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Florian Busch (r.) musste in seiner Karriere eine Menge einstecken. Nach einer weiteren Kopfverletzung fehlt er den Eisbären Berlin nun schon fast die gesamte Saison.

© dpa

Gehirnerschütterungen im Sport: „Da hat man einfach eine Tablette eingeworfen“

Im Profisport und gerade im Eishockey sind Gehirnerschütterungen keine Seltenheit. Doch anders als früher wird das Thema heute ernst genommen.

Jede zehnte Verletzung im Eishockey ist eine Gehirnerschütterung. Irgendwann erwischt es praktisch jeden Profi einmal am Kopf. Bei den Eisbären Berlin wissen sie das aus eigener Erfahrung. Der langjährige Kapitän Stefan Ustorf beispielsweise musste nach mehreren Gehirnerschütterungen seine Karriere beenden und leidet noch heute an den Folgen. Auch die aktuelle Mannschaft, die am Freitag die Düsseldorfer EG in der Arena am Ostbahnhof empfängt (19.30 Uhr/Magentasport), muss mit Sean Backman und Florian Busch seit längerem auf zwei Spieler verzichten, die sich Gehirnerschütterungen zugezogen haben. Ihre Rückkehr ins Team für diese Saison gilt als eher unwahrscheinlich.

Früher wurde das Thema nicht wirklich ernst genommen. „Da hat man einfach eine Tablette eingeworfen und nach drei Tagen musste es wieder gehen“, erzählt Eisbären-Legende Sven Felski. Doch die Zeiten haben sich geändert – zum Glück für die Sportler. „Heute ist die Sensibilisierung höher und das wird so auch vorgegeben von den Vereinen“, sagt der aktuelle Berliner Kapitän André Rankel, der ebenfalls schon aufgrund von Gehirnerschütterungen pausieren musste. Liegt nach einer Aktion gegen den Kopf der Verdacht auf eine Kopfverletzung vor, werden dem Profi direkt auf der Spielerbank vier Fragen gestellt, berichtet Jörg von Ameln, der Spielbetriebsleiter der Deutschen Eishockey-Liga (DEL).

In drei Minuten liegt ein Testergebnis vor

Doch das allein reicht nicht aus. „Es gibt inzwischen vor jeder Saison umfangreiche Tests, auch neurologische“, sagt von Ameln. Zudem arbeiten die Trainer seit 2016 mit einer von der Hannelore-Kohl-Stiftung entwickelten Handy-App. Diese Gehirn-Erschütterungs-Test-App – kurz GET – wurde nun erweitert. Beteiligt daran waren Sportverbände und Mediziner, darunter Axel Gänsslen, der Mannschaftsarzt der Grizzlys Wolfsburg. Im Rahmen der Initiative „Schütz Deinen Kopf!“ wurde die Funktionsweise der Anwendung am Donnerstag im Sportforum Hohenschönhausen vorgestellt.

„Die App ist keine Diagnose-App. Ziel ist aber, dass ein Mediziner zumindest weiß, da könnte etwas sein“, erklärt Gänsslen. Um dann weitere Behandlungen einzuleiten. Ein Ergebnis liegt nach nur drei Minuten vor, wobei dies von vorgegebenen Parametern bestimmt wird. Denn von Sportart zu Sportart und Mensch zu Mensch bestehen Unterschiede in den Reaktionszeiten. „Wir wollen für eine Sensibilisierung sorgen. Im Eishockey herrscht dafür offenbar ein Bewusstsein“, sagt Peter Vajkoczy, Direktor für Neurochirurgie an der Charité. Dabei richtet sich die Anwendung ebenso an andere Mannschaftssportarten, aufgrund der kurzen Testdauer kann sie auch im Fußball eingesetzt werden.

Dass es auch dort Handlungsbedarf gibt, dürfte nicht erst angesichts der Szenen aus dem WM-Finale von 2014 zwischen Deutschland und Argentinien klar sein. „Christoph Kramer ist ein gutes Beispiel. Weil er 15 Minuten lang mit einer Gehirnerschütterung gespielt hat und es bis heute eigentlich gar nicht weiß“, sagt Gänsslen. Noch aber ist die Datenlage hierzulande überschaubar, anders als beispielweise in den USA. Dort haben die Berichte über schwere Hirnschädigungen bei Football-Spielern zu einem Umdenken geführt. Was auch Auswirkungen auf den US-Fußball hat, wo Kopfbälle laut Vajkoczy für Kinder inzwischen verboten seien. Dem hat sich inzwischen auch der englische Verband angeschlossen. „Ein Kopfball, der wiederholt stattfindet, kann für ein Kind gefährlich sein. Das Gehirn entwickelt sich ja noch“, sagt Vajkoczy.

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Gerade im Jugend- und Breitensport gibt es allerdings längst keine so umfangreiche medizinische Betreuung wie in einem Profiverein. Bekannt ist, dass „die mittlere Erholungszeit bei Kindern nach einer Gehirnerschütterung zwischen 40 und 60 Tagen liegt. Bei Erwachsenen sind es etwa zehn Tage. 97 Prozent schaffen das in vier Wochen“, sagt Gänsslen. Für Sven Felski, heute Sport-Geschäftsführer der Eisbären Juniors, ist deshalb klar: „Die kleinsten Symptome müssen erkannt werden und nach einer kritischen Situation ist ärztliche Behandlung umgehend notwendig.“

Bagatellisiert wird das Thema Gehirnerschütterung heute im Eishockey kaum mehr: „Die Strafen für Aktionen gegen den Kopf wurden deutlich verschärft. Darüber haben wir auch mit den Spielern gesprochen und in der neuen Generation ist auch der Respekt untereinander gewachsen“, sagt Jörg von Ameln.

Ausschließen lassen sich Verletzungen am Kopf allerdings nie völlig, die Zahl von zwei Gehirnerschütterungen innerhalb von 1000 Stunden Eishockey-Training oder -Spiel ist nach wie vor erstaunlich und auch zehn bis zwanzig Mal höher als im Fußball, Handball oder Basketball.

Kinder erholen sich viel langsamer als Erwachsene von einer Gehirnerschütterung

Umso wichtiger ist die Früherkennung. Auch wenn die nicht immer leicht ist: „Wenn du dir das Bein oder den Arm brichst, sieht man das. Bei der Gehirnerschütterung ist das anders“, sagt André Rankel.

Mit dem wachsenden Bewusstsein aller Beteiligten und neuen Analyseverfahren wie der GET-App sinkt aber zumindest das Risiko, dass sich eine Verletzung am Kopf noch weiter verschlimmert. Sofern Trainer und Profis dabei an mehr denken als nur an das nächste Spiel.

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