, die ich seit meinem Comeback gewonnen habe, ist eine schallende Ohrfeige für den Weltverband, der sich 2009 nicht zu blöde war, zu behaupten, in meinem Alter seien solche Top-Leistungen, wie ich sie bringe, sauber nicht möglich.“ Matthias Große hat sie in ihrer „schlimmsten Zeit“ aufgebaut, wie Pechstein sagt.

Erst am Dienstag, kurz vor ihrem Abflug zum Weltcup nach Minsk, hat Pechstein noch einmal herausgestellt, wie wichtig ihr Partner für sie sei. „Dass ich heute vor Ihnen stehe und weitere Erfolge feiern könnte, habe ich Matthias Große zu verdanken“, sagte sie bei einer Rede in Potsdam. Große hat Pechstein schon in vielen Funktionen begleitet – als Mentalcoach, als Trainer am Eis. Einmal wurde er gefragt, welche Qualifikation er dafür mitbringe. Große erzählte, dass er bei den Eisbären mal zum Spaß beim Eishockey dabei gewesen sei.

Wollen Einfluss nehmen im deutschen Eisschnelllauf: Claudia Pechstein und ihr Lebensgefährte Matthias Große.
Wollen Einfluss nehmen im deutschen Eisschnelllauf: Claudia Pechstein und ihr Lebensgefährte Matthias Große.

© Nico Tapia/dpa

Das allein qualifizierte ihn natürlich nicht, auch wenn er weiß, wie es läuft. Lange stand er bei Wettkämpfen anfeuernd als Pechsteins Trainer in der Kurve, auch bei den olympischen Winterspielen 2014 in Sotschi. Da hatte die Berlinerin Pech, kam auf die undankbaren Plätze vier über 3000 Meter und fünf über 5000 Meter. In Pyeongchang 2018 lief sie dann weiter hinterher.

So beachtlich ihr Niveau noch immer ist und so betrüblich der Umstand ist, dass die deutschen Talente an sie nicht herankommen, so sicher ist es auch, dass der Verband nicht dauerhaft auf Pechstein setzen kann. Schon jetzt läuft sie nicht mehr vorne mit. Zwar war sie über die 3000 Meter zum Weltcup-Auftakt am Freitag wieder beste Deutsche, dennoch reichte es nur für Platz 14 von 16 Starterinnen in der A-Gruppe.

Klar, Pechstein hat immer noch Freunde und Fans. Aber bei vielen war und ist sie auch unbeliebt. So berichten frühere Wegbegleiter, dass sie schon in jungen Jahren als unsympathisch galt. Wer viel Erfolg hat, der hat halt auch viele Feinde. Pechstein hat sich allerdings auch manchem mal abgesondert – zuletzt als sie zum Training nach Polen ging, weil der Bundestrainer angeblich „keinen Bock“ auf sie hatte, und auch vor Olympia 2018, als sie sich mit einem eigenen Team vorbereitete. Trotzdem schein es fast so, dass die sportlichen Leistungen im Hintergrund stehen, weil Claudia Pechstein seit Jahren ihren Kampf gegen den Weltverband und alle führt, die sie nicht mögen. Ihr Partner bestärkt dabei.

Eisschnelllauf nur noch am Rande des deutschen Wintersports

Aktivensprecher Moritz Geisreiter hält nichts von einer Kandidatur Matthias Großes bei den Präsidentschaftswahlen der DESG. Der Unternehmer wäre nicht der Richtige, sagte der frühere Eisschnelllauf- Olympiateilnehmer auf Nachfrage des Tagesspiegels: „Ich bin der Meinung, dass er deshalb nicht geeignet ist, weil er sehr stark polarisiert.“ Geisreiter sieht einen „Interessenkonflikt“, denn Große sei vor allem Interessensvertreter von Pechstein.

Der Verband ist allerdings so weit unten, dass vieles möglich ist. Erfolge fehlen, das Geld fehlt. Und seit das ZDF Eisschnelllaufen nicht mehr so oft überträgt wie früher, als der damalige Sportchef Wolf-Dieter Poschmann seine schützende Hand über die Sportart hielt, findet sie nur noch am Rande des deutschen Wintersports statt. Wenn Pechstein sich irgendwann dann doch einmal allein auf ihren Beruf als Polizistin konzentriert, dann könnte der Sport völlig in der Nische verschwinden.

Denn ihr Name, verbunden mit Erfolgen und großen Zeiten und deutschen Erfolgen auf dem Eis, ist immer noch groß. Dass sich seit einem Jahrzehnt Vieles auf Claudia Pechstein und ihren Konflikt mit dem Weltverband reduziert, hält Aktivensprecher Geisreiter, der bis 2018 selbst noch aktiv war, für sehr bedenklich: „Dieser Kleinkrieg tut unserem Sport nicht gut.“ Der Verband brauche dringend einen Sponsor. Den zu finden, sei angesichts des Konfliktes um Pechstein sehr, sehr schwer. Eines von zwei verbliebenen Verbandsmitgliedern im Präsidium formuliert es deutlich. „Ich finde es schade und schlecht, dass sie diesen Weg des öffentlichen Prangers geht“, sagt Uwe Rietzke.

„Nicht geeignet“: Athletensprecher Moritz Geisreiter sieht einen Interessenskonflikt bei Matthias Große.
„Nicht geeignet“: Athletensprecher Moritz Geisreiter sieht einen Interessenskonflikt bei Matthias Große.

© Soeren Stache/dpa

Einer, der hat versucht, dem Sport neue Impulse zu geben, ist Robert Bartko, der frühere Radprofi. Von Dezember 2014 bis nach den Olympischen Spielen 2018 in Pyeongchang war er Sportdirektor der DESG. Dort hatte es wieder einmal keine Medaillen für die deutschen Läufer gegeben. Dass der deutsche Eisschnelllauf nur drei Leistungszentren und Hallen in Berlin, Erfurt und Inzell hat, zählt für Bartko nicht als alleiniger Grund dafür, dass es so schlecht um die Sportart hierzulande steht. „Es ist so eine schöne ästhetische Sportart“, sagt er. „Es ist bedauerlich, dass man sich nicht auf den Prozess fokussiert und es so eine Unruhe gibt.“

Dass es bis zu den Winterspielen 2022 in Peking besser läuft, davon kann angesichts der derzeitigen Situation nicht ausgegangen werden. Claudia Pechstein will dann wieder an den Start gehen. Für sie geht es dabei aber wohl mehr um Akzeptanz als um eine olympische Medaille, die angesichts der jungen Konkurrenz aus anderen Ländern außerhalb des Möglichen erscheint. Ihrem Gefährten Matthias Große verdanke sie, dass sie dann als als fast 50-Jährige noch einmal bei Olympischen Spielen antritt, sagt sie. Ob ihr Verband das aber auch will, ist eine andere Frage.

Ritsch, ratsch.

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