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Locker mitgenommen: Dortmunds Raphaël Guerreiro (links) spielt bereits seine dritte Saison beim BVB.

© Sascha Schuermann/AFP

Interview mit Raphaël Guerreiro: „Trainer, wir sind doch unter uns!“

Vor dem Topspiel gegen München spricht BVB-Spieler Raphaël Guerreiro über seinen Umgang mit Lucien Favre und das Französisch von Marco Reus.

Raphaël Guerreiro, was fällt Ihnen zu Bayern München ein?

Das können wir kurz abhandeln. Bayern ist eine große Mannschaft, die immer gewinnen will.

Dasselbe hätten Sie jetzt auch über Borussia Dortmund sagen können. Seit ein paar Wochen gibt es ja bei Ihnen eine neue Sprachregelung, was die Deutsche Meisterschaft betrifft.

Ja, wir haben unser Ziel formuliert, nämlich dass wir die große Chance ergreifen und Meister werden wollen. Auch wir wollen jedes Spiel gewinnen, natürlich auch das am Samstag in München. Dazu brauchen wir eine Topleistung, die wollen wir auch zeigen.

2016 waren Sie mit gerade 22 Jahren schon Europameister, sind sehr jung Vater geworden, haben also schon sehr früh Verantwortung übernommen. Spüren Sie, wie Sie auf dem Platz immer erwachsener werden?

Als junger Vater und Fußballprofi kann der Alltag ganz schön kompliziert sein. Ich habe wenig geschlafen, es war immer gut zu tun zu Hause und mit den Kindern. Aber dieses Leben hat mich auch auf dem Fußballplatz geprägt. Ich musste schnell erwachsen werden, schneller jedenfalls als andere Gleichaltrige. Mit dieser Erfahrung habe ich heute sicherlich einen anderen Blick auf die Dinge. Früher musste auf dem Platz alles schnell gehen, „Zackzack!“, wie ihr in Deutschland sagt. Heute kann ich besser reflektieren. Das tut meinem Spiel gut.

Wie viel im modernen Fußball ist Kunst und wie viel Arbeit?

Fünfzig-fünfzig. Es reicht ja nicht nur, einen Trick oder eine Technik zu beherrschen. Das Entscheidende ist die Umsetzung, das Einbringen einer individuellen Fertigkeit in den Spielfluss zum Wohl der Mannschaft. Das macht den Unterschied, und ich finde, mir gelingt es zurzeit ganz gut. Das liegt natürlich auch an den Mitspielern, an Leuten wie Marco Reus oder Mario Götze. Wir haben dieselbe Idee vom Fußball und verstehen uns auch abseits des Platzes sehr gut.

Kann man im Fußball noch etwas lernen oder ist das Spiel für Sie ausgereizt?

Jeder kann sich an jedem Tag verbessern. Ich arbeite zum Beispiel sehr intensiv an meiner Aggressivität. Ich bin ja eher klein, auch nicht besonders kräftig gebaut, da fällt es einem nicht von Natur aus leicht, den Ball so zu behaupten, wie es für mein Spiel wichtig ist. Dafür muss ich schon etwas tun.

Viele verbinden den Dortmunder Höhenflug mit dem neuen Trainer. Es heißt, Sie seien der perfekte Spieler für den Fußball von Lucien Favre. Erklären Sie uns doch mal, was das ist: Lucien-Favre-Fußball...

Das ist eigentlich ganz einfach. Im Zentrum steht der Ball, wir wollen ihn besitzen, beschützen und dann etwas Gutes mit ihm anstellen. Du musst in der Lage sein, möglichst schnell die beste Lösung zu finden. Für das Spiel nach vorn, um gefährliche Situationen zu kreieren. Genauso wichtig ist es aber, in der Defensive die Blöcke so zu verschieben, dass der Gegner mit seinem Ballbesitz möglichst wenig anfangen kann. Dafür brauchst du intelligente Spieler. Lucien-Favre-Fußball wird mit den Füßen gespielt, aber mit dem Kopf gewonnen.

Jeder kann sich Kondition antrainieren und mit ein wenig Begabung und viel Fleiß vielleicht auch eine angemessene Technik. Kann man auch Fußball-Intelligenz lernen oder trainieren?

Ein wenig schon, aber die Basis muss natürlich vorhanden sein. Ich habe in meinem Spiel schon immer versucht, im Kopf das vorwegzunehmen, was später auf dem Platz passiert. Da hilft es mir natürlich sehr, dass wir jetzt einen Trainer haben, der diese Philosophie nicht nur teilt, sondern sie in der täglichen Arbeit auf dem Trainingsplatz fördert.

In Ihrer ersten Dortmunder Saison waren Sie die ganz große Überraschung. Niemand hatte Sie so richtig auf dem Zettel, dann hat Thomas Tuchel Sie auch noch vom Linksverteidiger zum zentralen Mittelfeldspieler umgeschult. Mit überragendem Erfolg. Es folgte ein zweites Jahr mit vielen Tiefen und noch mehr Verletzungen. Wie kommt es, dass der BVB jetzt im dritten Jahr wieder den alten Raphaël Guerreiro erlebt?

Darf ich kurz widersprechen? Ich finde gar nicht, dass ich auf dem Niveau von 2016 spiele, ich fühle mich noch besser. Ich merke, wie ich der Mannschaft auf dem Platz etwas geben kann, was ich ihr in dieser Form noch nicht geben konnte. Ich habe mich in meiner Karriere noch nie so wohl gefühlt wie in dieser Saison.

„Fußball ist für mich eine höchst seriöse Angelegenheit“

Europa stehen gelassen: Mit Portugal wurde Raphaël Guerreiro (links) 2016 Europameister.
Europa stehen gelassen: Mit Portugal wurde Raphaël Guerreiro (links) 2016 Europameister.

© Armando Franca/dpa

Als in Frankreich groß gewordener Portugiese haben Sie den großen Vorteil, dass Sie dasselbe Idiom wie der Franko-Schweizer Lucien Favre sprechen.

Ja, das ist schön, aber im Alltag hat das gar keine so großen Auswirkungen. Vor der Mannschaft spricht der Trainer Deutsch, er arbeitet ja schon ein paar Jahre in der Bundesliga. Einmal hat er mich unter vier Augen so angesprochen, da habe ich gesagt: Trainer, wir sind doch unter uns, wir können doch Französisch sprechen!

Bei so vielen Spielern aus so vielen Nationen kann man schon mal durcheinanderkommen.

Stimmt, in beide Richtungen. Vor ein paar Wochen hat der Trainer in der Halbzeitpause erst mir eine Anweisung gegeben, diesmal auf Französisch. Er war so in die Sache vertieft, dass er auch dem nächsten Spieler einen französischen Vortrag gehalten hat, das war allerdings Marco Reus, und der hat natürlich überhaupt nichts verstanden.

Wir Deutsche tun uns recht schwer mit dem Schwyzerdütsch. Haben Sie denn Probleme mit dem Schweizer Französisch des Trainers?

Nein, nein, Monsieur Favre spricht perfekt. Es ist auch nicht so, dass die Franzosen die Schweizer nicht so richtig ernst nehmen, wie immer behauptet wird. Ich bin in Frankreich aufgewachsen und weiß, wovon ich rede. Wir haben eine sehr starke Schweizer Fraktion beim BVB, mit der legt man sich besser nicht an. Nur mit den Belgiern gönnen wir uns manchmal ein Späßchen. Sie können ja mal Axel Witsel fragen (lacht).

Was macht den Portugiesen in Ihnen aus?

Alles. Die Familie, mein Denken, die Art und Weise, wie ich groß geworden bin. Ich habe neben dem portugiesischen auch einen französischen Pass, aber das Herz schlug immer portugiesisch. Ich habe Frankreich immer respektiert, aber mir nie vorstellen können, mal für eine französische Nationalelf zu spielen.

Ist denn überhaupt nichts französisch an Ihnen?

Der Einfluss ist schon groß. Ich bin in Frankreich geboren und aufgewachsen, ich spreche fließend Französisch und nur ein bisschen Portugiesisch. Meine Frau ist Französin, meine beiden Kinder auch, ich habe viele französische Freunde. Wenn ich neue Leute kennen lerne und ihnen irgendwann sage, dass ich Portugiese bin, aber lieber Französisch spreche, muss ich selbst lachen.

Wie macht sich der Portugiese in Ihnen auf dem Fußballplatz bemerkbar?

In meiner Einstellung zum Spiel. Im alltäglichen Leben lache ich viel und habe Spaß. Aber wenn ich auf dem Platz stehe, ist es damit vorbei. Fußball ist für mich eine höchst seriöse Angelegenheit, da bin ich mit voller Konzentration bei der Sache.

Haben Sie in den knapp drei Dortmunder Jahren auch einen deutschen Wesenszug angenommen?

Ich glaube schon. Die deutsche Einstellung zur Arbeit kommt mir sehr entgegen, sie trifft sich mit meinem portugiesischen Naturell.

Die portugiesische Nationalmannschaft, mit der Sie 2016 die Europameisterschaft gewonnen haben, war eine sehr bunte Truppe. Mit Spielern, die ihre Wurzeln in Brasilien, Guinea-Bissau und auf den Kapverden hatten, in Angola oder eben in Frankreich. So international geht es sonst nur in den multinationalen Vereinsteams der großen Ligen zu.

Das ist in der Tat eine interessante Parallele. Aber im Falle Dortmund darf man nicht vergessen, dass es ganz anders war, als ich hier anfing. Da war das internationale Element beim BVB noch sehr bescheiden ausgeprägt. Ich habe mich in meinen ersten Monaten schwergetan und hatte schon meine Hemmungen, nicht so sehr auf dem Platz, aber daneben. Heute fällt es mir viel leichter, mich einzubringen, die Mannschaft ist sehr viel breiter aufgestellt. Die Stimmung ist überragend, es gibt so viele großartige Momente mit den Kollegen, ich fühle mich rundum wohl. Natürlich auch, weil der Erfolg da ist. Aber das eine hängt ja mit dem anderen zusammen.

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