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Ob sie wirklich noch daran geglaubt haben? Die Berliner springen auf den Relegationsplatz und Rene Tretschok, Otto Rehhagel sowie Michael Preetz (v. l. n. r.) vor Freude auf und ab.

© dapd

Hertha - Hoffenheim 3:1: Hertha siegt gegen die eigene Schwäche

Die Berliner verdienen sich mit dem 3:1 gegen Hoffenheim eine Verlängerung der Saison und versöhnen ihre Fans. "Eigentlich haben wir es nach der Rückrunde nicht verdient", sagt Peter Niemeyer.

Eine gute Viertelstunde vor Schluss hat selbst Otto Rehhagel sich einmal ein bisschen vergessen. Änis Ben-Hatira hatte gerade mit seinem zweiten Tor das 2:0 für Hertha BSC erzielt, das Olympiastadion bebte, weil der direkte Abstieg in diesem Augenblick so gut wie ausgeschlossen erschien. Rehhagel, der gerade in Momenten des allgemeinen Taumels immer um Haltung bemüht ist, der seine Umgebung dann aus ihrer Euphorie zurück in die Realität geholt hat – selbst Rehhagel ignoriert jetzt einfach mal seinen Hang zur Skepsis. Er nimmt Michael Preetz, Herthas Manager, in den Arm und jubelt mit. Köln liegt gegen die Bayern zurück, Hertha führt mit zwei Toren Unterschied gegen Hoffenheim. Was soll da noch passieren?

Herthas Sieg gegen Hoffenheim in Bildern:

Natürlich passiert noch was. Weil hier vor 51.837 Zuschauern im Olympiastadion Hertha spielt, der in dieser vermaledeiten Saison nach eigenem Empfinden doch so ziemlich alle Widrigkeiten und Ungerechtigkeiten widerfahren sind, die sich denken lassen. Warum sollte das am letzten Spieltag anders sein? Fünf Minuten vor dem Ende erzielt Marvin Compper für die Gäste den Anschlusstreffer zum 1:2. Ein weiteres Tor der Hoffenheimer – und für Hertha ist es mit der Zugehörigkeit zur Fußball-Bundesliga mit einem Schlag vorbei. „Da werden die Beine nochmal schwer“, sagt Peter Niemeyer. „Da fängt man an zu grübeln.“ Otto Rehhagel spricht später von einer Nervenschlacht. „Das rutscht in die Knie und nagt am Selbstbewusstsein“, sagt er. „Wie man die letzten Minuten übersteht, weiß man nachher selbst nicht mehr.“

Sie haben es überstanden. Weil die Hoffenheimer trotz einer guten Freistoßchance in der Nachspielzeit eben doch kein Tor mehr erzielen, sondern Raffael mit einem Konter zum 3:1 (1:0)-Endstand trifft. Die Saison geht für Hertha also in die Verlängerung. Zwei Spiele bekommt die Mannschaft jetzt noch obendrauf, die Relegation gegen den Dritten der Zweiten Liga. Eigentlich haben wir es nach der Rückrunde nicht verdient“, sagt Niemeyer. Aber wen interessiert das noch?

Hertha gewinnt - und verliert Lasogga

Das Spiel gegen Hoffenheim ist für die Berliner wie ein Pokalspiel. Entweder du gewinnst, oder du bist raus. Was davor war, spielt keine Rolle mehr. Genau so ist Hertha diese Begegnung angegangen, die die letzte in dieser Saison hätte sein können. „Die Spieler waren extrem griffig“, sagt Manager Preetz. „Die Mannschaft hat unter dieser besonderen Drucksituation eine großartige Leistung gebracht.“ So leidenschaftlich, so aggressiv in den Zweikämpfen, manches Mal auch über das Erlaubte hinaus, hat man die Berliner lange nicht gesehen. Fanol Perdedaj musste schon kurz vor der Pause ausgewechselt werden, weil er nach einer ganzen Reihe von Fouls am Rande des Platzverweises stand. Pierre-Michel Lasogga hat dagegen großes Pech. Der Angreifer kommt nach einem Kopfball unglücklich auf, verdreht sich das Knie und muss vom Platz getragen werden. Herthas Mannschaftsarzt Ulrich Schleicher bestätigt hinterher die böse Ahnung, dass Lasogga einen Kreuzbandriss erlitten hat: „Er wird sechs Monate pausieren müssen.“

Herthas Saison 2011/12:

Für Hertha ist der Sieg gegen Hoffenheim auch ein Sieg gegen sich selbst, gegen die psychische Labilität, von der die Mannschaft in dieser Saison immer wieder befallen wurde. Es hat auch gegen Hoffenheim Phasen gegeben, in denen das Schlimmste zu befürchten steht. Nach dem 1:0 durch einen Freistoß Ben-Hatiras verschaffen sich die Gäste mehr und mehr die Kontrolle über das Spiel, in kurzer Zeit kommen sie zu drei guten Gelegenheiten, der Ausgleich, und damit Herthas virtueller Abstieg, scheint nur eine Frage der Zeit zu sein. „Wir haben solche Situationen schon das eine oder andere Mal gehabt“, sagt Niemeyer. „Du führst und merkst plötzlich, dass du richtig was zu verlieren hast.“ Es ist der alles in allem zweifelhafte Platzverweis gegen den Hoffenheimer Ryan Babel, der Hertha letztlich aus dieser misslichen Situation befreit.

„Große Worte, keine Taten“, steht vor dem Anpfiff auf einem Transparent in der Ostkurve. „Maul halten und kämpfen.“ Das Spiel gegen Hoffenheim ist auch eine Versöhnung zwischen Fans und Mannschaft. Wahnsinn sei die Unterstützung der Anhänger gewesen, sagt Niemeyer. „Sie haben uns aus den Tälern rausgeholt.“ Dabei haben gerade die Zuschauer im Olympiastadion in dieser Spielzeit manche Zumutung erlebt. Vier Heimsiege in 17 Versuchen ist eine überaus dürftige Bilanz. „Da hast du Glück, wenn du dem Abstieg entrinnen kannst“, sagt Rehhagel.

Aber weil das Glück zumindest an diesem Samstag ein Herthaner war, ist Rehhagel nachher für seine Verhältnisse schon fast beschwingt. „Ich träume davon, dass wir irgendwann mal so spielen wie Barcelona.“ Dann sagt Herthas Trainer: „Wir haben nur das erreicht, was wir erreichen mussten. Aber wir haben noch nicht das erreicht, was wir erreichen wollen.“

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