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Horst Eckel. Der letzte bislang noch lebende Weltmeister von 1954 am Freitag im Alter von 89 Jahren gestorben.

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Horst Eckel, letzter Weltmeister von 1954, ist tot: Der Mann, der Sepp Herberger nie lachen sah

Mit Horst Eckel hat sich der letzte Spieler der Weltmeistermannschaft von 1954 für immer verabschiedet. Ein Nachruf.

Der 4. Juli 1954 ist der berühmteste Tag der unmittelbaren deutschen Nachkriegsgeschichte. Deutschlands Fußball-Nationalmannschaft hatte an diesem Tag das hochfavorisierte Ungarn im WM-Endspiel nach einem 0:2-Rückstand 3:2 besiegt. Und mittlerweile wird dieser Tag vor allem mit einem Mann in Verbindung gebracht: Horst Eckel.

Eckel war seit dem Tod von Fritz Walter am 17. Juni 2002 das personifizierte „Wunder von Bern“. Als „Herold“ hielt der Pfälzer die Erinnerung und Würdigung des bedeutendsten Ereignisses der deutschen Fußballgeschichte hoch.

Eckel war immer wieder als Reisender und Redner in Sachen "Wunder von Bern“ unterwegs. Der pensionierte Realschullehrer berichtete in aufwendigen Dokumentationen der ARD und des ZDF von der Ehrfurcht vor Sepp Herberger ("Eine Vaterfigur, autoritärer Typ, den ich nie richtig lachen gesehen habe"), von der Bewunderung seines Idols Fritz Walter ("War er gut drauf, haben wir unsere besten Spiele gemacht. Lief es bei ihm nicht, lief es in der ganzen Mannschaft nicht"), vom Staunen über Helmut Rahn ("Irgendwann ist er aus dem Quartier ausgebüxt. Jeder andere wäre nach Hause geschickt worden"). Ohne Horst Eckel - wie sollen der "Geist von Spiez" und der "Mythos von Bern" über die nackte Statistik hinaus in seiner Enkel- und Urenkelgeneration weiterleben?

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Dem Autor dieses Textes war es vergönnt, spät Eckels Erinnerungen und Erzählungen in einer Talkrunde zuzuhören. Der Hamburger Publizist Oliver Wurm hatte den Berner Helden im Februar 2014 und die Nachfolge-Weltmeister Bernd Hölzenbein (1974) und Guido Buchwald (1990) zu einer Interview-Runde in ein Frankfurter Atelier eingeladen. Für ein künstlerisches Magazin als Einstimmung auf die Weltmeisterschaft 2014 in Brasilien. Was als Interview geplant war, führte ohne viele Fragen zu einer zweistündigen munteren Unterhaltung, mit dem Journalisten Ronald Reng und mir als Moderatoren.

„Beim WM-Finale hat Fritz Walter in der Halbzeit den Verteidiger Werner Kohlmeyer und Torwart Toni Turek angeherrscht, sie sollten keine Romane erzählen, als sie über die Schuld am zweiten ungarischen Tor stritten. Solche Ausbrüche waren dem Fritz selbst so peinlich, dass er sich nachher mehrmals entschuldigte. Fritz war ein großartiger Kapitän und ein noch tollerer Mensch. Ich bin stolz, dass ich an seiner Seite spielen durfte“, schwärmte Eckel. „ Was wir in Bern erreicht haben, haben wir erst registriert, als wir mit dem Zug über die Grenze kamen. An jedem Bahnhof mussten wir halten, überall wollten uns Tausende begrüßen.“

Am runden Frankfurter Holztisch erzählte er von kaum bekannten taktischen Details und verriet amüsante Interna. „Die Ungarn profitierten davon, dass es kaum Informationen über internationale Gegner gab. Sie waren die Ersten und Einzigen auf der Welt, die nicht das sogenannte WM-System praktizierten, also fünf Verteidiger und fünf Angreifer. Herberger hatte sie beobachtet und das einzigartige System entschlüsselt und durchschaut. Hidekuti, der Mittelstürmer, ließ sich zurück ins Mittelfeld fallen, spielte von dort Pässe und stach dann plötzlich ins Angriffszentrum vor. So hat er alle Abwehrreihen durcheinandergewirbelt. Bei einem Spaziergang am Thuner See eröffnete mir Herberger, dass ich Hidekuti bewachen sollte. Der Bundestrainer hatte uns immer schon zwei Tage vor dem Spiel gesagt, ob wir spielen und wie wir zu spielen hätten. ‚Bleib bloß an deinem Mann‘, hieß es fast drohend. Hidekuti, nicht Puskas war der Kopf der legendären ungarischen Mannschaft. Ich wusste von Hidekuti nichts. Nach acht Minuten, stellt euch vor, nach acht Minuten lagen wir schon 0:2 zurück.“

Der Rest ist hinreichend bekannt: 1:2 Max Morlock (10. Minute), 2:2 (19.), 2:3 (84.) jeweils Helmut Rahn. Große Ansprachen oder gar besonderes Lob habe es bei Herberger nicht gegeben. „Als ich Hidekuti ausgeschaltet hatte, sagte Herberger nach dem Spiel im Vorbeigehen: ‚Ach ja, das war schon ganz gut bei Ihnen.“ Eckel war mit 22 Jahren der Jüngste.

Hölzenbein und Buchwald konnten nur hören und staunen. Wie alle deutschen Spitzenmannschaften in den Fünfzigerjahren habe auch der 1.FC Kaiserslautern nur zweimal in der Woche trainiert – nach der Arbeit. „Ich bin jeden Tag allein für mich gelaufen und im Spiel dann eben mehr als alle anderen.“ Deswegen wurde der „Windhund“, so sein Spitzname, zum Wachhund. Obwohl heute jeder Mensch wisse, er muss viel trinken, habe es damals geheißen: „Ein Sportler darf nichts trinken. Wir bekamen ganz wenig Wasser. Einige sind dann in der Halbzeit auf die Toilette gegangen, um aus dem Wasserhahn zu trinken.“

Horst Eckel, Jahrgang 1932, hatte sich bis ins hohe Alter fit gehalten. „Ich lebe normal. Ich esse normal und mache noch sehr viel Sport", erklärte er sein Wohlbefinden. Der rüstige Pensionär spielte Tischtennis, Tennis und auch noch Fußball, wenn es in einer Prominenten-Mannschaft denn sein musste. Nebenbei war er auch noch Kaiserslauterns WM-Botschafter 2006, Repräsentant der Sepp-Herberger-Stiftung und machte in Strafanstalten Jugendlichen Mut.

Horst Eckel musste auch als Anwalt des "Wunders von Bern" auftreten

Die Familie mit zwei Töchtern  und das Haus in dem Pfälzer Nest Vogelbach, dort, wo er einst auf dem Fahrrad losfuhr, um mit dem 1.FC Kaiserslautern zweimal Deutscher Meister (1951/1953) und mit der Nationalmannschaft Weltmeister zu werden, waren zeitlebens sein Refugium. Der Pfälzer spielte 32mal für Deutschland, zuletzt noch viermal bei der Weltmeisterschaft 1958 in Schweden.

Horst Eckel musste auch als Anwalt des "Wunders von Bern" auftreten und gegen die ominöse Spritzenaffäre und die aufgebauschten Dopingverdächtigungen angehen. "Ich bin erschüttert, dass man nach fünfzig Jahren wieder mit diesen Dingen kommt", empörte er sich. "Ich finde es eine Frechheit, alles wieder in Frage zu stellen - dieses Spiel, die Weltmeisterschaft, unseren Sieg." Da sei doch wirklich nichts passiert. "Auch ich habe ein-, zweimal eine Spritze bekommen. Doping? Das ist der größte Blödsinn. Nach Absprache mit den Ärzten haben wir morgens aus Traubenzuckerpullen getrunken. Ich habe ein reines Gewissen."

Viel lieber erzählte Horst Eckel von anderen Getränken, von den Tricks, mit denen sie wie Schulbuben versucht hätten, Sepp Herberger zu hintergehen. Aus Flaschen für kalte Milch hätten sie Bier getrunken und seien sich sicher gewesen. "Der Chef hat's gemerkt." Bei Herberger habe die Mannschaft immer singen müssen, hauptsächlich vor und nach dem Training. ‚Hoch auf dem gelben Wagen‘ sei das Lieblingslied des Bundestrainers gewesen. Eckel war auch Berater Sönke Wortmanns bei den Dreharbeiten für den Film "Das Wunder von Bern".

Wenn Horst Eckel referierte, lag  ihm eine Klarstellung besonders am Herzen. "Wir verspüren keinen Neid auf die heutige Generation, die so viel Geld verdient. Wir hatten dafür die schönere Zeit." In seinem Geburtsort Vogelbach wurde der berühmte Sohn bald Ehrenbürger. Der Weltmeister legte indes keinen Wert darauf, dass einmal eine Straße im Ort nach ihm benannt wird. Wie der so bescheidene Horst Eckel in Erinnerung bleiben wollte? "Als ganz normaler Mensch. Das reicht mir vollkommen."

Horst Eckel starb am Freitag im Alter von 89 Jahren, wie der Deutsche Fußball-Bund mitteilte.

Hartmut Scherzer

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