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Namen auf den Schuh bitte. Kai Havertz schreibt nach der öffentlichen Trainingseinheit in Aachen Autogramme.

© Marius Becker/dpa

Fußball-Nationalmannschaft: Kai Havertz - Das Gesicht des Umbruchs

Kai Havertz von Bayer Leverkusen ist erst 19, trotzdem könnte er in nicht allzu ferner Zukunft eine wichtige Rolle bei der Fußball-Nationalmannschaft spielen.

Dass die deutsche Fußball-Nationalmannschaft sich in einer Phase des Umbruchs befindet, erkennt man unter anderem daran, dass ihre Spieler gerade ein paar neue Erfahrungen machen, die für ihre Vorgänger noch völlig normal waren. Zum Beispiel die, dass die Mannschaft selbst mit vermeintlichen Belanglosigkeiten wie einer normalen Trainingseinheit unglaubliche Massen zu mobilisieren vermag. Irgendwann hat die sportliche Leitung öffentliche Trainingseinheiten aus dem Repertoire der Publikumspflege gestrichen, im Zuge der politisch erwünschten Wiederannäherung an das einfache Volk aber hat sie sich nach der verkorksten WM vor einem Jahr wieder an die Attraktivität solcher Veranstaltungen erinnert. 20.500 Zuschauer sahen den Nationalspielern am Mittwochnachmittag anderthalb Stunden beim Warmmachen, beim Torschusstraining und einem abschließenden Spielchen zu.

Kai Havertz, der nächste Woche 20 Jahre alt wird, ist einer jener jungen Nationalspieler, für die solche Erfahrungen noch neu und ungewohnt sind. Aber immerhin hat sich der Offensivspieler von Bayer 04 Leverkusen am Mittwoch auf gewohntem Terrain bewegt. Havertz ist im Aachener Stadtteil Mariadorf aufgewachsen, in der Jugend hat er kurz für die Alemannia gespielt, und als der Klub in der Saison 2006/07 der Bundesliga angehörte, besaß die Familie Havertz sogar zwei Stehplatzdauerkarten für den – damals noch alten – Tivoli.

Dass er allerdings einmal mit der Nationalmannschaft in seiner Heimatstadt Aachen auftreten würde, war bis vor kurzem eine ziemlich surreale Vorstellung – allerdings nicht, weil man Havertz die Nationalmannschaft nicht zugetraut hätte, sondern eher wegen des Zustands der Fußballstadt Aachen. Seit der Erstligaepisode vor zwölf Jahren hat die Alemannia zwei Insolvenzen und drei Abstiege in die viertklassige Regionalliga West hinter sich.

Kai Havertz war dem Klub schon mit elf Jahren entwachsen, als er ins knapp 80 Kilometer entfernte Leverkusen wechselte. Aber das kann nicht zwingend gegen die Alemannia verwendet werden. Der junge Mann ist inzwischen so ziemlich jedem Fußballklub des Landes entwachsen. Sein Name wird nur noch mit den allergrößten Vereinen in Verbindung gebracht, den allergrößten Europas. Zuletzt hieß es, der FC Bayern habe 90 Millionen Euro für den 19-Jährigen geboten, Leverkusen aber dankend abgelehnt. Die Gefahr, dass sein Transferwert einbricht wie zur Jahrtausendwende die Aktien am Neuen Markt, ist überschaubar; mit Havertz wird Bayer auch in Zukunft noch einen Rekorderlös erzielen.

„Ihm sind fußballerisch keine Grenzen gesetzt“, hat Rudi Völler, Leverkusens Sportdirektor, jetzt dem „Kicker“ gesagt. Havertz habe, was keiner habe, „nämlich von allem etwas“. Er sei schnell, ausdauernd, kopfballstark, robust, technisch perfekt, dazu mit einem überragenden Spielverständnis ausgestattet. Bundestrainer Joachim Löw bescheinigt Havertz „eine unglaubliche Spielintelligenz und eine wahnsinnige Ruhe am Ball“. Und Jonathan Tah, Kollege sowohl im Verein als auch in der Nationalmannschaft, sagt: „Er ist schnell zu einem Führungsspieler herangewachsen. Das Wichtigste ist, dass er sich nicht von diesem ganzen Drumherum beeindrucken lässt. Ich glaube, dann kann er es ganz weit schaffen.“

Er wird schon mit Özil und Ballack verglichen

Vor den letzten beiden Länderspielen der Saison gegen Weißrussland (Samstag) und Estland (Dienstag) ist viel vom Umbruch der Nationalmannschaft die Rede. „Wir haben viele Talente, die schon auf hohem Niveau gespielt haben“, sagt Kapitän Manuel Neuer, einer der wenigen verbliebenen Weltmeister von 2014. „Das zeigt, dass wir für die Zukunft gewappnet sind.“ Kai Havertz steht für diesen Umbruch. Vor allem steht er für einen Umbruch ohne Einbußen an sportlicher Qualität. Bundestrainer Löw erlebt den Leverkusener als für sein Alter „sehr weit, sehr abgeklärt“. Als Havertz im September 2018 erstmals für die A-Nationalmannschaft spielte, kam es Löw vor, als sei er schon ein Jahr dabei – oder sogar zwei.

Mit 17 Jahren und 126 Tage hat Havertz erstmals für Bayer in der Bundesliga gespielt – kein Spieler des Klubs war bei seinem Debüt jünger. 17 Tore erzielte er in der abgelaufenen Saison – so viele wie kein anderer Leverkusener. Laut Völler kombiniert Havertz die Geschmeidigkeit und Umsicht von Mesut Özil mit der Kopfballstärke und Torgefahr von Michael Ballack. Sehr viel bedeutendere Bezugsgrößen gibt es aus der jüngeren Vergangenheit des deutschen Fußballs nicht. Und Havertz ist bereits deutlich weiter, als es Özil und Ballack in seinem Alter waren. 88 Bundesligaspiele hat er bisher bestritten, 24 Tore erzielt, und in der abgelaufenen Saison stand er in jedem Spiel auf dem Platz, 33 Mal sogar in der Startelf. Mesut Özil kam mit 20 nur auf etwas mehr als die Hälfte an Einsätzen (49). Und Michael Ballack spielte noch in der Zweiten Liga.

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