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4000 Zuschauer verlieren sich im riesigen Olympiastadion ganz schnell.

© Andreas Gora/dpa

Hertha BSC hat Probleme beim Ticketverkauf: Nur ins Stadion woll'n se nicht

Vor der Corona-Pandemie hatte Hertha BSC einen Zuschauerschnitt von fast 50.000. Nun wird der Klub selbst die 4000 Tickets nur mit Mühe los. Eine Spurensuche.

Am 12. Oktober verschickte Hertha BSC eine feierliche Mail an seine Mitglieder. „Du musst nicht mehr alleine ins Olympiastadion“, hieß es darin. Vereinsmitglieder und Dauerkarteninhaber durften für das Spiel gegen den VfB Stuttgart am vergangenen Samstag nun zwei statt nur ein Ticket kaufen. Die 4000 zugelassenen Plätze konnten so gerade noch gefüllt werden. Was zunächst nach einer schönen Sache für die Fans klingt, zeigt ein Problem bei Hertha: Der Ticketverkauf läuft nur schleppend.

Die Partie gegen den VfB war erst das zweite Heimspiel der Saison vor Zuschauern, zuvor hatten Hertha-Fans seit Anfang März auf einen Stadionbesuch verzichten müssen. Und trotzdem lässt sich anhand der zähen Ticketverkäufe keine große Sehnsucht der Anhänger nach dem Stadiongefühl ausmachen.

Hört man sich in der blau-weißen Fanszene um, so liegt die Zurückhaltung nicht am Hygienekonzept Herthas als solches. „Die Ordner haben nicht mal vor Eheleuten Halt gemacht und diese aufgefordert, den Abstand einzuhalten“, beobachtete Inis Heidekrüger (51). Sie geht normalerweise zu jedem Heimspiel und ist Teil der aktiven Fanszene. Und dennoch hat sie entschieden, vorerst nicht mehr ins Stadion zu gehen. „Gegen Frankfurt haben wir alles gegeben – aber gerade das Singen fördert die Verbreitung von Aerosolen“, erklärt sie. „Auch wenn das Hygienekonzept von Hertha überzeugt, gerade unter den gegenwärtigen Infektionszahlen möchte ich mich dem Risiko nicht noch einmal aussetzen.“

Aeorosole – eines der Schlüsselwörter der Corona-Zeit. Aber nicht das einzige, an das man im Stadion erinnert wird: Maskenpflicht, Abstand halten, Alkohol- und Singverbot. Ein befreites Mitfiebern im Stadion ist so kaum möglich. „Ich halte es gesellschaftlich für zumindest diskutabel, dass wir angesichts steigender Fallzahlen weiterhin Zuschauer in einigen Stadien haben“, sagt Steven Redetzki (30). Er geht seit 23 Jahren zu Hertha und normalerweise auch zu jedem Heimspiel. Darüber hinaus ist er bei Fan-Initiativen wie Blau-Weißes Stadion oder Aktion Herthakneipe aktiv. Den bisher zwei Heimspielen blieb er jedoch fern. „Ich möchte beim Stadionbesuch nicht auf Aerosole und Abstände achten, sondern warte auf den Moment, an dem wir alle wieder unter normalen Umständen ins Stadion können.“

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Das mulmige Gefühl auf den Rängen, das viele Fans momentan nicht zu einem Heimspielbesuch motiviert oder nach der ersten Partie ernüchtert nicht mehr hingehen lässt, ist einer der zwei Hauptgründe für die schwache Nachfrage nach Tickets. Das Stadion ist aktuell ein Ort der Krise; die Furcht, sich trotz Hygienekonzepts anzustecken, schwingt mit. Das zweite Argument: „Darüber hinaus bedeutet aber der Besuch eines Fußballspiels für mich eben auch die Nähe zu Freunden, die Emotionen während des Spiels und beim Torjubel, die Gesänge und vieles mehr“, sagt Redetzki.

Emotionen bleiben aktuell nahezu aus, werden von der gähnenden Leere des Olympiastadions geschluckt. „Ich bin gegen Frankfurt hingegangen, da ich unter Hertha-Entzug leide. Ich wollte nah am Team sein und Hertha trotz der gegenwärtigen Situation den Rücken stärken“, sagt Knut Beyer (59), seit 50 Jahren Hertha-Fan und Mitglied mehrerer Faninitiativen. Beyer ist bereits in den krisengebeutelten 80er Jahren zu Hertha-Heimspielen gegangen. Damals waren manchmal weniger Zuschauer im Stadion als heute erlaubt sind – und das ganz ohne Beschränkungen. „Gegen Frankfurt litt ich dann unter Kumpel-Entzug“, sagt Beyer. „Es gibt eben nichts Richtiges im Falschen.“ Wenn schon wenig Fans, dann wenigstens mit den Freunden bei einem Bierchen zusammen den Verein nach vorne brüllen – in Corona-Zeiten ist nicht einmal das möglich, ein Stadionbesuch wirkt somit obsolet.

„Ich habe unter diesen Umständen keine Lust. Normalerweise umarme ich dort einen Großteil meiner Freunde. Vereint in Trauer und Freude. Dazu fehlt mir die Stimmung in der Kurve“, sagt auch Klaus Gierl (52), der seit 1977 Hertha-Fan ist. „Das ist mir insgesamt zu freud- und emotionslos und würde mich eher traurig machen.“

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Der erhoffte Effekt, dass die Fans mit Stadion-Entzugserscheinungen den Vereinen die Tickets aus den Händen reißen würden, ist ausgeblieben – nicht nur bei Hertha. An zahlreichen Erst- und Zweitligastandorten wird die jeweils festgelegte Maximalkapazität aktuell nicht ausgereizt. Das Niedersachsen-Derby zwischen Hannover und Braunschweig besuchten nur 7000 von 9800 zugelassenen Fans. Auch Borussia Mönchengladbach, Nürnberg, Dresden, Stuttgart, Kaiserslautern und Bielefeld – allesamt Vereine, die für ihre starke Fanszene bekannt sind – haben ihr Stadion bislang nicht voll bekommen. Auch weil mancherorts die organisierte Fanszene die Spiele unter dem Motto „alle oder keiner“ boykottiert.

Hertha ist also nicht alleine, aber das Olympiastadion wirkt bekanntlich ja immer etwas leerer als andere Arenen. In Herthas Heimstätte soll auch die Mitgliederversammlung am 25. Oktober stattfinden. Für die Wahl des Präsidiums sind nur anwesende Mitglieder stimmberechtigt – man darf gespannt sein, wie viele unter diesen Umständen da sein werden.

Marc Schwitzky

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