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Die Hände zum Himmel. Die deutsche Nationalmannschaft ist bei der Heim-WM bisher souverän aufgetreten – auch zuletzt gegen Island.

© Marius Becker/dpa

Handball-Europameister von 2016: Carsten Lichtlein: "Sie leben von ihrer Geschlossenheit"

Torhüter Carsten Lichtlein spricht über seine Nicht-Nominierung für die Handball-WM, das Image der Nationalmannschaft und die Chancen aufs Halbfinale.

Herr Lichtlein, Sie haben einmal gesagt, dass Sie niemals freiwillig aus der Handball-Nationalmannschaft zurücktreten würden. Sind Sie enttäuscht, dass Sie jetzt nicht bei der WM dabei sind?
Stimmt, das habe ich kategorisch ausgeschlossen. Wenn mich der Trainer nicht nominiert – okay. Aber selbst diese Tür zumachen? Auf keinen Fall. Ich hatte vor dem Turnier auch Kontakt mit Bundestrainer Christian Prokop und ihm gesagt, dass ich im Fall der Fälle natürlich zur Verfügung stehe, weil er einen erfahrenen Torwart als möglichen Ersatzmann haben wollte. Dass es nun Johannes Bitter geworden ist, ist für mich aber in Ordnung. Ich bin jetzt 38 Jahre alt, habe eine Weltmeisterschaft in Deutschland erlebt und viele, viele Turniere gespielt, EM, WM, Olympia. Ich kann damit gut leben, zumal ich jetzt mehr Zeit für die Familie habe. Bei meinem Verein, dem VfL Gummersbach, trainieren wir erst seit kurzem wieder. Ich konnte also ein paar Tage Urlaub mehr machen als normalerweise im Januar.

Wie verfolgen Sie die WM?
Ich konnte die Spiele bislang nur am Fernseher sehen. Berlin ist leider nicht um die Ecke. Aber am Montag gegen Kroatien und am Mittwoch gegen Spanien werde ich selbstverständlich in Köln dabei sein.

Welchen Eindruck haben Sie von der deutschen Mannschaft?
Sie lebt von ihrer Geschlossenheit und tritt wirklich als Mannschaft auf, das ist schön zu sehen. Anders noch als etwa vor einem Jahr bei der EM in Kroatien. Das ist immens wichtig, weil man nur so die Zuschauer mitnehmen kann – und die können ein großer Faktor im Handball sein. Ich bin schon gespannt wie sich das anhören wird, wenn die Spieler am Montag in die Halle einlaufen. Ich bekomme heute noch Gänsehaut wenn ich an unseren Sieg im WM-Finale 2007 zurückdenke. Damals hat das Endspiel ja auch in Köln stattgefunden.

Nationaltorhüter Andreas Wolff hat erzählt, dass er nach dem Spiel gegen Weltmeister Frankreich so aufgekratzt war, dass er erst gegen vier Uhr nachts in den Schlaf gefunden hat. Kommt Ihnen das aus persönlicher Erfahrung bekannt vor?

Auf jeden Fall. Man ist dann voller Adrenalin, geht gedanklich nochmal die Schlüsselszenen des Spiels durch oder vielleicht auch irgendwelche Kleinigkeiten, alles kreist durch den Kopf. Und am nächsten Morgen bist du völlig erschlagen und merkst: Ein paar Stunden mehr Schlaf hätten doch ganz gut getan. Ich kann mich zum Beispiel noch an 2015 erinnern…

…damals fand die Weltmeisterschaft in Katar statt...
…genau, und der Weg zur Trainingshalle war extrem weit. Wir mussten bis zur Ankunft gefühlt eine Stunde durch die Wüste fahren, das war ziemlich anstrengend und nervig. Einmal bin ich auf dem Weg zum Training sogar im Mannschaftsbus eingeschlafen. Das muss man sich mal vorstellen! Auf dem Weg zum Training eingepennt! Normalerweise fliegt man für solche Sachen raus. Aber bei Turnieren drücken die Trainer auch mal ein Auge zu, weil sie um die hohe Belastung wissen und weil jeden zweiten Tag ein Spiel stattfindet.

Europameister. Torwart Carsten Lichtlein, 38, kam 2016 in Tegel mit der Schale an.
Europameister. Torwart Carsten Lichtlein, 38, kam 2016 in Tegel mit der Schale an.

© Michael Kappeler/dpa

Beim letzten großen Erfolg, dem EM-Titel 2016 in Polen, waren Sie noch als Aktiver dabei und der mit Abstand älteste Spieler in einem Team voller junger Wilder, die vorher kaum jemand kannte und hinterher gefeiert wurden.
Wir haben da wirklich eine irre Geschichte geschrieben. Es gab so viele Leute, die sich in den Vordergrund gespielt und über ihre Bundesliga-Vereine hinaus einen Namen gemacht haben. Fabi Wiede von den Füchsen Berlin, Finn Lemke, Jannik Kohlbacher, Julius Kühn. Die Liste ließe sich fortsetzen. Jetzt haben die Jungs die nächsten Schritte gemacht, sind teilweise zu größeren Vereinen gewechselt, spielen im Europapokal. Für mich ist das sehr spannend zu beobachten.

Damals firmierte die Nationalmannschaft unter dem Pseudonym „Bad Boys“. Nun hat Bundestrainer Prokop vor dem Turnier betont, wie wichtig es ist, diesen Begriff abzulegen und sich eine neue Identität anzueignen. Können Sie das nachvollziehen?
Die Nummer mit den Bad Boys gab es ja schon vorher, 2015 hat uns der damalige Bundestrainer Dagur Sigurdsson damit zum ersten Mal vertraut gemacht. Nur in der Öffentlichkeit ist das mit einer gewissen Verzögerung angekommen, weil wir bei der EM in Polen so erfolgreich waren. Inhaltlich bin ich total bei Christian Prokop: Das war Dagurs Idee, sie war authentisch und hat uns alle mitgerissen. Aber wie heißt es so schön? Alles zu seiner Zeit. Jetzt ist es eben Zeit für eine neue Geschichte. Ich bin ganz optimistisch, dass das klappen kann.

Warum?
Weil die taktische Herangehensweise eine ähnliche ist. Die deutsche Mannschaft macht das, was man bei großen Turnieren machen muss, wenn man erfolgreich sein will: Sie spielt eine harte, aggressive Deckung und hat in Andreas Wolff und Silvio Heinevetter zwei wirklich starke Torhüter dahinter. Das ist die Grundvoraussetzung. Im Angriff sehe ich allerdings noch Steigerungspotenzial. Da muss mehr kommen, wenn wir gegen Spanien und Kroatien eine Chance haben wollen.

Was ist denn für die Deutschen drin?
Für den Halbfinaleinzug müssen sie mindestens einen großen Gegner schlagen, ab dem Halbfinale ist dann alles möglich, da entscheiden viele Kleinigkeiten. Nur eine Sache finde ich richtig schade für die Spieler…

…nämlich?
Dass sie im Falle eines Finaleinzugs nach Dänemark reisen müssten und das Endspiel eben nicht in Deutschland stattfindet. Aber das war eine zentrale Bedingung des dänischen Verbands bei der gemeinsamen Bewerbung um die Ausrichtung des Turniers. Andererseits hätte es sonst wahrscheinlich gar keine Weltmeisterschaft in Deutschland gegeben.

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