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Rainer Widmayer, 51, arbeitete schon mit Chefcoach Markus Babbel bei Hertha BSC. Seit fast vier Jahren bildet er zusammen mit dem früheren Mittelfeldspieler Pal Dardai das Berliner Trainergespann.

©  Metodi Popow/Imago

Herthas Co-Trainer über Pal Dardai: "Es gibt immer wieder Reibungspunkte"

Rainer Widmayer spricht im Interview über seine Beziehung zu Chefcoach Pal Dardai und die neue Trainergeneration.

Herr Widmayer, Sie arbeiten seit dreieinhalb Jahren als Co-Trainer von Pal Dardai bei Hertha BSC. Wie würden Sie ihr Verhältnis beschreiben?

Ich hatte 2010 ja schon einmal das Vergnügen hier in Berlin, damals mit Markus Babbel. Zu dieser Zeit hat Pal ja noch gespielt und wir hatten ein gutes, respektvolles Verhältnis. Als ich dann zum zweiten Mal einen Anruf bekommen habe und es hieß, Hertha brauche Unterstützung für einen jungen Trainer, war die entscheidende Frage für mich: Wer ist das?  

Und als der Name Pal Dardai fiel…

… da wusste ich sofort: das ist eine interessante Aufgabe. Es hat sich dann auch gut entwickelt, wir verstehen uns gut im zwischenmenschlichen Bereich und finden auch immer wieder Themen, über die wir leidenschaftlich diskutieren können. Die Rollenverteilung ist dabei relativ klar: Pal ist der Chef, er entscheidet, aber ich habe auch meine Vorstellungen über Inhalte, Personen, Aufstellungen. Da gibt es immer wieder Reibungspunkte, das ist wichtig und spannend. 

Wer die Trainingseinheiten von Hertha BSC beobachtet, erkennt Parallelen zum Gespann Jürgen Klinsmann/Joachim Löw. Dardai wirkt eher als Moderator und Motivator, um die fußballerischen Inhalte kümmern Sie sich größtenteils. 

Pal hat auch sehr gute Ideen und Inhalte. Ich weiß jetzt nicht im Detail, wie das Verhältnis Löw/Klinsmann war, aber die Aufteilung der beiden hat mir von außen betrachtet schon gut gefallen. Es ist ja auch wichtig, dass man eine starke Person in der Führung hast. Pal macht deutliche Ansagen, ist fair und trifft klare Entscheidungen, das mag ich.

Fliegen bei Ihnen auch manchmal die Fetzen?

Na klar. Ich muss wissen, was auf mich zukommt, wenn ich in den Wald hineinschreie. Und wenn ich das weiß, ist es überhaupt nicht schlimm. Wir müssen es schon miteinander aushalten, weil wir verdammt viel Zeit zusammen verbringen.

Inwiefern hat sich das Anforderungsprofil an einen Co-Trainer in den letzten Jahren verändert?

Grundsätzlich ist es ein Privileg, in der Bundesliga arbeiten zu dürfen, das ist ein toller Arbeitsplatz. Ich habe das Glück, dass ich heute als Co-Trainer arbeiten darf und nicht vor 15, 20 Jahren. Damals haben die Assistenten die Hütchen aufgestellt und das war’s dann. Für mich wäre das total unbefriedigend, ich bin immer froh, wenn ich mit einer Gruppe arbeiten darf. Den Spielern meine Gedankengänge aufzeigen, sie weiterzuentwickeln, das brauche ich. Früher hat das nur der Cheftrainer gemacht und der Co-Trainer hat sich versteckt. Heute ist das ganz anders: Und wenn Pal dann doch mal eine andere Idee hat und dazwischen grätscht, ist das total in Ordnung. 

Haben Sie Ambitionen, auch mal als Cheftrainer zu arbeiten?

Das würde ich sogar sehr gern machen, aber bisher hat mich erst ein einziger Verein gefragt. Deshalb schätze ich das Privileg, in der ersten oder zweiten Liga arbeiten zu dürfen und bin Gott froh, einen Platz als Co-Trainer zu haben, da reißen sich die Leute ja drum. Wenn ich jetzt morgen plötzlich auf der Straße stehe, kann es schon sein, dass Angebote aus der vierten oder fünften Liga kommen, aber das ist nicht mein Anspruch. Dafür ist meine aktuelle Aufgabe viel zu reizvoll.

So lange wie bei Hertha BSC haben Sie es in Ihrer Karriere selten an einem Standort ausgehalten. Ist das auch Ausdruck innerer Zufriedenheit?

Auf jeden Fall. Das größte Problem ist, dass meine Familie weiter in der Nähe von Stuttgart lebt. Es wäre gelogen, wenn ich sage, dass es nicht wehtut, meine Frau und meine beiden Söhne nicht zu sehen. Gerade jetzt in der Urlaubszeit ist es bei uns leider nicht so, dass wir uns täglich sehen, weil ich wieder ein paar Monate auf Wanderschaft bin. Allerdings sind meine Söhne auch in einem Alter angekommen, in dem sie langsam flügge werden. Der große ist 21, der kleine 18. Vielleicht denken wir in Zukunft mal darüber nach, dass meine Frau nach Berlin nachkommt. 

"Es ist immer spannend, etwas Neues anzufangen und die Reaktionen zu sehen"

Kommen wir zu fußballspezifischen Fragen: Hertha will für die Saison 2018/19 ein neues System einstudieren

Ich würde eher sagen: wir wollen unser Portfolio erweitern. Wenn man eine Viererkette spielen will, gibt es verschiedene Optionen und Interpretationen: von offensiv bis defensiv. Sehr viele Mannschaften spielen jetzt auch mit Fünferkette, da wollen auch wir variabler sein, um innerhalb eines Spiels mit derselben Elf von einem aufs andere System wechseln zu können. Um auch mal in der Halbzeit zu sagen: Wir wollen den Gegner jetzt ärgern und überraschen. Damit niemand sagen kann: Ach, das ist Hertha BSC, die kennen wir, die spielen so und so. 

Wie anspruchsvoll ist es, den Spielern das zu vermitteln?

Es ist immer spannend, etwas Neues anzufangen und die Reaktionen zu sehen. Es muss jedoch jedem klar sein: von heute auf morgen werden wir das nicht stabil hinbekommen. Unsere Spieler sind aber bereit, das sind alles gute Jungs, die das auch wollen. 

In der abgelaufenen Bundesliga-Saison war ein zentraler Kritikpunkt, dass nur wenige Mannschaften das Spiel aktiv gestalten wollen und die große Mehrheit eher auf Zerstörung und Konter als Stilmittel setzt. Ist die Bundesliga da auf dem Holzweg?

Aber das war doch bei der WM auch so, da muss man mal die Kirche im Dorf lassen. Wenn ich mir etwa die Kommentatoren und Experten in der Halbzeitpause anschaue, denke ich manchmal aus der Emotion heraus: Die haben doch alle einen Knall! Ich kann doch nicht - um ein Beispiel zu nennen - über den französischen Nationaltrainer sagen: mit dieser Band, mit diesen Spielern würde ich viel höher stehen oder viel offensiver oder wasauchimmer, das macht man einfach nicht. Am Ende ist Didier Deschamps Weltmeister geworden. Der weiß schon ganz genau, worum es auf dem Niveau geht, wann er risikoärmer spielen muss und wann risikoreicher.

Die WM ist immer auch ein Schaufenster für Trends und Entwicklungen. Wie intensiv haben Sie das Turnier verfolgt und welche Erkenntnisse gab es, die sie womöglich in den Alltag übernehmen können?

Ich habe nicht jedes Spiel gesehen, so verrückt bin ich nicht. Für mich ist immer wichtig zu beobachten: Wie genau gehen die Mannschaften die Spiele an? Im Finale Frankreich gegen Kroatien haben beide - mit einer Viererkette gespielt. Im Champions-League-Finale Real gegen Liverpool haben beide - mit Viererkette gespielt. Oder Eintracht Frankfurt im Pokalfinale: schön mit Fünferkette, gut gestanden und als Underdog dem Gegner wehgetan. Das finde ich spannend. Bei der WM war sonst noch auffällig, dass Standards immer größere Bedeutung gewinnen.

Tauschen Sie sich über solche Themen mit anderen Kollegen außerhalb von Hertha BSC aus?

Ich habe hin und wieder Kontakt mit Julian Nagelsmann. Der macht einen wirklich guten Job und ist sehr interessiert, sprich: Er weiß, dass er auch von älteren Kollegen lernen kann, wenn er zuhört. Und für mich ist es auch interessant, wie er als junger Kollege die Dinge sieht. Wenn man nicht mit der Zeit geht, ist man schneller raus als gedacht - und das will ich auf keinen Fall, weil mir mein Job Spaß macht. Ich meine, ich kann auch einen Laptop bedienen. Es gibt es aber auch Laptop-Trainer, die nur ihr Gerät bedienen können, die daran scheitern, ihre Ideen rüberzubringen und auf dem Platz umzusetzen. Auch das macht Nagelsmann richtig gut: Er findet Lösungen am Laptop und kann sie vermitteln. Darum ist er ein guter Mann, darum holt ihn Leipzig. 

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