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Kenenisa Bekele ist am Ziel.

© AFP

Großer Sieg beim Berlin-Marathon: Kenenisa Bekele zeigt es allen Zweiflern

Zwischendurch sah es so aus, als hätte er keine Chance mehr. Doch dann kämpfte sich Kenenisa Bekele zurück an die Spitze - und wie.

Der Lärm auf der Straße des 17. Juni schwoll ins Unermessliche an. Kaum wer hatte vor dem Rennen damit gerechnet, dass der erste Läufer bereits so früh auf die Zielgerade einbiegen würde. Doch Kenenisa Bekele hatte sich etwas vorgenommen. Dass er das Rennen nach einer furiosen Aufholjagd gewinnen würde, war zu diesem Zeitpunkt bereits klar. Aber Bekele wollte jetzt alles, Bekele wollte das zuvor für unmöglich Gehaltene: den Weltrekord. Der 37-Jährige nahm noch einmal alles zusammen und wetzte die letzten Meter in Richtung Ziel. Es würde eine Sache von Sekunden werden, das hatte auch das Publikum verstanden und peitschte Bekele nach vorn. Die Sekunden verrannen, der Lärm steigerte sich, das Zielband flog heran – doch am Ende nicht schnell genug. Zwei Sekunden fehlten Bekele letztlich zur Einstellung des Weltrekords, den Eliud Kipchoge bei seinem Vorjahreserfolg in Berlin aufgestellt hatte – über 42,195 Kilometer eine Winzigkeit.

Mit Enttäuschung im Gesicht trabte Bekele im Zielbereich aus. Wie schon bei seinem ersten Triumph in Berlin vor drei Jahren hatten ihm nur wenige Sekunden für eine neue Weltbestzeit gefehlt. Da hatte er den damaligen Rekord in 2:03:03 Stunden um sechs Sekunden verpasst, diesmal war selbst die sensationelle Steigerung auf 2:01:41 Stunden zu wenig.

So sah sich Bekele sogar zu einer Entschuldigung genötigt: „Es tut mir leid, dass ich den Weltrekord so knapp verpasst habe“, sagte er kurz nach seinem Sieg in die Fernsehmikrofone. Rechte Freude über seinen fantastischen Sieg wollte da noch nicht bei ihm aufkommen.

Dabei hätte er dazu nicht nur aufgrund seiner Leistung allen Grund gehabt: Denn Bekele lief in Berlin nicht nur gegen die Uhr, sondern auch gegen aufkommende Zweifel an seinem Status als „König der Läufer“. Auf der Bahn und im Crosslauf hatte er in diesem Jahrtausend nach Belieben dominiert, noch immer hält Bekele die Weltrekorde über 5000 und 10.000 Meter.

Doch über die Marathon-Distanz war für ihn nach seinem 2016er-Sieg in Berlin nicht mehr viel zusammengelaufen. Es fehle ihm an Professionalität und Disziplin, hieß es. Er kümmere sich zu sehr um die Geschäfte in seiner äthiopischen Heimat und zu wenig um seine sportlichen Leistungen. Nun schlug Bekele zurück.

Vor dem Start des Rennens hatte sich die alternde Lauflegende bereits als Stadtführer ins Spiel gebracht. Seine jüngeren Landsleute hatten Bekele zuletzt mit guten Zeiten über die Marathon-Distanz im Nacken gesessen und sich auch für das Rennen in Berlin etwas ausgerechnet. Bekele hatte das locker genommen: „Für sie ist die Strecke in Berlin etwas Neues“, sagte er. „Vielleicht zeige ich ihnen am Sonntag den Weg.“

Und tatsächlich lief Bekele auch von Rennbeginn an vorneweg – für etwa 30 Kilometer. Dann sah es so aus, als wären die jüngeren Beine seiner Kollegen Birhanu Legese und Sisay Lemma doch die schnelleren. Bekele musste abreißen lassen. „Ich hatte zwischenzeitlich Probleme mit meiner Oberschenkelmuskulatur“, sagte er. „Dann wurde es besser.“

Bekele legte einen beeindruckenden Schlussspurt hin

Und wie: Bekele ließ sich nicht aus der Ruhe bringen und startete einen gigantischen Schlussspurt. Erst kassierte er den schwächelnden Lemma ein, und fünf Kilometer vor Schluss zog er dann auch unwiderstehlich an Legese vorbei. Von da an peitschte Bekele mit einem wahnwitzigen Tempo über den Berliner Asphalt – auf einmal war sogar der Weltrekord in Reichweite.

Von dem hatten die Organisatoren des Rennens vorher nicht einmal zu sprechen gewagt. Zu überirdisch erschien Kipchoges Siegerzeit aus dem Vorjahr, allzu irdisch hingegen die letzten Leistungen Bekeles. Doch der trotzte am Ende allen Zweifeln. „Das ist ein fantastisches Ergebnis“, konnte er sich dann doch auch ein bisschen freuen und ergänzte bescheiden: „Ich bin froh, dass ich meine Bestzeit gelaufen bin.“ 

Die hatte sich auch der deutsche Topläufer Philipp Pflieger vorgenommen, um die Olympia-Norm von 2:11:30 Stunden zu knacken. Der 32-Jährige lag dabei lange auf Kurs, musste das Rennen dann jedoch verletzt aufgeben. Schnellster Deutscher wurde so Jens Nerkamp in 2:14:54 Stunden.

Starkes Debüt von Melat Kejeta

Das Rennen der Frauen geriet durch Bekeles spektakulären Auftritt etwas in den Hintergrund. Hier hatten sich die Veranstalter ein schnelles Rennen versprochen, doch am Ende schaffte es keine der Läuferinnen unter die anvisierte Topzeit von 2:20:00 Stunden. Die dreimalige Siegerin Gladys Cherono ging von einer leichten Erkältung geschwächt an den Start und konnte das Rennen nicht beenden. So siegte Ashete Bekere in 2:20:14 Stunden, nachdem sie sich auf der Zielgeraden von Mare Dibaba absetzen konnte.

Melat Kejeta feierte mit Platz sechs ein beeindruckendes Marathon-Debüt, auch wenn sie in 2:23:57 Stunden nicht ganz an ihre ambitionierte Zielzeit von 2:22:00 Stunden herankam. Völlig verausgabt erreichte sie das Ziel und konnte sich dort über die Qualifikation für Olympia freuen. Dann wird die 27-Jährige für Deutschland starten: Im März hatte sie ihre Einbürgerungsurkunde erhalten, nachdem sie sechs Jahre zuvor aus Äthiopien geflohen war. Den Berlin-Marathon wird nicht nur sie noch lange in Erinnerung behalten.

Leonard Brandbeck

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