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Mehr Show als Sport? Die Katarer erwarten sich von der Fußball-WM 2022 viel Prestige.

© picture alliance/ dpa

Große Probleme vor der WM 2022 in Katar: "Die Fifa kann nicht einfach wegschauen"

Minky Worden, Direktorin von Human Rights Watch, spricht über neue Todesfälle in Katar und die Verantwortung von Sportfunktionären und Politikern.

Minky Worden, es sind noch genau vier Jahre, bis im November 2022 mit einem großen Feuerwerk in der Wüste von Katar die Fußball-Weltmeisterschaft eröffnet wird. Wie bewerten Sie den aktuellen Stand der Vorbereitung?

Ziemlich ernüchternd, wenn Sie mich so fragen.

Warum?

Die Fifa liefert tollen Fußball. Aber die Kosten für das Spektakel sind zu hoch – in Dollar und in Menschen. Für die WM in Russland 2018 haben Sklaven aus Nordkorea beim Bau des Stadions von St. Petersburg mitgeholfen. Offiziell kam es bei den WM-Bauten zu 21 Todesfällen. In Katar sind es bislang 18 bestätigte. Man muss aber davon ausgehen, dass die tatsächliche Zahl noch höher liegt.

Was lässt Sie das glauben?

Vor ein paar Wochen ist am Education City Stadium in Doha ein 23-jähriger Nepalese in den Tod gestürzt. Weil es dort einfach keine Sicherheitsvorkehrungen gibt, keine Auffangnetze, nichts. Es gibt in Katar keine Gewerkschaften, die sich für die Sicherheit der Arbeiter einsetzen. Dabei gibt Katar im Moment 500 Millionen Dollar für Bauarbeiten aus – pro Woche. Und dafür arbeiten etwa eine Million Gastarbeiter. Das ist fast die Hälfte der Menschen im Land.

Das Organisationskomitee hat Besserung versprochen. Es will nun mit der Internationalen Arbeiter-Vereinigung zusammenarbeiten und einen Mindestlohn einführen.

Zusagen sind nicht genug. Es muss auch passieren. Und unsere Recherchen zeigen, dass die Bedingungen vielerorts noch so schlimm sind wie seit jeher. Nur in den Stadien hat es sich etwas gebessert. Dass unmittelbar für die WM aber auch noch Straßen, Hotels, Shoppingmalls entstehen, wird überhaupt nicht berücksichtigt. Die Arbeiter an den Arenen machen kaum zwei Prozent aller an den Baustellen aus.

Was muss sich Ihrer Meinung nach bis 2022 ändern?

Vor allem drei Dinge. Erstens: Das Kafala-System ist, obwohl zugesagt, noch immer nicht abgeschafft. Es gibt also immer noch Lehnsherren, die ihren Gastarbeitern die Pässe entziehen und sie damit faktisch zu abhängigen Sklaven machen, die unter gefährlichen, menschenunwürdigen, teils tödlichen Bedingungen arbeiten. Oft wird dabei dann auch der Lohn einbehalten, den die Männer aus Nepal oder Pakistan zur Familie in die Heimat schicken. Sie arbeiten dann zu Tageszeiten in der Hitze, in denen es teilweise wegen der Kreislaufüberlastung zum Herzstillstand kommt. Da kann man nicht einfach zusehen. Zweitens die ganze Gesetzgebung gegen Homosexuelle.

Was ist damit?

Männer, die in Katar flirten, Händchen halten oder sonst wie ihre Zuneigung zueinander ausdrücken, drohen bis drei Jahre Haft. Das gilt im Übrigen auch für unverheiratete heterosexuelle Paare. Muslimen droht, wenn sie beim Sex außerhalb der Ehe erwischt werden, sogar die Todesstrafe, Nicht-Muslimen immerhin noch Auspeitschung und Gefängnis.

Minky Worden ist eine amerikanische Menschenrechtsaktivistin und Autorin.
Minky Worden ist eine amerikanische Menschenrechtsaktivistin und Autorin.

© promo

Der Sport redet sich gern damit raus, dass er nicht politisch sein will.

Das hat nichts mit Politik zu tun, sondern mit Menschlichkeit. Und Katar verletzt aktuell die Menschenrechtserklärung der Vereinten Nationen, der Olympischen Charta und der Fifa-Statuten.

Die Fifa sagt, was außerhalb der Stadien passiert, liegt nicht in ihrer Verantwortung.

Und das kann es eben nicht sein! Wenn Hooligans sich am Rande der Spiele prügeln, ist das ihre Sache. Wenn Kinder für den Weltcup Trikots und Fahnen nähen, ist das ihre Sache. Wenn Arbeiter sterben, weil rund um die Stadien ganze Städte in kürzester Zeit entstehen, ist das ihre Sache. Wenn Homosexuelle Angst um ihr Leben haben müssen, sich nicht als Menschen fühlen dürfen, ist das ihre Sache. Die Fifa kann nicht einfach wegschauen.

Sie haben von noch einem dritten Punkt gesprochen.

In Katar gibt es faktisch keine Pressefreiheit. Stellen Sie sich schon mal drauf ein, dass Ihr Handy und Laptop bei der Ein- und Ausreise komplett durchleuchtet werden. Als ich das letzte Mal aus Doha zurückkam, hatte unsere IT ziemlich zu tun. Es hatte offenbar über 200 Hackerangriffe durch den Geheimdienst gegeben. Katar ist was das anbelangt noch härter als Russland oder China.

Noch einmal zusammengefasst: Was konkret muss sich ändern?

Das Kafala-System, die Pressegesetze, die Diskriminierung und Verfolgung von Homosexuellen – das muss weg. Wenn Katar das Scheinwerferlicht internationaler Sportevents haben will, muss es sich ändern. Nachhaltig ändern. Und die Zeit drängt. Es sind nur noch vier Jahre.

Hat sich denn schon etwas verändert?

Ja. Es hat schon kleine Reformen gegeben.

Welche?

Die Fifa ist mit der Korruption und die Ermittlungen der Staatsanwaltschaften unter Druck geraten. Sie muss etwas tun, um wieder einen besseren Ruf zu bekommen. Sepp Blatter hat noch ein paar Dinge auf den Weg gebracht, ehe Gianni Infantino übernahm. Seit 2015 gibt es in den Fifa-Statuten Menschenrechtssätze. Künftig ist die Einhaltung der Menschenrechte Grundvoraussetzung, um sich um eine Weltmeisterschaft zu bewerben.

Bei der Vergabe 2010 nach Katar und Russland hat das die Fifa nicht interessiert, solange nur das Geld stimmte. Woher kommt der Sinneswandel?

Bislang wollten die Funktionäre ihren Kaviar und ihre schicke Hotelsuite und dann war alles schön, egal was draußen passierte. Das ist nicht mehr so. Der Druck großer Sponsoren wie Adidas oder Coca Cola hat immens zugenommen. Niemand will seine Marke mit toten Arbeitern in Verbindung gebracht wissen. Oder der Verfolgung von Homosexuellen.

Wie geht Katar mit den Forderungen um?

Es ist sehr zwiegespalten. Einerseits sagen sie: So ist halt unsere Kultur. Andererseits wissen sie aber auch, dass sie Dinge ändern müssen. Katar will attraktiv und sympathisch wahrgenommen werden. Das ist für das kleine Land politisch von großer Bedeutung, wenn es dauerhaft auf der Weltkarte Platz finden und Einfluss ausüben will. Im Englischen sprechen wir hier von einer „soft power“ Strategie. Dafür ist die WM da. Aber gesellschaftliche Änderungen sind nicht Entscheidung des Organisationskomitees, sondern der Führung des Landes. Stand jetzt muss man einfach sagen: Katar ist für diese Weltmeisterschaft noch nicht bereit.

Was fordern Sie von den Mitgliedern des deutschen Bundestags und von den Vertretern des Deutschen Fußball-Bunds (DFB)?

Auch deutsche Baufirmen sollten genau hinschauen, ob sie in Katar die Standards erfüllen, die für sie auch in Deutschland gelten würden. Und wenn sie es nicht tun, sollte die Politik hinschauen. Außerdem haben wir den DFB ermutigt, Katar noch einmal zu besuchen und sich aktiv für Menschenrechte einzusetzen. Sie fanden es nicht vertretbar, dass ihre Spieler im Sommer bei tödlicher Hitze auflaufen müssen – zack, das Turnier wurde in den Winter verlegt. Warum ist es vertretbar, dass LGBT und dessen Befürworter um ihr Leben fürchten müssen? Wir haben hier die Chance, etwas zu ändern – wir haben auch die Verpflichtung, sie zu nutzen.

Minky Worden ist eine amerikanische Menschenrechtsaktivistin und Autorin. Die 51-Jährige ist seit 1998 bei Human Rights Watch und dort inzwischen Direktorin von Global Initiatives. Als solche hat sie seit den Olympischen Spielen 2008 in Peking eine Vielzahl internationaler Sportevents kritisch begleitet und auch im deutschen Bundestag zur Menschenrechtslage in Katar vorgesprochen.

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