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Dank Jessic Ngankam (vorne rechts) steht Hertha BSC dicht vor dem Klassenerhalt.

© Ulrich Hufnagel / Hufnagel PR /

Jessic Ngankam ist seit bald 15 Jahren bei Hertha BSC: Ein Eigengewächs macht das vielleicht wichtigste Saisontor

Den Sieg bei Schalke 04 sichert keiner der „Millionenspieler“. Sondern der 20 Jahre alte Ngankam, der in den Wochen zuvor nicht einmal im Kader stand.

Es ist schon eine Weile her, in der Länderspielpause Ende März, da äußerte sich Pal Dardai ausführlich zu Jessic Ngankam. Er kenne Ngankam seit Jahren aus dem Jugendbereich, „wir haben viele Turnier zusammen gewonnen. Ich mag Jessic“, sagte der Trainer von Hertha BSC.

Aber für ihn sei er kein Flügelspieler, dort hatte Vorgänger Bruno Labbadia den 20-Jährigen öfter eingesetzt, sondern ein Mittelstürmer. Da habe Ngankam mit Jhon Cordoba und Krzysztof Piatek um einen Platz zu kämpfen. „Ich sehe nicht, dass er die Nase vorn hat“, sagte Dardai. Der Name Ngankam tauchte weiterhin nicht im Kader für die Spiele auf.

Am Mittwoch gewann Hertha dann 2:1 (1:1) beim Absteiger FC Schalke 04, machte nach einer dramatischen Nachspielzeit einen Riesenschritt Richtung Klassenerhalt. Danach war Ngankam ein großes Thema. „Er ist immer gut im Training“, sagte Dardai und erwähnte noch einmal die Konkurrenz durch die „Millionenspieler“ Cordoba und Piatek.

Mit Blick auf Ngankams Situation tue ihm das Herz weh, bekannte Dardai. „Es ist schön, dass er in dem Moment, in dem die Chance da ist, das Tor macht.“ Ngankam hatte Hertha zum Sieg geschossen.

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Die Chance kam, weil bei den Berlinern momentan vieles anders ist als sonst. Die Mannschaft spielt seit der Rückkehr aus der Corona-Quarantäne im Dreitagesrhythmus um den Klassenerhalt und längst macht sich die hohe Belastung bemerkbar. Die Zahl der Ausfälle steigt mit jedem Spiel an, auf Schalke erwischte es Piatek, der sich eine Fraktur im Sprunggelenk zugezogen hat und in dieser Saison nicht mehr spielen kann.

Ngankam wurde 15 Minuten nach seiner Einwechslung im Strafraum von Nemanja Radonjic bedient, legte sich den Ball vom rechten auf den linken Fuß und traf. „Ich habe das gemacht, was ich die Tage zuvor trainiert habe“, sagte er bei Sky. Ngankam hatte vorab mit Herthas Torhütern über exakt solch eine Szene gesprochen. Von dort erhielt er die Rückmeldung, dass ein Schuss ins kurze Eck quasi unhaltbar sei.

Wie besprochen, setzte er es bei seinem ersten Einsatz seit Februar, damals sechs Minuten gegen RB Leipzig, in der Praxis in die Tat um.

Der Angreifer begann bei den Reinickendorfer Füchsen mit dem Fußballspielen. Mit sechs Jahren ging er zu Hertha – und bis heute nie weg. Er war mit dem Klub deutscher A-Jugendmeister, wurde Torschützenkönig in der A-Junioren-Bundesliga und erreichte mit dem DFB-Team das Viertelfinale der U 17-WM.

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„Ich bin ein richtiger Herthaner. Da ist man umso stolzer, der Mannschaft ein bisschen geholfen zu haben“, sagte Ngankam nach seinem zweiten Bundesligator in einer Mischung aus riesiger Freude und großer Bescheidenheit.

Auf der Bank umarmten sich Dardai und Co-Trainer Andreas „Zecke“ Neuendorf. Der Trainer erzählte danach, Neuendorf habe gelacht und ihm gesagt, er hätte Recht behalten. Denn Dardai habe vor zwei Monaten in einem Interview orakelt, dass es vielleicht Ngankam sei, der das wichtigste Tor der Saison erziele.

Den Treffer so hoch einzuordnen, dürfte nicht übertrieben sein. Nach Monaten des Abstiegskampfes haben es die Berliner am Samstag im Olympiastadion gegen den 1. FC Köln (15.30 Uhr, live bei Sky) in eigener Hand, die über weite Strecken freudlose Saison zu einem guten Ende zu bringen. Ein Sieg würde den vorzeitigen Klassenerhalt bedeuten, womöglich reicht bereits ein Punkt.

Hertha holt acht Punkte aus vier Spielen

Vor zwei Wochen beendete Hertha die Corona-Quarantäne, stieg von Platz 17 wieder in den Spielbetrieb ein. Vier Partien und acht Punkte später ist die Situation eine völlig andere. „Jetzt haben wir zwei Matchbälle“, freute sich Dardai. Das Team steckte den frühen Rückstand durch Amine Harit weg und glich durch Dedryck Boyata aus. In der zweiten Halbzeit spielte fast nur noch Hertha. Doch nach Ngankams Tor verpassten es die Gäste, für die Entscheidung zu sorgen.

So entwickelte sich eine denkwürdige Nachspielzeit. Fünf Minuten waren angezeigt, sechs wurden es und mittendrin trafen die Schalker Skhodran Mustafi und Benito Raman innerhalb von zwei Sekunden den Pfosten. „Wir haben so viele Tore aus dem Nichts bekommen in diesem Jahr. Nun hat der Fußballgott etwas zurückgegeben“, sagte Dardai.

Die Mannschaft hat mit einer großen Energieleistung erneut gezeigt, dass sie trotz der zahlreichen Rückschläge alles tut, um in der Bundesliga zu bleiben – und damit etwas zu schaffen, was nicht wenige Hertha nach der Quarantäne kaum noch zugetraut hatten. „Wir sind eine verschworene Gemeinschaft geworden“, sagt Torwart Alexander Schwolow.

Bei Schalke 04 zeigte sich erneut, dass es auf jeden Spieler ankommen kann. Ngankam ist das beste Beispiel, auch Jonas Michelbrink, 19, überzeugte beim Debüt. Beide dürfen gegen Köln auf den nächsten Einsatz hoffen. Ngankam rückt vielleicht sogar in der Startelf, weil sich die bereits vor dem Spiel am Mittwoch angespannte Personallage verschärft hat, vor allem in der Offensive.

Neben Piatek werden Vladimir Darida wegen einer Gelbsperre und Dodi Lukebakio fehlen. Über dessen Gelb-Rote Karte kurz vor dem Abpfiff nach nur 30 Einsatzminuten ärgerte sich Trainer Dardai: „Das war unnötig. Jetzt kommt der böse Trainer zu ihm. Irgendwann reicht es mit nett sein.“

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