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Comedians? Oder Wikinger?

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Fußball-WM 2018: Island: Huh mich auch!

Alle finden die Mannschaft von Island toll – ist sie ja vielleicht auch. Aber der Hype nervt. Wirklich!

Die Erde ist eine Scheibe. Es gibt keinen Grund, warum irgendjemand einen Computer in seinem Haus wollen würde. Deutschland wird auf Jahre hinaus unschlagbar sein. Die Menschheitsgeschichte ist voller Irrtümer. Dass das so ist, ist nur nachvollziehbar. Eine Überlebensstrategie, die uns oft genug einschreibt, den Ist- als den ewigen Ideal-Zustand anzunehmen. Dafür braucht es keinen Rosamunde-Pilcher- Charakter im Endstadium. Um das, was war, als überwunden anzusehen und das Jetzt als Glückszustand.

Denken wir uns zurück in das Jahr 1992. Bill Clinton wird zum 42. Präsidenten der USA gewählt, das Rotkehlchen zum Vogel des Jahres und die Band Bon Jovi verzeichnet einen Welthit namens „Bed of Roses“. Denken wir uns in ein Jugendzimmer irgendwo auf diesem Planeten. Denken wir uns in das Jugendzimmer von Anna-Lena, die in Martin verliebt ist, und Bon Jovi als den Soundtrack ihrer beider Leidenschaft. Bald entscheidet Anna-Lena, sich ein Tattoo stechen zu lassen, eine Rose. Weil: Bon Jovi wird sie immer toll finden. Das ist mal sicher.

26 Jahre später ist Anna-Lena mit Christian verheiratet. Drei Kinder. Läuft „Despacito“ im Radio, drehen sie lauter und manchmal auch durch. An Martin hat Anna-Lena seit 15 Jahren nicht gedacht. Das Tattoo, das sie täglich übersieht, nennt sie eine Jugendsünde. Womit wir bei der isländischen Nationalmannschaft wären.

Islands Spielweise ist vor allem eines ist: furchtbar unansehnlich

Seit der Europameisterschaft vor zwei Jahren hält die Island-Euphorie nun schon an. Die tollen Nordlichter zeigen es den großen Nationen aber eben auch mal so richtig. Ein Land mit der Einwohnerzahl Bielefelds. Und dabei sind sie noch so freundlich. Und der Trainer ist doch Zahnarzt. Und sie haben ein Feen-Ministerium. Und überhaupt sind ja 20 Prozent aller Isländer in Russland bei der WM. Lauter großartige, ganz unbedingt sympathische Geschichten aus der Fußball-Diaspora.

Leider nur ist passiert, was immer passiert, wenn etwas recht unerwartet und viel zu euphorisch beginnt. Ob es nun um Anna-Lena und Martin, Bill Clinton oder eben die isländische Nationalmannschaft geht: Der Hype frisst seine Kinder, die da Begeisterung und Sympathie heißen.

Weil es nicht mehr nur Schwärmerei darüber ist, wie toll sie doch sind, diese Isländer. Weil die Schwärmerei zum Geschäftsmodell geworden ist. Und plötzlich imitieren sie selbst auf Dorfplätzen, die mit Island so viel zu tun haben wie Bon Jovi mit Bob Dylan, das ewige Huh. Plötzlich verkleiden sich Comedians, deren letzter guter Gag war, sich selbst Comedian zu nennen, als Wikinger. Plötzlich prügelt sich auch die letzte Tröte der Kapelle ein -son an den eigenen Namen. Und wirklich schlimm: Plötzlich spielen sie auch noch alle Fußball wie die Isländer.

Deren Spielweise, bei aller Begeisterung für den Siegeszug dieses famosen Underdogs, ja vor allem eines ist: furchtbar unansehnlich. Auch wenn es eine erstaunliche Leistung ist, dass das Konzept „Alle Mann hinten rein, lang nach vorn und dann mal schauen, was geht“ in der allgemeinen Wahrnehmung als „Die kämpfen so toll“ aufgenommen wird, bleibt es am Ende doch ein „Alle Mann hinten rein, lang nach vorn und dann mal schauen, was geht“.

Eine Frage des Geschmacks, könnte man meinen. Und es ist ja auch nicht verwerflich, der Erfolg heiligt schließlich die Mittel. Wenn sich nur nicht zeitgleich immer so schrecklich über den Stil der Mannschaften aufgeregt werden würde, die wie Island spielen, nur eben nicht Island sind.

Aber die Menschheitsgeschichte ist eben voller Irrtümer. Und es ist ja auch nur Fußball. Trotzdem, lieber Island-Hype, und um es mit Bon Jovi zu sagen: You Give Love a Bad Name.

Ilja Behnisch

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