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Eine Familie am Tisch - mit Kindern. Louisa Keller, 35, Andreas Keller, 49, dessen Vater Carsten Keller , 75, seine weiteren Kinder Florian, 33, und Natascha Keller, 37.

© Georg Moritz

Hockey-Familie Keller über Olympia und Berlin: „Ohne Emotionen gewinnt man nichts“

Hockey-Dynastie und Olympia-Clan: die Keller-Familie sprach mit dem Tagesspiegel über das Faszinierende an Olympia und Berlins Bewerbung für die Sommerspiele.

Noch ein paar Wochen, dann entscheidet der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) vor allem auf Grundlage einer Telefonumfrage, ob Hamburg oder Berlin der deutsche Olympia-Kandidat wird. Wie kann man in der verbliebenen Zeit noch Euphorie für Berlin entfachen?

NATASCHA KELLER: Durch viele öffentliche Aktionen und Veranstaltungen zum Thema Olympia. Man muss den Berlinern Lust auf Olympia machen, dann werden sie sich in der Telefonumfrage hoffentlich für eine Bewerbung aussprechen.

CARSTEN KELLER: Und das Sportliche, also die Emotionen, die gehören zu einer solchen Bewerbung. Deshalb sollten Sportler ruhig auch im Vordergrund stehen, sie sollten sich einbringen. Natürlich geht es auch um technische Daten, strukturelle Voraussetzungen, aber ohne Emotionen gewinnt man nichts.

Sie sind Sportler, aber auch Bürger dieser Stadt, in der es viele Probleme gibt…
ANDREAS KELLER: Ich bin Lehrer, ich sehe die maroden Hallen, Sportstätten, Schulen und denke sofort, es kann aber nicht sein, dass da dann wieder kein Geld reinfließt. Ich bin da wirklich kritisch, aber ich möchte auch Olympia. Das muss doch gelingen, dass wir ordentlich haushalten mit dem Geld, das für solche Spiele in die Stadt fließt. Im besten Fall hilft es der Stadt und der Infrastruktur, es darf aber auf keinen Fall auch noch zu Lasten der Stadt gehen.

NATASCHA KELLER: Das ist der nachhaltige Gedanke, den die Berliner Bewerbung auch ausmachen sollte.

Reformierte, demokratische Spiele – die Olympiagegner halten das für naiv.
ANDREAS KELLER: Ist doch klar. Das IOC hat noch immer ein furchtbar schlechtes Image, auch wenn da jetzt Reformen angeschoben wurden. Für die normalen Bürger ist das nicht sichtbar.

NATASCHA KELLER: Aber vielleicht kann eine deutsche Bewerbung ein Wendepunkt sein. Thomas Bach, der neue IOC-Präsident, hat diese Reformen auf den Weg gebracht. Eine breite, aber nicht unkritische Zustimmung für reformierte, nachhaltige und letztendlich auch bescheidenere Spiele würde die Verantwortlichen in die Pflicht nehmen, ihre Ankündigungen auch wahrzumachen.

Carsten Keller: "Ich werde noch 40 Jahre später auf meinen Olympiasieg angesprochen."

Fehlt uns in Berlin der Stolz, ein solches Ereignis ausrichten zu dürfen?
CARSTEN KELLER: Ich kann nur aus meiner Sicht berichten. Als Sportler, der dabei ist, ist man immer stolz. Ich werde noch heute, 40 Jahre nach dem Olympiasieg von München, darauf angesprochen. Ich merke, die Menschen sind auch stolz auf mich. Das ist wie eine Erzählung, die nicht aufhört. Das ist doch schön.

ANDREAS KELLER: Ein bisschen hat sich das in Deutschland und vor allem in Berlin ja gewandelt, die Identifikation ist schon da, und wir singen auch die Hymne. Es stimmt, dass das in anderen Ländern noch emotionaler ist. Aber seit der Fußball-WM 2006 ist das viel normaler und üblicher geworden. Auch freudvoller, würde ich sagen. Wir können Begeisterung, gerade hier in Berlin!

Für die meisten Menschen ist Olympia ein Ereignis, das sie im Fernsehen sehen. Wie fühlt sich Olympia an?
NATASCHA KELLER: Es ist einfach das Größte was man als Sportler erleben kann.

CARSTEN KELLER: Begeisternd, emotional, wenn man etwa, wie ich in Rom, bei den anderen zugucken konnte. Auf der Ziellinie habe ich den Armin Hary gesehen. Da war man dabei. Das war großartig. Heutzutage ist das schwerer.

Darf man denn woanders zuschauen?
ANDREAS KELLER: Dürfen schon…

FLORIAN KELLER: Uns haben sie in Peking davor gewarnt, uns außerhalb des Olympiageländes zu bewegen, weil der Verzehr von Fleisch zu positiven Dopingproben hätte führen können.

NATASCHA KELLER: Aber es ist die große Kunst, ein Maß zu finden, zwischen Konzentration und der Begeisterung für das gesamte deutsche Team oder andere Athleten.

ANDREAS KELLER: Das ging ja schon mit der Eröffnungsfeier los… Die Diskussion, können wir da hin gehen oder nicht?

FLORIAN KELLER: Eröffnungsfeiern sind das Anstrengendste von allem…

ANDREAS KELLER: Wir durften das selbst entscheiden, ob wir hingehen. Manche wollen das, andere schotten sich ab, brauchen die Konzentration.

NATASCHA KELLER: In London war das super. Da mussten wir nicht warten, da wir zu Fuß aus dem Olympischen Dorf direkt ins Stadion gelaufen sind. Der Weg war kurz, wir sind rein, standen kaum rum, und dann sind alle gemeinsam zurück ins Olympische Dorf. Wie eine riesige Familie.

FLORIAN KELLER: In Peking haben wir ewig gewartet, bestimmt zwei Stunden in einer Turnhalle, dann ins Stadion, wieder gewartet, es war total heiß. Und danach gab es keine Transportmittel, so dass wir vom Stadion wieder ins Dorf gelaufen sind, auch ein paar Kilometer. Ich war klitschnass.

Bei den Spielen von London. Natascha Keller in Aktion, 2012 gab es allerdings keine Medaille.
Bei den Spielen von London. Natascha Keller in Aktion, 2012 gab es allerdings keine Medaille.

© Imago

Welche Farbe hat Olympia für Sie?
NATASCHA KELLER: Bunt. Weil es so vielschichtig ist, spannend, anstrengend, unvorhersehbar. Man fliegt da hin, mit dem Team, und im Bauch rumort es vor Aufregung. Man weiß nicht, was einen erwartet, wie das Dorf ist. Und dann ist es eben – bunt in vielerlei Hinsicht.

Wie ist das Leben im Olympischen Dorf?
NATASCHA KELLER: Irgendwie besonders. Man trifft so viele Sportler…

ANDREAS KELLER: Man ist selbst Sportler und gleichzeitig Fan.

NATASCHA KELLER: Wenn die NBA-Stars vorbeikommen… Oder Roger Federer.

ANDREAS KELLER: Es entsteht eine Dynamik in der eigenen Mannschaft. Man tauscht sich aus, dann kommt einer, der hat gewonnen, dann gibt’s Applaus, man freut sich oder tröstet andere.

Was ist schöner, Olympiasieger im eigenen Land zu werden oder woanders?
ANDREAS KELLER: Ich würde sagen, Gold bei Olympia ist überall toll. Aber eine Veranstaltung im eigenen Land ist auch immer etwas Besonderes.

CARSTEN KELLER: Im eigenen Land stehen alle hinter einem. Das Stadion ist voller eigener Fans.

NATASCHA KELLER: Ich kann nur sagen, ich habe einmal die Champions Trophy in Berlin erleben dürfen. Und das war die größte und schönste Trophy von allen für mich. Weil es zu Hause war.

Olympische Medaillen sind bei Ihnen ja so etwas wie ein Familienorden…
LOUISA KELLER: Ich bin ja dazukommen, weil ich Andreas geheiratet habe, und ich denke doch, dass ich auch ohne Medaille aufgenommen worden wäre.

NATASCHA KELLER: (gespielt ernst) Ich glaube nicht…(alle lachen)

ANDREAS KELLER: Au weia, was machen wir nur, wenn die Kleinen kein Gold holen? Haben wir ja nie drüber geredet.

Sind Sie als Familie stolz, Ihrem Land etwas geschenkt zu haben?
CARSTEN KELLER: Wir sind eine ganz bescheidene Familie. Wir würden genauso hier sitzen, wenn keiner etwas gewonnen hätte. Wir gehen damit nicht nach außen, auch wenn wir Stolz empfinden. Manchmal ist es auch peinlich, ewig darauf angesprochen zu werden.

ANDREAS KELLER: Und man denkt von unserer Seite, mein Gott, wollen die Leute die Geschichte noch hören. Diese Keller-Dynastie-Geschichte. Puh.

CARSTEN KELLER: (wieder gespielt ernsthaft) Die größte Frechheit ist ja jetzt: In der Zeitung steht die Legende Natascha Keller. Unsere Jüngste, eine Legende! Die Kleine! Herrlich!

Natascha Keller: "Olympia ist für uns die schönste Nebensache der Welt"

Fühlen Sie sich als Olympische Familie?
NATASCHA KELLER: Nein. Olympia ist für uns einfach nur die schönste Nebensache der Welt.

CARSTEN KELLER: Wir sitzen hier heute eigentlich zum ersten Mal zusammen und reden so intensiv über unsere Erlebnisse. Ich wusste gar nicht, dass ihr damals in Peking praktisch eingesperrt gewesen seid.

Was sind aus Ihrer Sicht gelungene Spiele jenseits des sportlichen Erfolges?
ANDREAS KELLER: Wenn man viel sehen darf, alles zentral erreichbar ist, wenn man die Atmosphäre mitbekommt und die Stadien voll sind. Und ein schönes Olympisches Dorf gehört dazu – Barcelona, mit Strand, war das allerbeste.

Berlin ist noch nicht einmal deutscher Kandidat. Wir müssen Sie deshalb noch einmal quälen. Nennen Sie uns ein gutes, sachliches Argument für Berlin.
CARSTEN KELLER: Wir brauchen weniger Geld, weil wir fast alle Sportstätten schon haben.

Und jetzt noch ein emotionales Argument.
ANDREAS KELLER: Glücksgefühle! Ich denke, für jeden wäre dieses Gefühl drin. Für den Sportler, für die Fans und Zuschauer in den Stadien, aber auch für die, die nur am Fernseher sitzen oder beim Public Viewing auf der Straße und plötzlich, vielleicht zufällig, mitgerissen werden von einem spannenden Wettkampf.

NATASCHA KELLER: Begeisterung! Auch so ein Gefühl, sich mal mitreißen zu lassen, positive Energie zu geben.

LOUISA KELLER: Zwischenmenschliche Beziehungen, Kommunikation von Menschen, die sich gar nicht kennen. Identität mit diesem einen Ereignis. Eine Stadt, ein Ziel. Wunderschöne Vorstellung.

FLORIAN KELLER: Sich darauf einlassen, Spaß und Mut haben!

Sie sind ja fast alle Berliner, warum ist der Berliner so ambivalent, erst Meckerkopp, dann doch meist super begeistert?
FLORIAN KELLER: Die Stadt ist groß und anonym. Da kann der Wir-Gedanke nicht gleich aufkommen, das braucht Zeit und muss auch erzwungen werden.

CARSTEN KELLER: Aber wenn es darauf ankommt, ist Berlins Wir-Gefühl da.

Der DOSB wird seine Entscheidung nun nach eigenem Bekunden vor allem von der Telefonumfrage abhängig machen, die in der kommenden Woche beginnt.
CARSTEN KELLER: Die Umfrage an sich ist in Ordnung, aber man darf ihr nicht zu viel Bedeutung beimessen. Das könnte ich nicht gutheißen.

NATASCHA KELLER: Ich habe mich zudem gefragt: Wieso überhaupt zwei Städte? Das finde ich sehr schade. Ich liebe beide Städte, nun wird es zwangsläufig eine Art Verlierer geben. Unnötig.

Die Ausscheidung mit Hamburg ist kein Langstreckenlauf, sondern ein Sprint. So will es der DOSB.
CARSTEN KELLER: Ich bin Berliner, und ich bin sicher, man kann den Berlinern nicht mal eben sagen, so, jetzt seid ihr mal auf Kommando begeistert. Es kommt hier schon, von innen heraus, wir werden das sehr gut machen. Man muss der Stadt eben vertrauen.

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