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Handshake. Bundestrainer Löw (l.) hat in Timo Werner vielleicht den lange vermissten Stürmer gefunden.

© AFP

Fußball-Nationalmannschaft: Timo Werner: Der Mann mit dem brutalen Zug zum Tor

Es ist nicht lange her, da stockte die Karriere des Timo Werner. Nun aber kann er der Stürmer sein, den Deutschland lange vermisst hat.

Joachim Löw hat in der Besprechung vor dem WM-Qualifikationsspiel gegen Norwegen auf ein paar grundsätzliche Dinge hingewiesen. Zum Beispiel darauf, dass in einer Mannschaft nicht jeder das tun kann, was er will, sondern dass der Trainer eine gewisse Richtlinienkompetenz besitzt. Also hat er seine Spieler angehalten, „wieder das zu tun, was wir besprechen“. So ist es dann auch gekommen. Das Spiel der deutschen Fußball-Nationalmannschaft war wieder zweifelsfrei als Spiel der deutschen Fußball-Nationalmannschaft zu identifizieren. Joachim Löw konnte zufrieden sein. Offensichtlich hört man doch noch auf ihn.

Dass seine Hinweise weiterhin ernst genommen werden, bewies am Montag in Stuttgart nicht nur seine Mannschaft, sondern auch das Publikum im Stadion. Löw hatte am Tag vor dem Spiel die ablehnende Haltung der deutschen Fans gegenüber Timo Werner als „oberpeinlich“ gegeißelt und sie zu mehr Fairness angehalten. Eine Viertelstunde dauerte es, ehe es zum ersten Mal Applaus für den früheren VfB-Spieler gab – und kurz darauf sogar Sprechchöre für den jungen Mann. Es war eine völlig neue Erfahrung für Timo Werner, der bisher in jedem deutschen Stadion jenseits von Leipzig ausgepfiffen, beschimpft und bepöbelt worden ist, selbst wenn er das Nationaltrikot getragen hat.

Dass Löw den Abend von Stuttgart hinterher als „eine wunderschöne Geschichte“ bezeichnete, lag nicht nur am 6:0-Sieg der Nationalmannschaft, sondern in mindestens gleichem Maße auch am Verhalten des Publikums. „Ich hatte keine Erwartungen, ob ich ausgepfiffen oder gefeiert werde“, sagte Werner selbst. Der Jubel der Fans aber „bedeutet mir sehr viel, weil es hier in meiner Heimat ist“. Das Stadion liegt im Stuttgarter Stadtteil Bad Cannstatt, in dem Werner vor 21 Jahren geboren wurde.

Die Abneigung gegen den Stürmer von Rasenballsport Leipzig schien ja fast schon pathologische Züge anzunehmen und hätte sich für die Nationalmannschaft perspektivisch durchaus zu einem ernsteren Problem auswachsen können. Werner ist zwar noch jung an Jahren, aber längst dem Status des Talents entwachsen. Löw hat vorige Woche über seine neuen Möglichkeiten im Sturm referiert, auf Mario Gomez verwiesen, Lars Stindl, Thomas Müller natürlich, selbst Sandro Wagner – und sich geweigert, eine Hierarchie der Kandidaten aufzustellen. Aber wenn man ehrlich ist, ist Werner inzwischen die klare Nummer eins unter Deutschlands Stürmern. Und das völlig zu Recht.

Mario Gomez wurde in Stuttgart nach etwas mehr als einer Stunde für Werner eingewechselt. Der Routinier, der noch vor einem Jahr bei der EM als Deutschlands letzte Sturmhoffnung galt, hat seinen Platz als Stoßstürmer in der Nationalmannschaft erst einmal an den elf Jahre jüngeren Herausforderer verloren – und offensichtlich kein Problem damit. „Er wird die nächsten zehn Jahre in Deutschland im Sturm dominieren“, sagte Gomez, „wahrscheinlich auch in Europa, wenn er so weitermacht.“

„Für sein Alter ist er sehr abgezockt“

Gegen Norwegen traf Werner zwei Mal – es waren die Tore fünf und sechs im achten Länderspiel. Eine solche Quote hatte zuletzt Pierre Littbarski vor 35 Jahren. Uwe Seeler, Jürgen Klinsmann und Lukas Podolski trafen in ihren ersten acht Länderspielen je zwei Mal, Rudi Völler vier Mal und Miroslav Klose fünf Mal. „Für sein Alter ist er sehr abgezockt“, sagte Innenverteidiger Mats Hummels.

Timo Werner war seiner Zeit immer schon voraus. Als B-Jugendlicher beim VfB Stuttgart war er Torschützenkönig der A-Jugend-Bundesliga, mit 17 debütierte er für die Profis in der Bundesliga. Er ist der jüngste Debütant des VfB, der jüngste Torschütze des Klubs und der jüngste Doppeltorschütze der Bundesligageschichte. Gegen seinen Ruf, der Stürmer der Zukunft zu sein, konnte er sich irgendwann gar nicht mehr wehren. „Er hat alles, was man braucht, um ein Weltklassestürmer zu werden“, sagt Vedad Ibisevic, der Kapitän von Hertha BSC, der beim VfB mit Werner zusammengespielt hat. Doch gerade das Image als Wunderkind hat Werners Entwicklung letztlich eher gehemmt als befördert. „Stuttgart war kein einfaches Umfeld für ihn“, erzählt Ibisevic. „Sie haben damals beim VfB zu schnell versucht, ihn hochzupushen.“

Werner sei ein bodenständiger und gut erzogener Junge, sagt Ibisevic, trotzdem sei es eine schwierige Situation gewesen, auch für Werners Standing in der Mannschaft. Denn wie kann man einen jungen Spieler von den eigenen Erfahrungen profitieren lassen, ohne dass es belehrend oder beleidigt wirkt? „Man will es ja nicht so rüberbringen, dass der Kleine von dir denkt: Vielleicht ist der nur neidisch.“

Letztlich war es der Abstieg des VfB und der Wechsel nach Leipzig, der Werners Karriere den entscheidenden Schub gegeben hat. „Er hat alles richtig gemacht“. sagt Ibisevic. „Er brauchte seine Sicherheit, die bekommt er in Leipzig. Jetzt startet er durch.“ Gleich in seiner ersten Saison erzielte er 21 Tore – so viele wie kein anderer deutscher Stürmer. „Er macht das, was dem Gegner extrem weh tut und extrem schwer zu verteidigen ist“, sagt Bundestrainer Löw. „Er hat einen brutalen Zug zum Tor und Schnelligkeit. Seine Laufwege sind kaum zu stoppen.“

Werner hat in Leipzig die perfekte Position für sich gefunden: nah am Tor, so dass er oft in Abschlusssituationen kommt. Dadurch fällt es auch nicht so sehr ins Gewicht, dass er immer wieder hochkarätige Chancen ungenutzt lässt. Aber auch das ist eine Qualität: nicht zu verzagen, wenn der Ball beim ersten Mal nicht ins Tor geht, sondern es erneut zu versuchen. „Immer an vorderster Stelle zu sein, das zeichnet den Timo aus“, sagt Löw. Oft ist er sogar noch weiter als ganz vorne – und wird dann aus dem Abseits zurückgepfiffen.

Im Grunde kennt Timo Werner das ja aus seiner Karriere: dass er schon einen Schritt zu weit ist. Gerade aber ist er dabei, sich wieder einzuholen.

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