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Erste! Caster Semenya wurde vor wenigen Wochen in London zum zweiten Mal Weltmeisterin über die 800 Meter.

© Reuters

Istaf in Berlin: Die intersexuelle Caster Semenya ist natürlich überlegen

Caster Semenya ist intersexuell und schneller als ihre Konkurrentinnen. Wie umgehen mit ihr? Die Leichtathletik-Verbände wissen nicht weiter.

Caster Semenya sagt, dass Berlin ihre Stadt sei. „Auch in schlechten Zeiten bin ich hier freundlich empfangen worden.“ Trotzdem weiß man nicht genau, ob sie beim heute stattfindenden Leichtathletikmeeting Istaf im Berliner Olympiastadion nun an den Ort zurückkommt, an dem sie ihre traumhafte Karriere startete oder ob es der Ort ist, an dem ihr Albtraum begann. Überhaupt, und darin liegt die ganze Tragödie begründet, ist kennzeichnend für Caster Semenya, dass über ihrem Kopf ein großes, imaginäres Fragezeichen schwebt. Und dieses Fragezeichen ist in den vergangenen Jahren nicht kleiner geworden.

Wer Caster Semenya ist, fragten sich viele zum ersten Mal vor acht Jahren bei der Leichtathletik-WM in Berlin. Semenya, damals18 Jahre alt und wenige Monate zuvor noch völlig unbekannt in der Läuferszene, nahm die Weltelite über 800 Meter auseinander und wurde Weltmeisterin. Mit gut zehn Metern Vorsprung raste sie ins Ziel. Der Teenager aus Südafrika kam aus dem Nichts, aber er hinterließ keine Verzückung, wie es der Sprinter Usain Bolt bei der WM in Berlin tat. Der Auftritt von Semenya hinterließ viele Fragen, vor allem die eine: Ist Caster Semenya eine Frau?

Pierre Weiss, damaliger Generalsekretär des internationalen Leichtathletikverbandes IAAF, trug seinerzeit nicht zur Klärung der Frage bei, als er sagte, Semenya sei eine Frau, aber wohl keine einhundertprozentige. Danach wurde es richtig hässlich für Semenya.

Geschlechtstests wurden angeordnet, Semenya wurde gesperrt, man ließ sie wieder starten, dann nur mit künstlich gesenktem Testosteronwert. Seit 2015 darf sie wieder mit ihrem naturgegebenen Hormonhaushalt laufen. Kurz vor der WM in diesem Jahr in London veröffentlichte die IAAF eine Studie, die belegen soll, was in Fachkreisen seit vielen Jahren bekannt ist: Dass Frauen mit erhöhten Testosteronwerten besser sind. Im Bereich von 1,8 bis 4,5 Prozent beziffert die Studie die Vorteile durch erhöhtes Testosteron. Bald schon dürfte erneut darüber entschieden werden, ob und – wenn ja – unter welchen Bedingungen Semenya starten darf.

„Dieses ewige Hin und Her ist auch ein Zeichen für die Hilflosigkeit der Sportorganisationen in dieser Frage“, sagt Clemens Prokop. Der scheidende deutsche Leichtathletikverbandspräsident hat die Diskussionen um Semenya in all den Jahren verfolgt. Prokop hat mitbekommen, wie einzelne Athleten lästerten über Semenya; wie Funktionäre und wie die Öffentlichkeit die junge Frau behandelten, teilweise wie eine Verbrecherin – das Mannsweib, das den Frauen die Titel klaut.

"Welche körperlichen Unterschiede kann man noch hinnehmen?"

„Wie mit ihr in den vergangenen Jahren umgegangen worden ist, war sicher nicht gut und hat zur Stigmatisierung beigetragen“, sagt Prokop. Er versucht, den Fall differenziert zu betrachten. So sei die Leistung im Sport immer auch auf die naturgegebene Veranlagung zurückzuführen. Ein großer Mensch habe im Hochsprung eben größere Gewinnchancen als ein kleingewachsener, sagt Prokop. „Der Zwiespalt in dem sich die Leichtathletik bewegt, ist, welche körperliche Unterschiede man hinnimmt und welche eben nicht mehr.“

An dieser Frage scheiden sich die Geister. Der Berliner Endokrinologe Sven Diederich ist der Ansicht, dass ein deutlich erhöhter Testosteronspiegel eine Trennlinie sein sollte. „Damit geht ein erheblicher Wettbewerbsvorteil einher, sowohl was die Muskelmasse als auch den Hämoglobinwert betrifft“, sagt er. „Nicht die Chromosomen machen den Leistungsunterschied, sondern das Testosteron.“

Der Fall Caster Semenya ist deshalb so schwer einzuordnen, weil keine veröffentlichte Diagnose vorliegt. Es gibt aber kaum Zweifel daran, dass sie intersexuell ist. Das heißt, sie ist anatomisch und hormonell nicht eindeutig dem weiblichen oder dem männlichen Geschlecht zuzuordnen. Sicher weiß man, dass Semenyas Testosteronwert deutlich über dem Durchschnittswert von Frauen liegt. Aber wie hoch er genau ist, auch darüber gibt es keine publizierten Daten – in Zeiten von professionellen Hackergruppen und Datenleaks ist das erstaunlich. Ihre Privatsphäre konnte bis heute geschützt werden. Gerade darin liegt aber auch die Ursache für die ständigen Diskussionen um ihre Person und auch für die ständigen Vorwürfe. So heißt es aus Athletenkreisen immer wieder, dass sie noch viel schneller laufen kann, es aber nicht tut, um nicht noch mehr aufzufallen.

Semenya sagt, sie sei als Frau aufgewachsen, fühle sich als Frau und – das äußerte sie jüngst – pinkle im Sitzen. Für Endokrinologen wie Diederich sagt das nicht viel über die Sexualität aus. „Leider wurden und werden immer noch in vielen Ländern, auch in Afrika, viele Fälle von Intersexualität nicht richtig behandelt. Es gibt in diesen Ländern häufig kein vernünftiges medizinisches Setting für Intersexuelle“, sagt er.

Caster Semenya ist kein Einzelfall. „Es gibt noch mehrere intersexuelle Top-Läuferinnen, ich möchte da aber keine Namen nennen“, sagt Prokop. Die Leichtathletik hat in jedem Fall ein Problem und sie ist es Caster Semenya, anderen Intersexuellen sowie allen Läuferinnen wohl schuldig, eine Lösung zu finden. Bisher aber gibt es nur Fragen.

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