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Uwe Gensheimer spielt bislang ein starkes WM-Turnier.

© imago/Jörg Schüler

Handball-WM: Uwe Gensheimer verfügt über exklusive Kenntnisse

Uwe Gensheimer hat mit dem Nationalteam noch keinen Titel geholt – bei der Heim-WM bietet sich ihm nun eine große Chance.

Fremdsprachenkenntnisse sind immer hilfreich, mitunter sogar im eigenen Land. Uwe Gensheimer etwa, der Kapitän der deutschen Handball-Nationalmannschaft und Angestellte des französischen Spitzenklubs Paris St. Germain, war am Dienstagabend in spezieller Mission unterwegs: Als das WM-Vorrundenspiel zwischen dem Gastgeber und Weltmeister Frankreich (25:25) auf seinen Höhepunkt zusteuerte, versuchte sich Gensheimer als Spion und Dolmetscher. Während der finalen Auszeit des Titelverteidigers – drei Sekunden waren noch auf der Uhr – stellte er sich rotzfrech in die gegnerische Spielertraube und lauschte den Ausführungen der französischen Nationalspieler. Bei den Franzosen kam das gar nicht gut an: Rechtsaußen Luc Abalo, Gensheimers Kollege aus Paris, schob den Deutschen freundlich, aber bestimmt zur Seite.

„Das war sicher nicht gentlemanlike, aber was sollten wir auch machen?“, sagte Nationaltorhüter Andreas Wolff am Morgen nach dem Spiel und grinste. „Uwe ist nun mal der Einzige aus der Mannschaft, der gut Französisch spricht.“ Am Ende ging der Spionageplan zwar nicht auf, Timothey N’Guessan traf mit der Schlusssirene zum Ausgleich. Trotzdem verdeutlichte die Szene vor allem eines: Gensheimer bedient sich bei der Heim-WM sämtlicher Tricks und Kniffe, um seinem Team zu helfen. „Uwe ist extrem fokussiert und zeigt bei diesem Turnier mit jeder Faser, warum er unser Kapitän ist“, sagt Wolff, „er geht spielerisch und neben dem Feld immer vorneweg.“

Gensheimer ist bisher bester Torschütze der WM

Bislang mit großem Erfolg: Dank des Unentschiedens gegen Frankreich und der brasilianischen Schützenhilfe gegen Russland wenige Stunden zuvor ist dem Nationalteam der Einzug in die Hauptrunde nicht mehr zu nehmen. Obendrein wird der Gastgeber nach dem abschließenden Vorrundenspiel gegen Serbien am Donnerstag in Berlin (18 Uhr, Arena am Ostbahnhof und live im ZDF) mit guten Aussichten die Weiterreise antreten. In Köln stoßen die drei besten Teams der Gruppe B zum Feld, das um den Halbfinaleinzug kämpfen wird: Spanien und Kroatien sind bereits qualifiziert, Mazedonien und Island streiten sich derzeit noch um den letzten freien Platz.

„Aber wir beschäftigen uns nicht mit Eventualitäten“, sagt Co-Trainer Alexander Haase, der Bundestrainer Christian Prokop beim Medientermin am Mittwoch vertrat. Womöglich steckte Prokop doch schon mitten in der Vorbereitung auf die nächsten Aufgaben. So oder so hat der Achtungserfolg gegen Frankreich das Selbstvertrauen und den Glauben an die eigene Stärke in der Mannschaft befeuert – trotz des Ausfalls eines Leistungsträgers: Steffen Weinhold zog sich gegen Frankreich eine Adduktorenzerrung zu, für ihn kommt Kai Häfner nach. „Wir haben gezeigt, dass wir an einem guten Tag gegen jede Mannschaft der Welt bestehen können“, sagt Haase.

Ein Kapitän in bestechender Form ist dabei erfahrungsgemäß hilfreich. Gensheimer hat bei der WM bisher 29 Treffer erzielt und führt die Torschützenliste des Turniers so mit dem Russen Timur Dibirov an. Grundsätzlich besteht auch kein Zweifel an Gensheimers Extraklasse, viele halten ihn für den besten Linksaußen der Welt. Auch Stefan Kretzschmar, Deutschlands bester Linksaußen der vergangenen Jahrzehnte und mit einem unfassbaren Wurfrepertoire gesegnet, ist ein erklärter Fan. Das Problem ist nur: Im fortgeschrittenen Sportleralter von 32 Jahren hat Gensheimer noch keinen großen Titel mit der Nationalmannschaft gewonnen. Viele Chancen, diesen Makel zu tilgen, wird er wohl nicht mehr bekommen, eine weitere Heim-WM erübrigt sich ohnehin. „Dieses Ziel spornt mich an“, sagt Gensheimer, „wir wollen unbedingt ins Halbfinale – dann ist alles möglich.“

Der Linksaußen musste schon viel Kritik einstecken

Bislang ist Gensheimer noch immer etwas dazwischengekommen, wenn die Gelegenheit günstig war. 2016 in Polen etwa, als eine junge und weitestgehend unbekannte deutsche Mannschaft unter dem Pseudonym „Bad Boys“ zum EM-Titel stürmte, fehlte Gensheimer verletzt. Ein Jahr später, bei der WM in seiner neuen Wahlheimat Frankreich, spielte Gensheimer stark auf – bis ihn eine schockierende, traurige Nachricht erreichte: Mitten im Turnier war sein Vater verstorben. Gensheimer reiste aus dem Teamhotel ab und quälte sich wenige Tage später zurück zur Mannschaft: Im Achtelfinale gegen Katar stand er dann völlig neben den Schuhen, genau wie seine Kollegen und der damalige Bundestrainer Dagur Sigurdsson. Deutschland blamierte sich im Achtelfinale gegen Katar und schied aus.

Auch nach dem schlechten Abschneiden bei der EM 2018 musste sich Gensheimer einiges von seinen Kritikern anhören: Er sei kein Anführer, kein Kapitän – und überhaupt: Wer benennt schon einen Linksaußen zum Kapitän?

Gensheimer hat nie zurückgekeilt oder sich öffentlich gewehrt. Das entspricht nicht seinem Naturell. Der Mannheimer ist ein zurückhaltender, ruhiger und bodenständiger Zeitgenosse. Bei seinem Heimatverein, den Rhein-Neckar Löwen, spielte er so lange, bis der Klub endlich die erste deutsche Meisterschaft seiner Geschichte feiern durfte – bis heute Gensheimers größter sportlicher Erfolg. Erst danach wechselte er zu Paris St. Germain Fremdsprachenkenntnisse, das weiß auch Gensheimer, sind eben immer hilfreich. Mitunter sogar im eigenen Land.

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