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Kai Havertz im August beim Training in Leverkusen.

© Martin Meissner/ Reuters

Kai Havertz wechselt zum FC Chelsea: Absurde 100 Millionen Euro

Der Transfer von Kai Havertz zum FC Chelsea zeigt, wie enthemmt der Markt im Profifußball trotz Coronavirus-Pandemie nach wie vor ist.

Das ist natürlich "eine riesen Geschichte", sagte Joachim Löw, nach dem er Kai Havertz am Freitag erlaubt hatte, das Quartier der deutschen Nationalmannschaft zu verlassen. Der 21 Jahre alte Mittelfeldspieler habe schließlich in London ein paar vertragliche Details zu klären, erzählte der Bundestrainer beinahe beiläufig und werde daher auch das zweite Spiel der Nations League am Sonntag in der Schweiz (20.45 Uhr/ZDF) verpassen.

In der britischen Hauptstadt, genauer beim ansässigen FC Chelsea, tütete Havertz dann am Abend nichts geringeres als den größten Deal der deutschen Fußballgeschichte ein. Das Gesamtvolumen des Deals soll bei 100 Millionen Euro liegen. Havertz ist damit der teuerste deutsche Spieler der Bundesliga-Historie.

Einer der am meisten umworbenen Spieler in ganz Europa

Und genau dieses Paket wird Kai Havertz nun jedes Mal mit auf den Rasen tragen. Läuft es im Team von Frank Lampard anfangs gleich gut für ihn, wird er es vielleicht allmählich abschütteln können. Sollte es nicht so sein und der schlaksige Deutsche sich schwertun in dieser doch sehr physischen Liga, kann es schnell zur Last werden.

Um nicht falsch verstanden zu werden: Kai Havertz ist hochbegabt und trotz seines jungen Alters ein fantastischer Fußballspieler. Nicht umsonst war er schon als 19-Jähriger einer der am meisten umworbenen Spieler in ganz Europa. Und trotzdem mutet die gigantische Ablösesumme absurd an.

Corona hat Profivereine an den Rand der Insolvenz gedrängt

Gerade jetzt, wo die Corona–Pandemie nicht nur die Welt des Fußballs in Atem hält. Im Frühjahr hatte sie nicht nur zum Stillstand des Spielbetriebs geführt, sondern selbst zahlreiche Profivereine an den Rand der Insolvenz gedrängt. Daran hatte sich eine Debatte über die Maßlosigkeiten und Auswüchse des Profifußballs, wie überkandidelte Ablösesummen und Spielergehälter entfacht. Das System sei krank und daher reformbedürftig, riefen die Fans. Nicht nur sie wünschten sich ein Umdenken.

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Seit der mit Scheich-Millionen aus Katar aufgepumpte Klub Paris Saint-Germain im August 2017 die fast schon unanständige Summe von 222 Millionen Euro für den Spieler Neymar ausgab, kannte der Markt keine Hemmungen mehr. Selbst für weniger talentierte Spieler waren horrende Ablösesummen fast schon normal geworden. Noch im vorigen Sommer gab der FC Barcelona 120 Millionen Euro für Antoine Griezmann und der FC Bayern München 80 Millionen für Lucas Hernandez aus.

Gehaltsobergrenze diskutiert

Als in diesem Juli einige Vereine und selbst die Deutsche Fußball-Liga über die Einführung von Gehaltsobergrenzen diskutierten, bezahlte Borussia Dortmund mal eben 26,5 Millionen Euro für einen 17-Jährigen. Dabei hatte Jude Bellingham noch nicht ein einziges Erstliga-Spiel absolviert.

Der Transfermarkt hat sich nur unterhalb der absoluten Spitzenspieler und -talente etwas beruhigt. Thomas Müller vom FC Bayern hatte unlängst hohe Ablösesummen in der Corona-Krise in Frage gestellt. Der 30 Jahre alte Weltmeister von 2014 fand es "absurd", dass man "über Neuzugänge spricht und gleichzeitig Gehälter eingespart werden". Müller wurde von seinem Klub zurückgepfiffen, das Thema bleibt aber relevant.

Teil eines Systems

Das alles ist aber Teil eines Systems, an dessen Spitze die Akteure offenbar auch weiterhin keinen Grund sehen, das eigene Handeln zu hinterfragen. Das Virus hat den Fußball gezwungen, sich Fragen zu stellen. Nur wie fallen die Antworten aus? Der FC Chelsea hat die Frage für sich mit einem klaren "Weiter so" beantwortet.

Der vom russischen Investor Roman Abramowitsch alimentierte Klub hatte vor Havertz schon Timo Werner für 53 Millionen Euro von RB Leipzig, Ben Chilwell für 50 Millionen von Leicester City und Hakim Ziyech von Ajax Amsterdam für 40 Millionen Euro verpflichtet. Wer will, kann darin den ganz normalen Wahnsinn entdecken.

"Ihm sind fußballerisch keine Grenzen gesetzt"

Kai Havertz wird sehr wahrscheinlich seinen Weg finden, trotz der hohen Ablöse. Der frühere Bundestrainer Rudi Völler, der bei Havertz abgebenden Verein Bayer Leverkusen als Sportchef arbeitet, kam regelmäßig ins Schwärmen, wenn die Sprache auf das besondere Talent kam. "Ihm sind fußballerisch keine Grenzen gesetzt", sagte Völler. Er sei zudem ein "total geerdeter" Mensch, die Gefahr, dass er die Bodenhaftung verliere, bestehe nicht.

Für Völler stellt der gebürtige Aachener "einen Mix aus Michael Ballack und Mesut Özil dar". Vom Laufstil und der Eleganz wirke er wie Özil, von der körperlichen Entwicklung, der Robustheit, der Kopfballstärke und der Torgefährlichkeit wie Ballack. Für den früheren Bundestrainer ist Kai Havertz "ganz klar der deutsche Spieler der kommenden zehn Jahre". Der teuerste ist er schon.

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