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Dinah Eckerle, 23, spielt beim SG Bietigheim in der Bundesliga. Bei der EM in Frankreich ist sie erstmals Stammtorhüterin der deutschen Mannschaft, die am Mittwoch (Beginn 21 Uhr) gegen die Niederlande gewinnen muss, um im Turnier zu bleiben.

© Fredrik Varfjell/dpa

Handball-EM in Frankreich: Deutsche Torhüterin: "Je mehr es schmerzt, desto besser"

Dinah Eckerle über den Job als Handball-Nationaltorhüterin, die Methoden von Bundestrainer Henk Groener und das entscheidende EM-Spiel gegen Holland.

Von David Joram

Frau Eckerle, wie verrückt muss jemand sein, der sich freiwillig in ein Handball-Tor stellt?

(lacht) Ich glaube, es gibt keine Feldspielerin, die freiwillig sagt: Ich würde mich gern ins Tor stellen. Ein gewisser Grad an Verrücktheit muss sicher vorhanden sein, aber die Charaktere, die im Tor stehen, sind auch völlig verschieden. Manche sind emotionaler, andere ruhiger. Einen Knack weg haben vermutlich alle.

Zu welcher Kategorie zählen Sie?

Das kommt ganz auf das Spiel an. Es gibt Spiele, da brauche ich eher Ruhe, um mich auf mich konzentrieren zu können. Und dann gibt es Spiele, da werde ich emotional, versuche die Mannschaft mitzureißen, zu pushen.

Gehen Sie manchmal auch mit dem Vorsatz ins Spiel, ihre Gegnerinnen zu fressen, wie man sagt?

In der Kabine höre ich meistens meine Musik, die ordentlich wummst, das motiviert. Dann gehe ich nochmal die gegnerischen Spielerinnen durch und versuche, mich in deren Köpfe reinzuversetzen. Aber eine gewisse Aggressivität, um Paroli zu bieten, gehört schon dazu.

Als Torfrau springen sie mit ausgestreckten Armen Menschen entgegen, die aus zwei, drei Metern Entfernung harte Bälle mit hoher Geschwindigkeit in Ihre Richtung abfeuern. Wie trainiert man das?

Grundvoraussetzung ist, dass man so etwas machen möchte. Das Schöne an unserer Position ist ja: Je mehr es schmerzt, desto besser ist die eigene Leistung. Im Training lernt man, nicht auf jede Bewegung der Werferin zu reagieren, aufrecht zu bleiben, die Arme offen zu lassen.

Gegen Spanien parierten Sie 15 von 38 Würfen, eine Topleistung. Gegen Ungarn waren es am Sonntag nur acht von 34. Wie erklären sich solche Leistungsschwankungen?

Gegen Spanien war die Abwehrleistung überragend; da hat es dann auch die Torhüterin leichter. Gegen Ungarn mussten wir dagegen unheimlich viele freie Würfe hinnehmen, die viel schwerer einzuschätzen und zu halten sind.

Schlechte Phasen während eines Spiels hat quasi jede Torfrau mal. Wie gehen Sie damit um?

Es bringt nichts, sich über vergangene Tore zu ärgern und sich damit runterzuziehen. Ich versuche immer, mich auf den nächsten Ball zu konzentrieren. Der könnte ja entscheidend sein. Ich sage mir: Den hast du! Das ist meiner! Das funktioniert dann über Emotionalität. In diesen Momenten versuche ich, mich und die Mannschaft neu zu pushen.

Im bisherigen Turnierverlauf war viel vom Spaß die Rede, den die Deutschen bei ihren Spielen haben. Fehlte der Spaß beim 25:26 am Sonntag gegen Ungarn, weil klar war, dass man nun auch etwas zu verlieren hat?

Vielleicht war das so, ja. Wir wollten eigentlich wie beim 29:23-Sieg im ersten Hauptrundenspiel gegen Spanien frei aufspielen und zeigen, was wir können - und dann starten wir einfach extrem schlecht. Das war in vielen Belangen ein gebrauchter Tag. Abpraller, die beim Gegner landeten, Pfostenwürfe, so was summiert sich.

Für den Einzug ins Halbfinale benötigen Sie nun nicht nur Schützenhilfe von den Rumäninnen, sondern müssen auch den WM-Dritten und EM-Zweiten Niederlande schlagen. Wie stehen die Chancen?

Bei so einem Turnier kann wirklich alles passieren, das haben wir schon beim 33:32-Sieg gegen Norwegen in der Vorrunde gezeigt. Aber Rechnen hilft jetzt nichts. Wir wollen nochmal ein super Spiel machen und das auch gewinnen.

Holland hat bisher noch kein Spiel bei dieser EM in Frankreich verloren.

Natürlich sind die Holländerinnen stark. Sie spielen einen unheimlich schnellen Ball und sind sehr variabel; sowohl im Eins-gegen-eins als auch mit den Würfen aus dem Rückraum. Sie haben mit Lois Abbingh eine Schlüsselspielerin im Rückraum, dazu sehr gute Außen. Und gegen Tess Wester müssen wir erstmal die Tore machen, das wird ein Knackpunkt sein. Aber egal wie: Wir müssen die Dinger einfach reinhauen.

Ihr Trainer Henk Groener ist Holländer. Er übernahm beim DHB nach dem bitteren Achtelfinal-Aus bei der Heim-WM 2017. Was hat sich verändert?

Die Mannschaft hat sich um 180 Grad gedreht, wir haben jetzt sehr viele junge Spielerinnen dabei, die früher nicht die große Rolle gespielt haben und diesmal megamotiviert sind.

Das war zuvor nicht der Fall?

Das will ich so nicht sagen, nein. Aber wir haben nun eine gewisse Frische drin.

Was macht Henk Groener anders als Vorgänger Michael Biegler?

Er fordert unheimlich viel Eigeninitiative. Das waren wir so nicht gewohnt. Wir haben viel Entscheidungsfreiheit, was und wie wir spielen wollen. Er fordert von uns, dass wir uns hinterfragen: Warum machst du die Bewegung jetzt? Warum willst du den Spielzug nun so und so spielen? Das ist schon eine Umstellung. Inzwischen muss man viel mitdenken und das bringt uns weiter.

Mit 23 spielen Sie schon ihr viertes großes Turnier, das erste als Stammtorhüterin. Haben Sie teamintern an Ansehen gewonnen?

Es ist eine neue Rolle, als Nummer 1 anzureisen. Das war für mich zu Beginn des Turniers nicht ganz so leicht, ich habe mir da sehr viel Druck gemacht, wollte der Mannschaft natürlich viel helfen und am liebsten 50 Prozent halten. Das ging in den ersten beiden Spielen direkt in die Hose. Ich versuche nun, das alles entspannter zu sehen.

Sie gehen in ein Spiel mit der Vorgabe, 50 Prozent aller Bälle abzuwehren?

Das war jetzt ein bisschen übertrieben (lacht). Aber man möchte der Mannschaft schon zum Sieg verhelfen. Wenn man dann merkt, man schafft das nicht, ist das extrem frustrierend. Aber das Spiel gegen Spanien war ein Schritt nach vorn. Wenn wir weiter intensiv am Zusammenspiel mit der Abwehr arbeiten, bin ich guter Dinge.

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