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Davie Selke lebt von seiner Größe und Unverbrauchtheit.

© dpa

Hertha BSC: Die Zukunft für Davie Selke ist jetzt

Der 22 Jahre alte Mittelstürmer Davie Selke hat Hertha BSC mit seiner Frische, seiner Wucht und seinen vier Toren zu einer kleinen Wende verholfen.

Wenn man Davie Selke am Dienstagmittag so zuhörte, musste man froh sein, dass Pal Dardai nicht in der Nähe war. Vermutlich hätte Herthas angehender Stürmerstar den Trainer in seine langen Arme gewickelt und nicht mehr losgelassen. „Pal ist ein richtig guter Typ, er redet viel mit einem und man merkt, dass er noch nicht so lange weg ist von seiner aktiven Zeit“, sagte Selke. Der 22-Jährige ist so ein bisschen zum Hoffnungsträger geworden beim Berliner Bundesligisten. Nach zähen Oktober-Wochen und fadem Fußball hat Selke mit seinen Toren und seiner Frische eine kleine Wende herbeigeführt. Zwei Treffer waren es im Europapokal gegen Luhansk, und am Wochenende schoss er das Tor zum 3:3 in einem wilden wie wichtigen Spiel in Wolfsburg.

Man muss daran erinnern, dass Davie Selke im Sommer für sehr viel Geld nach Berlin gekommen ist. 8,5 Millionen Euro waren es, die Hertha an RB Leipzig überwies – so viel, wie noch nie für einen Spieler. Die Erwartungen waren hoch, bei allen im Klub, bei den Mitspielern und beim Anhang. Blöderweise verletzte sich der schlacksige Mittelstürmer, ehe er für Hertha auflaufen konnte. Fast drei Monate lang war er weg vom Fenster, wie es in der Sprache des Sports heißt. „Das war alles andere als optimal“, sagte Selke. Dabei hätte er sich im Sommer bei der EM, die für die deutsche U-21-Auswahl im Titel mündete, „so sehr gefreut“ auf seinen neuen Klub. Dann aber nicht loslegen zu können, sei schwierig gewesen, „denn die Jungs lernst du besten besten auf dem Platz kennen“.

Pal Dardai war es dann wieder, der das Gespräch mit Selke suchte und ihm das Gefühl vermittelte, dazuzugehören. Diese zehn Wochen werde er so rasch nicht mehr vergessen, es war seine erste schwere Verletzung, die Probleme am Außenfuß, „eine ganz blöde Stelle“. In seiner Not probierte er sogar verschiedene Modelle von Fußballschuhen aus, obwohl er seit vier Jahren einem vertraut, das ihm ein gutes Ballgefühl verleiht. Dortmunds Nationalspieler Marco Reus habe ihm mal erzählt, dass das Schlimmste an einer Verletzung die Einsamkeit sei. „Ich musste die Erfahrung machen, wie Recht er damit hat.“

Bremen, Leipzig, Berlin

Seit drei Wochen ist Selke an seiner neuen Mannschaft dran. Nach seinem ersten Teileinsatz gegen Schalke 04 Mitte Oktober war er so groggy, dass er hinterher Minuten lang im Kältebecken liegen musste. Inzwischen aber sieht er sich bei 95 Prozent. Vier Tore sprechen für ihn. „Es ist wichtig, dass ich Spielminuten sammeln und dabei auch zeigen konnte, dass ich weiß, wo das Tor steht.“

Pal Dardai war der erste, der die aufkommende Euphorie um Selke auskontern wollte. „Wir dürfen nicht gleich erwarten, dass er hundert Tore schießt“, sagte der 41-jährige Ungar. Aber vielleicht gibt er der Coach ihm das Gefühl, dass er genau die ihm zutraut? „Schon in unserem ersten Gespräch war pures Vertrauen zu spüren gewesen und viel Wertschätzung, ich hatte ein gutes Gefühl“, erzählte Selke. Er habe Dardai „alles abgekauft“ – und wurde nicht enttäuscht.

So gesehen war die Station RB Leipzig eine sehr wertvolle gewesen. Noch 2015 hatte es viel Trubel gegeben, dass Selke, der in Bremen zehn Tore schoss, zu damaligen Zweitligisten wechselte. Dort hatte er zwar seinen Anteil am Aufstieg in die Bundesliga, doch er kam nur noch zu zwei Startelfeinsätzen. Am Ende fehlte das gute Gefühl gänzlich. „Ich bin ein Typ, der Vertrauen spüren muss, der ein Umfeld braucht, das an einem glaubt“, erzählte Selke. In Leipzig war das in der zurückliegenden Spielzeit nicht mehr das Fall gewesen. „Es war eine Zeit, in der ich viel auf der Bank gesessen und die Erfahrung gemacht habe, dass verschiedene Personen verschiedene Ansichten haben und diese sehr anders sind, als die eigenen.“

Druck auf die Senioren-Stürmer

Diese Erfahrung sei mitentscheidend gewesen für seinen Wechsel nach Berlin. Hertha habe sich früh um ihn bemüht. „Ich wollte einfach wieder ein gutes Gefühl haben – und das habe ich jetzt wieder“, sagte Selke. Nicht zuletzt habe ihn die Entwicklung andere junger deutscher Nationalspieler wie Mitchell Weiser, Niklas Stark und Marvin Plattenhardt überzeugt. Sie hätten bei Hertha den nächsten Schritt gemacht. „Gerade Mitch, der sich bei den Bayern, einem großen Verein, nicht so durchsetzen konnte, war ein gutes Beispiel. Hier hat er sein Vertrauen wieder gefunden und ist zu alter Stärke gekommen.“ Das habe er genau verfolgt und in einem persönlichen Gespräch mit Weiser während der U-21-EM im Sommer auch bestätigt bekommen.

„Ach Davie“, sagte Pal Dardai, „er hat sich gut rangefightet, er hat einen guten Charakter. Aber er braucht noch etwas Zeit.“ Herthas Trainer verwies auf die lange Ausfallzeit – ein Umstand, den gerade junge Spieler Rechnung tragen müssten. „Wir wollen nichts überstürzen, von mir kriegt er Zeit bis in den Dezember.“ Ohnehin habe man den 1,92 Meter großen Stürmer für die Zukunft geholt.

Und als einen, der den Druck auf die Stürmer-Senioren Vedad Ibisevic, 33, und Salomon Kalou, 32, erhöhen kann. Denn mit beiden Spielern hatte Hertha die Verträge im vorigen Herbst (Ibisevic) und diesen Frühjahr (Kalou) erst verlängert. Bevor Selke Hertha sein Ja-Wort gab. „Ich wollte vom Trainer schon wissen, wie er mit mir plant“, erzählte Davie Selke. Im Fußball sei es oft nicht anders als im Leben, wo die Zukunft schon in der Gegenwart beginnt. Für Davie Selke hat sie bei Hertha in der vergangenen Woche begonnen.

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