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Unbeugsam. Saeid Mollaei, hier bei seinem WM-Sieg im September 2018, will Sportler sein. Und kein politisches Instrument.

© Mladen Antonov/AFP

Irans Judoka Saeid Mollaei: Im Kampf gegen die Heimat

Der Iran verbietet seinen Sportlern, gegen Israelis anzutreten. Judoka Saeid Mollaei nimmt das nicht hin – und muss sich in Deutschland verstecken.

Dass Saeid Mollaei ein Kämpfer ist, sieht man sofort. Sein Gesicht ist zerbeult und vernarbt, die Nase schief, sein rechtes Ohr verknorpelt. Mollaei wird „Tiger von Teheran“ genannt, seine Stimme aber ist sanft, Blickkontakt im Gespräch vermeidet er. Der 27-Jährige ist einer der besten Judoka der Welt, in der Gewichtsklasse bis 81 Kilogramm wurde er im vergangenen Jahr Weltmeister. „Ich bin ein Kämpfer, ich will immer kämpfen“, sagt er leise. Auch gegen seinen mächtigsten Gegner, gegen den er bisher stets verloren hat, würde er gerne die bloße Kraft seines gestählten und geschundenen Körpers einsetzen.

Dieser Gegner ist sein Heimatland, der Iran, vor dem er sich im Moment in Deutschland verstecken muss.

Ende August wollte Mollaei bei der WM in Tokio erneut Weltmeister werden, auf Befehl aus Teheran aber sollte er verlieren. Andernfalls wäre er im Finale auf den Israeli Sagi Muki getroffen – doch direkte Duelle zwischen iranischen und israelischen Sportlern sind von Irans Regierung nicht erwünscht. Als bislang prominentester iranischer Athlet begehrt Mollaei nun gegen diese Doktrin auf. „Ich habe Tag und Nacht davon geträumt, meinen Titel zu verteidigen“, sagt Saeid Mollaei, er habe so viel investiert. „Es gibt für mich als Sportler in diesem Land einfach keine Freiheit. Das ist der Grund, warum ich jetzt hier sitze.“ Der Grund, warum er seinem Land den Rücken gekehrt hat, seine Karriere aufs Spiel setzt – und sich und seine Familie in Gefahr bringt.

Schon lange instrumentalisiert die islamische Republik den Sport, um Politik gegen Israel zu machen. Seit der Islamischen Revolution im Jahr 1979 gilt Israel in der Sprache der Dogmatiker als „kleiner Satan“, kaum weniger gehasst als der „große Satan“ USA. Selbst der gemäßigte Präsident Hassan Rohani bezeichnete Israel im vergangenen Jahr als „Krebsgeschwür“. Was seine Athleten angeht, folgt die Führung im Iran der Auffassung Leo Trotzkis, nach welcher der Sport lediglich ein Ersatz für politische Handlungen ist: Weil Irans Regierung Israel nicht als Staat anerkennt, sollen auch die Sportler des Landes nicht gegen Israelis antreten. Denn das würde einer offiziellen Akzeptanz Israels gleichkommen.

Wo er sich aufhält, wird geheim gehalten

Mollaei hat sich gegen diese Praxis gewehrt und bekannt gemacht, wie der Iran Druck auf seine Sportler ausübt. Zunächst beugte sich Mollaei diesem Druck bei der WM noch, dann aber beschloss er, an die Öffentlichkeit zu gehen. Deswegen trainiert er jetzt nicht in Teheran, sondern hält sich an einem Ort in Süddeutschland auf, den der Judoweltverband IJF, der ihn unterstützt, geheim hält. Als Treffpunkt für ein Interview dient der sterile Konferenzraum eines Hotels, die Adresse hat der Verband erst eine Stunde vor Beginn des Gesprächs mitgeteilt. Zu viel steht für Mollaei und seine Familie auf dem Spiel.

Er wirkt angespannt, auch die IJF-Vertreter machen einen nervösen Eindruck. „Der Druck in den vergangenen Tagen war groß“, sagt Mollaei. Während er spricht, verzieht er keine Miene, blickt stur geradeaus, als lese er einen Text von einem inneren Teleprompter ab. Mollaei gibt sich große Mühe, die Worte sorgsam und bedächtig auszuwählen. Das tut auch sein Übersetzer, dem der Schweiß auf der Stirn steht. Sie alle sind sich bewusst darüber, dass das, was bei der Weltmeisterschaft in Tokio geschehen ist, ein sehr heikler Fall ist.

"Ich habe es satt, so satt"

Bereits zum vierten Mal in seiner Karriere hätten ihn die Sportfunktionäre zum Rückzug gezwungen, berichtet Saeid Mollaei, „ich habe es satt, so satt“. Im Viertelfinale hatte er den Russen Chassan Chalmursajew besiegt – den Olympiasieger. Dann jedoch sei er von den iranischen Sportfunktionären angewiesen worden, den Wettkampf trotz bester Erfolgsaussichten zu beenden, der Finalkampf gegen den Israeli sollte unbedingt verhindert werden.

Im WM-Halbfinale durfte Saeid Mollaei (r.) nicht gegen den Belgier Matthias Casse gewinnen.
Im WM-Halbfinale durfte Saeid Mollaei (r.) nicht gegen den Belgier Matthias Casse gewinnen.

© Reuters/Kim Kyung-Hoon

Vor dem Halbfinale gegen den Belgier Matthias Casse, so bestätigen es auch IJF-Mitarbeiter, sei aus der Anweisung an Mollaei eine konkrete Bedrohung geworden. Plötzlich verschaffte sich ein Angestellter der iranischen Botschaft Zugang zur Halle, wo die Wettkämpfe stattfanden. Zudem habe Mollaei kurz vor seinem Halbfinalkampf einen Anruf vom Präsidenten des Nationalen Olympischen Komitees Irans, Reza Salehi Amiri, erhalten. Dieser habe ihm berichtet, dass sich iranische Sicherheitskräfte im Hause seiner Eltern befänden. Mollaeis Widerstand war gebrochen.

So platzte das iranisch-israelische Finale. So platzte der Traum von der Titelverteidigung für Mollaei. Auch den Kampf um Platz drei verlor Mollaei – schon ein Foto auf dem Siegerpodest neben einem Israeli ist im Iran nicht erwünscht. Mollaei sagt, er habe in dem Kampf nur zehn Prozent seiner Leistung gegeben.

Er hätte Milde erwarten können. Doch er wollte etwas anderes

Nun hätte Saeid Mollaei es dabei bewenden lassen können, wie es andere iranische Sportlerinnen in ähnlichen Situationen getan haben. Er hätte zurück in sein Heimatland reisen können, wie es in der Vergangenheit bereits Ringer, Schwimmer und andere Athleten getan haben, ohne die inoffizielle Doktrin zu kritisieren. Wegen seiner Bockigkeit hätte er sich von den Funktionären sicher einiges anhören müssen. Mollaei ist in seiner Heimat allerdings ein gefeierter Star, er hätte einen Rüffel, aber doch Milde erwarten können. Aber das war nicht das, was er wollte.

Stattdessen bricht Mollaei das Schweigen, noch während der WM in Japan. Der Weltverband veröffentlicht auf seiner Webseite ein Interview, in dem der Iraner zu Protokoll gibt, von seinem Nationalen Olympischen Komitee zur Niederlage gedrängt worden zu sein. Ein Video zeigt ihn, wie er telefoniert, mit Funktionären spricht, in ein Handtuch weint, von Vertretern anderer Nationen getröstet wird. „Ich bin Sportler, kein Politiker“, sagt er in dem kurzen Film. „Ich hatte nie irgendetwas mit Politik zu tun.“ Er beteuert, sich an die Olympische Charta halten zu wollen, die jede Form von Diskriminierung verbietet.

Zwei Kilo zu viel beim Wiegen - kein Zufall

Erst im Mai hatte der Iran in einem Brief an den Weltverband erklärt, die Olympische Charta künftig uneingeschränkt zu respektieren. In den Jahren zuvor hatte es etliche Fälle gegeben, in denen iranische Athletinnen und Athleten es auf teils kuriose Art und Weise vermieden hatten, gegen Israelis anzutreten. So erschien Judo-Weltmeister Arash Miresmaeili bei den Olympischen Spielen 2004 in Athen – bei der Eröffnungsfeier hatte er die Fahne seines Landes getragen – zum Wiegen mit zwei Kilogramm Übergewicht und wurde disqualifiziert. Sein Gegner in der ersten Runde wäre ein Israeli gewesen.

In Deutschland erlangte der Fall Ashkan Dejagah große Aufmerksamkeit. Der in Berlin aufgewachsene Fußballer, der als Kind aus dem Iran nach Deutschland gekommen war, weigerte sich im Jahr 2007, mit der deutschen U-21-Nationalmannschaft in Tel Aviv zu spielen. „Das hat politische Gründe“, wurde er damals von der „Bild“-Zeitung zitiert. „Jeder weiß, dass ich Deutsch-Iraner bin.“

Drohungen auf dem Smartphone

Aus Furcht vor Repressalien hat es bislang kein bekannter Athlet gewagt, sich zu wehren. Eines der Delegationsmitglieder des Judo-Weltverbands erzählt, dass Mollaei ständig Drohungen aus dem Iran auf seinem Smartphone erhalte. Mollaei selbst ist sich sicher, dass seine Telefonanrufe in den Iran abgehört werden. „Bei meiner Familie melde ich mich kaum mehr“, sagt er. Mollaei will nicht ausfindig gemacht werden. „Ich habe mich für ein neues Leben entschieden“, sagt er.

Niedergeschlagen. Bei der WM in Tokio musste Mollaei auf Befehl verlieren, hier tröstet ihn der deutsche Physiotherapeut Marco Welz.
Niedergeschlagen. Bei der WM in Tokio musste Mollaei auf Befehl verlieren, hier tröstet ihn der deutsche Physiotherapeut Marco Welz.

© IJF

Und dieses Leben soll in Deutschland stattfinden, Mollaei ist mit einer deutschen Judoka liiert und hat in der Vergangenheit bereits für den schwäbischen KSV Esslingen in der Bundesliga gekämpft, er besitzt ein Visum für Deutschland, das noch zwei Jahre gültig ist. Aber geht das so einfach? Wird der Iran einen Abtrünnigen, noch dazu einen der besten Sportler des Landes, einfach so ziehen lassen? Mollaei glaubt, dass das möglich ist. „Ich habe nichts Falsches getan. Ich habe nicht gegen das Gesetz verstoßen“, sagt er. „Ich habe nur erzählt, was mir widerfahren ist.“

Mollaei hat sein großes Ziel noch nicht aufgegeben, im nächsten Jahr will er Olympiasieger werden, für die Sommerspiele 2020 müsste er abermals in Tokio antreten. Aber unter iranischer Flagge scheint das kaum möglich: Selbst wenn die Verantwortlichen in seiner Heimat ihm vergeben würden, früher oder später dürfte der aktuelle Weltmeister Sagi Muki aus Israel auf ihn treffen. Dann wäre wieder Schluss.

Unter einer anderen Flagge zu Olympia

Mollaei aber will sich den Zwängen Irans entziehen, indem er künftig nicht mehr unter iranischer Flagge antritt. Der Präsident des Judo-Weltverbandes, der Österreicher Marius Vizer, stellte jüngst in Aussicht, dass Mollaei bei den Olympischen Spielen im nächsten Jahr möglicherweise als Athlet eines internationalen Flüchtlingsteams antreten könnte. In einer iranischen Regierungszeitung wurde daraufhin ein Foto Vizers mit einem ins Bild montierten Davidstern am Hals veröffentlicht. Von einer „Verschwörung gegen den Iran“ war in dem Artikel die Rede.

Unterstützung erfährt Mollaei im Internet, wo in den Tagen nach der WM von Tokio Zehntausende Twitter-User den Hashtag #ISupportMollaei teilten. Auch der israelische Judoka Sagi Muki, gegen den Mollaei bei der WM nicht antreten durfte, wünscht seinem Kontrahenten viel Erfolg bei dessen Kampf. Mollaei sei „ein großartiger Mensch und ein großartiger Athlet“, sagte Muki der „Jerusalem Post“. Der Iraner habe es nicht verdient, so behandelt zu werden.

"Was Mollaei getan hat, ist ein Riesenschritt"

Dass iranische Sportler nicht gegen Israelis antreten würden, sei sehr frustrierend. „Was Mollaei getan hat, ist ein Riesenschritt“, sagte Muki. Er selbst wolle ein Botschafter für den Frieden zwischen Israel und Iran sein. „Ich habe zwei Träume. Ich will eine olympische Goldmedaille gewinnen. Aber ich träume auch davon, gegen Mollaei anzutreten – egal wer dann gewinnt“, sagte Muki. „Ich will ihm die Hand geben, ihn umarmen.“

Das Internationale Olympische Komitee hat vom Iran einen Bericht über den Fall Mollaei angefordert, die Sportpolitik der islamischen Republik gerät damit unter Druck. Zumal das gestörte Verhältnis der Entscheider im Iran zum Sport durch die grausame Geschichte der jungen Fußball-Anhängerin Sahar Khodayari in diesen Tagen ohnehin im Fokus steht. Die 29-Jährige hatte sich als Mann verkleidet, um ein Fußballspiel im Stadion zu besuchen – das ist Frauen im Iran aber immer noch nur in Ausnahmefällen erlaubt. Khodayari drohte eine halbjährige Gefängnisstrafe, sie übergoss sich mit Benzin und setzte sich in Flammen. Anfang September erlag sie ihren Verbrennungen.

Trotz aller internationalen Empörung ist es auch im Fall Saeid Mollaei schwer vorstellbar, dass der Iran die Dinge einfach so geschehen lässt, wie der Judoka es sich wünscht. Doch Mollaei macht nicht den Eindruck, als würde er noch einmal von seinen Plänen abrücken. Zum Abschied steht er auf und reicht wieder sanft die Hand. Er sagt: „Ich bin sehr froh, hier zu sein.“ Dieses Mal ist sein Blick fest und entschlossen.

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