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Thomas Bach hielt lange an dem ursprünglichen Plan für die Spiele 2020 fest.

© dpa

IOC-Präsident steht in der Kritik: Das fatale Zögern des Taktierers Thomas Bach

Thomas Bach ist schwer angeschlagen. Dabei soll er die Olympische Bewegung sicher in Richtung Tokio 2021 führen. Ist er noch der Richtige?

Schon merkwürdig, dass ein Mann wie Thomas Bach die riesige Welle, die auf die Olympische Bewegung zurollte, nicht hat kommen sehen. Oder wollte der Präsident des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) sie nicht sehen?

Diese Frage stellt sich in diesen Tagen vielen Beobachtern. Denn obwohl die ursprünglich für diesen Sommer angesetzten Olympischen Spiele in Tokio wegen der Coronavirus-Pandemie um ein Jahr verschoben worden sind, ruft die lange zögerliche Haltung von Bach in dieser Angelegenheit immer noch große Empörung hervor.

Sie geht sogar so weit, dass in der Welt des Sports die Frage herumgeistert, ob der Deutsche noch der Richtige für den Posten ist.

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Athleten, ganze Nationale Olympische Komitees hatten schon längst ihr Fernbleiben von Tokio 2020 angekündigt, als Bachs IOC am vergangenen Dienstag endlich einlenkte und die Spiele für dieses Jahr absagte. „Die ganze Welt kämpft gegen dieses Virus und der will Olympische Spiele machen“, sagte am Samstag die Biathlon-Olympiasiegerin Magdalena Neuner im Interview mit der „Augsburger Allgemeinen“. Und der frühere Leichtathletik-Präsident Clemens Prokop warf Bach schlicht Unfähigkeit vor.

Nun erschien wiederum das Level der Entrüstung über Thomas Bach ein bisschen hoch. Nicht nur der 66-Jährige unterschätzte die ungeheure Dynamik der Pandemie. Und seine Meinung, dass die Prognosen über die weitere Entwicklung sehr schwierig seien, ist bis heute auch die vieler Virologen.

Dennoch machte der Sportfunktionär in den vergangenen Wochen keinen krisenfesten Eindruck. Er ließ die Welle auf sich zukommen und blickte ihr wie erstarrt entgegen, als sie über ihn hinwegrollte. Letztlich sagte nicht Thomas Bach die Olympischen Spiele für dieses Jahr ab, sondern alle anderen. In erster Linie natürlich das Virus. Bach war in dieser Zeit so reaktionsfreudig wie ein Faultier.

"Der Thomas konnte warten und warten"

Früher, in den Siebziger- und Achtzigerjahren, da hatten seine Reaktionen noch gestimmt. Finten, Riposten, Ligaden – der Fechter Bach hatte das ganze Repertoire drauf. Wer den jungen Sportler auf Bildern betrachtet, sieht einen wilden Mann mit verwuschelten schwarzen Haaren. Bach, aufgewachsen in Tauberbischofsheim, war auf dem Parkett ein Stürmer, aber ein gewiefter. „Der Thomas konnte warten und warten und die Gegner studieren. Aber sobald er die Chance zum Angriff sah, hatte er den Drang zum Angriff“, wurde Bach einmal von dem Fechter Matthias Behr beschrieben.

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Bach musste früh mit einem Schicksalsschlag leben. Als er 14 Jahre alt war, starb sein Vater. Für ein paar Jahre wurde sein Fechttrainer Emil Beck so etwas wie sein Ziehvater. Die beiden feierten große Erfolge, mit der deutschen Mannschaft wurde Bach Weltmeister und Olympiasieger.

Auch in den Jahren danach blieb Thomas Bach ein gewiefter Stürmer, nicht mehr auf dem Parkett, sondern daneben.

Er machte Karriere, er promovierte mit der Bestnote in Rechtswissenschaften und wurde von dem genial-berüchtigten Strippenzieher Horst Dassler zu Adidas geholt. Bach war bei dem Sportartikelriesen Direktor für Internationale Beziehungen.

Er verließ das Unternehmen schon bald, nachdem sein Förderer Dassler 1987 verstorben war. Er habe sich nicht Adidas verpflichtet gefühlt, sondern Horst Dassler persönlich, wurde Bach in einer Dassler-Biografie zitiert. In diesem Satz schwingt viel mit, vor allen Dingen unabdingbare Loyalität, die vielleicht bis heute entscheidende Charaktereigenschaft in der Sportfunktionärswelt.

Bach kann gut mit zwielichtigen Funktionären

In diese trat Bach schon früh ein. Mit Anfang 20 wurde er Aktivensprecher des Deutschen Fechter-Bundes, mit 29 Jahren Mitglied im Nationalen Olympischen Komitee. Im Jahr 2000 wurde er Vizepräsident des IOC, 13 Jahre später dann Präsident. Möglich machte ihm das sein heller Verstand, aber wohl mehr noch seine Loyalität zu mächtigen Helfern aus eher finsteren Kreisen. Leuten wie etwa den kuwaitischen Politiker und Sportfunktionär Ahmad al-Sabah, der 2018 wegen zahlreicher Korruptionsvorwürfe alle seine IOC-Ämter ruhen ließ.

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Auf Thomas Bach, von seiner ganzen Erscheinung her schon lange nicht mehr wild, sondern konservativ-technokratisch, scheinen Männer vom Schlage Dasslers oder al-Sabah, mächtig und charmant, offenbar eine große Faszination auszuüben. Auch zu Russlands Präsident Wladimir Putin pflegt der 66-Jährige bis heute ein enges Verhältnis, was viele verstört. Oder aber, und das ist wahrscheinlicher, Bach ist von diesen Männern nicht fasziniert. Er braucht sie, weil sie ihm nützlich sind.

„Bach ist (...) vor allem Pragmatiker, der aus schwierigen Situationen stets Auswege gefunden hat“, schrieb jüngst der Bach-Kritiker Jens Weinreich im „Spiegel“.

Doch die Situation, in der sich Bach nun befindet, ist besonders vertrackt. Er hat Athleten und Verbände gegen sich aufgebracht und soll die Olympische Bewegung mit all den Unwägbarkeiten der Coronavirus-Pandemie sicher zu den Spielen im nächsten Jahr führen. Zwar konnte Bach in dem engen Terminkalender im nächsten Jahr nun wohl ein Plätzchen für die Olympischen Spiele und die Paralympics finden, doch die Baustellen, die er zuschütten muss, sind riesig. So sind zum Beispiel viele Wohnungen im Olympiadorf in Tokio schon verkauft worden.

Vielleicht erinnert sich Bach in solchen Notlagen gerne an Sportlerzeiten zurück. Zum Beispiel an die Fecht-Weltmeisterschaften 1977 in Buenos Aires. Die deutsche Florett-Mannschaft lag im Finale gegen Italien schon 1:7 zurück, ehe Bach das Parkett betrat, taktierte, fintierte und zustieß. Am Ende wurde er Weltmeister. Dieses Mal ist die Ausgangslage für Thomas Bach keinen Deut besser.

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