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Harry Maguire ist aus Englands Nationalteam nicht mehr wegzudenken.

© dpa

Fußball-WM 2018: Harry Maguire - Englands Edelfan

Harry Maguire feuerte England vor zwei Jahren noch von der Tribüne aus an. Jetzt ist der Verteidiger einer der Leistungsträger des Teams.

Für einen Moment war alles so wie damals. Nach Englands 6:1 gegen Panama traf Leicester-City-Ass Harry Maguire (25) im Stadion seine Freunde. Ein paar Handshakes, ein paar Umarmungen, ein paar warme Worte und dann: Aufstellen zum Gruppen-Selfie. Das Foto, das dabei herauskam, hatte verblüffende Ähnlichkeit mit einem Bild, das während der EM 2016 in Frankreich entstanden war. Auch dort hatte sich der Verteidiger mit den Jungs getroffen. Aber damals verbrachte Maguire nicht bloß ein paar Minuten mit ihnen, sondern gleich mehrere Tage. In Frankreich war er nämlich ein stinknormaler Fan, der im Pub und in der Kurve sein Bier trank und Loblieder auf Harry Kane sang, statt in der Abwehr die Räume zuzustellen. Was für eine märchenhafte Karriere.

Um Missverständnissen vorzubeugen: Auch 2016 war Harry Maguire bereits ein veritabler Berufsfußballer. Doch vom Nationalteam war der damals 23-Jährige noch meilenweit entfernt. Maguire war gerade mit Hull City in die Premier League aufgestiegen und galt als durchaus begabter, aber noch etwas hölzerner Abwehrmann. Da er im Sommer nichts Besseres vorhatte, buchte er einen Trip nach Frankreich, wo seine besten Freunde Ash Morley und Calum Raford sowie seine Brüder Joe und Lawrence das komplette EM-Turnier verfolgten. Am 20. Juni 2016 erlebte Maguire in St. Etienne ein gähnend langweiliges 0:0 der Engländer im dritten Gruppenspiel gegen die Slowakei. Und trotzdem wird er diesen Tag nie vergessen: „Es war fantastisch, die Stimmung im Stadion und in der Stadt war unglaublich“, sagt er rückblickend. „Ich bin so froh, dass ich dort war.“

Zwei Jahre später, im russischen Nischni Nowgorod, sang Maguire erneut ein Loblied auf den großen Harry Kane, der gegen Panama drei Treffer erzielt hatte. Diesmal allerdings stand Maguire in der Kabine, in Badelatschen, gleich neben dem Superstar aus Tottenham. Jacob Harry Maguire, so sein voller Name, ist jetzt einer von ihnen: Der 1,94-Meter-Riese, im Sommer 2017 für 13,7 Millionen Euro von Hull City nach Leicester gewechselt, ist nicht mehr wegzudenken aus dem neuen, hoffnungsvollen Team Englands. In den bisherigen WM-Partien gegen Tunesien (2:1) und Panama (6:1) durfte Maguire jeweils über die volle Distanz spielen – und haute dabei alles, wirklich alles raus. So wie er es 2016 feierlich beschlossen hatte.

Schon sein erster Tag im Nationalteam war eine Prüfung

Noch am Abend des peinlichen EM-Ausscheidens gegen Island (1:2 im Achtelfinale) schwor sich Maguire: Sollte ich irgendwann einmal für England auflaufen, will ich zumindest kämpfen bis zum Umfallen. „Ich bin mir der Opfer, welche die Fans für die Mannschaft bringen, während der EM total bewusst geworden. So eine Reise kostet unglaublich viel Geld und Energie“, sagt der Multimillionär. „Ich konnte damals live mitfühlen, was diese Mannschaft den Fans bedeutet. Schon allein deshalb war die Reise nach Frankreich eine lehrreiche und ungeheuer wertvolle Erfahrung für mich.“

Damals, nach dem Spiel gegen die Slowaken, hatte er mit den Jungs noch stundenlang in einer Bar gesessen und bei reichlich Lagerbier die Situation diskutiert. Ist Rooney noch schnell genug? Wie verlässlich ist Joe Hart? In Nischni Nowgorod aber hatte Maguire kaum Zeit, seinen Freunden die Wunden aus der Schlacht zu zeigen. Panamas Armando Cooper hatte ihm während der zweiten Halbzeit einen brutalen Ellenbogencheck ins Gesicht verpasst. Später hatte er im Clinch mit Roman Torres eine geplatzte Unterlippe kassiert. Aber was ist das schon?

Schon sein allererster Tag im Kreis der „Three Lions“, im Oktober vergangenen Jahres, war eine echte Prüfung für Harry Maguire. Als er im Trainingslager eintraf, trug er einen schwarzen Müllsack mit seinem persönlichen Hab und Gut in der rechten Hand. Jamie Vardy, sein listiger Klubkollege aus Leicester, hatte ihm vor der Abreise erklärt, dass dies so üblich sei, wenn man zum Nationalteam komme. Doch Vardy, Kane & Co. erschienen alle mit super-stylishen Louis-Vuitton- oder Prada-Taschen. Als sie den Neuling mit seinem ulkigen Gepäckstück sahen, lachten sie sich halb scheckig. Ätsch, reingelegt. Willkommen im Team.

2016 besang er Harry Kane noch im Stadion

Doch es dauerte nicht lange, bis sich Maguire im Kreis der Nationalspieler Respekt verschafft hatte. Ein paar harte Tacklings in den ersten Trainingseinheiten und der ehemalige Fan war plötzlich auf Augenhöhe mit den Herren Superstars. In fünf Einsätzen vor der Weltmeisterschaft kam Maguire auf insgesamt 439 Minuten Spielzeit und ist seither so etwas wie ein Stammspieler. Bei seiner WM-Premiere gegen überraschend aufmüpfige Tunesier bereitete er gar den späten Siegtreffer durch Harry Kane vor. Doch Harry Maguire ist kein Mann für die Medien. Er will nur einer von den Jungs sein – im Nationalteam und im Freundeskreis, der ihm via WhatsApp ständig die neuesten News aus dem Fanlager übermittelt.

Schon bald nach dem Tribünen-Small-Talk und dem Gruppen-Selfie im Stadion von Nischni Nowgorod trennten sich die Wege von Maguire und den Jungs wieder. Maguire blickte ihnen ein bisschen wehmütig hinterher. Für ihn steht fest, dass er auch beim nächsten großen Turnier wieder dabei sein will – wenn nicht im Kader, dann als Fan: „Es waren fantastische Tage damals in Frankreich. Das ist etwas, was ich definitiv wieder machen werde, sobald ich die Gelegenheit habe.“

Rolf Heßbrügge

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