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Applaus dafür. Die deutschen Spielerinnen schätzen die verbindliche Art von Trainerin Martina Voss-Tecklenburg.

© imago images / photoarena/Eisenh

Fußball-Nationalmannschaft der Frauen: Bundestrainerin Voss-Tecklenburg ist hart, aber herzlich

Trainerin Martina Voss-Tecklenburg soll die Nationalmannschaft der Frauen bei der WM zu alter Stärke führen. Ein Porträt.

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Halbe Hähnchen und ganze Schweinshaxen drehen sich in einem Imbisswagen vor der Postfiliale in der Bahnhofsstraße. „Wo man Bayern noch schmecken kann und der Genuss schon fast zur Sünde wird“, steht als Werbespruch auf dem Wagen. Das also ist Grassau am Chiemsee. Ab vier Euro lässt sich hier sündigen, jedenfalls in der Bahnhofstraße. Viel mehr außer knusprigen Hähnchen und saftigen Wiesen bietet der kleine Ort nicht, aber gerade deshalb eignet sich die Idylle inmitten der Berge wohl so gut für Trainingslager. Die deutsche Fußball-Nationalmannschaft der Frauen bereitet sich seit Jahren in Grassau auf ihre großen Turniere vor. Erstmals dabei ist Martina Voss-Tecklenburg.

Seit November 2018 ist sie die Bundestrainerin. Ihre Aufgabe ist es, das deutsche Team nach den letzten Rückschlägen wieder an die Weltspitze zu führen. Viel Zeit hat sie nicht mehr: Am Freitag beginnt die Weltmeisterschaft in Frankreich. Wer ist die Frau, auf die der Deutsche Fußball-Bund (DFB) so viel Hoffnung setzt?

Was sofort auffällt, ist ihr eindringlicher Blick. Mit weit aufgerissenen Augen fixiert die 51-jährige Voss-Tecklenburg ihre Gesprächspartner, schon im nächsten Moment verengt sie ihre Augen zu schmalen Schlitzen wie eine aufmerksame Katze. Dann wirkt sie noch bestimmter als sonst. Voss-Tecklenburgs Klarheit zeigt sich auch in ihren Ansprachen – erzählen zumindest die Spielerinnen, die sie in den Kader für die Weltmeisterschaft berufen hat. „Martina ist unheimlich fokussiert“, sagt Marina Hegering. Lina Magull beschreibt Voss-Tecklenburg als „eine Trainerin mit zwei Seiten“. Einerseits sei sie sehr bestimmt in ihrem Auftreten. Tatsächlich wirkt Voss-Tecklenburg manchmal wie eine strenge Turnlehrerin, die morgens um sechs Uhr in einer Halle stehen und ihre Spielerinnen immer wieder ans Reck schicken könnte.

Andererseits sei Voss-Tecklenburg sehr empathisch. „Sie sieht nicht nur den Fußball und nimmt immer Rücksicht auf den Menschen dahinter“, sagt Magull. Außerdem habe die Trainerin immer einen schnellen Spruch auf den Lippen. Als beim öffentlichen Training in Grassau ein kleiner Junge ein Autogramm von Voss- Tecklenburg möchte, drückt sie ihm nach ihrer Unterschrift den Edding in die Hand und sagt: „Jetzt gibst du mir aber auch eins.“ Geduldig lässt sie den jungen Fan seinen Namen auf ihren linken Unterarm kritzeln.

Verdiente Spielerinnen beschwerten sich öffentlich über Jones

Mit Voss-Tecklenburg soll die Kontinuität auf der Trainerposition der deutschen Nationalmannschaft zurückkehren. Denn die vergangenen Jahre waren chaotisch. Nach der Goldmedaille bei den Olympischen Spielen in Rio 2016 trat Silvia Neid zurück, die frühere Sportdirektorin Steffi Jones übernahm das Team. Das Experiment mit der als Trainerin unerfahrenen Jones scheiterte, bei der EM 2017 schied Deutschland im Viertelfinale gegen Dänemark aus – so früh wie seit 30 Jahren nicht mehr. Verdiente Spielerinnen wie Lena Goeßling beschwerten sich öffentlich über Jones.

Der deutsche Frauenfußball, der über Jahrzehnte hinweg Erfolg garantiert hatte, geriet nach vielen Jahren der Zufriedenheit in eine heftige Krise. Anfang 2018 reagierte der DFB dann, Jones wurde entlassen. „Keine wusste mehr, wo sie hinlaufen sollte“, sagte Alexandra Popp der „Süddeutschen Zeitung“. Horst Hrubesch übernahm interimsweise den Job. Er baute das verunsicherte Team wieder auf und übergab an Voss-Tecklenburg, die Hrubeschs Arbeit fortführt – nur noch kleinlicher, noch intensiver, noch detailversessener. Mit ihr sind die Deutschen nach vier Spielen noch ungeschlagen.

Aktuell läuft es also glatt zwischen Voss-Tecklenburg und dem DFB. Das war nicht immer so: Ihre Karriere als aktive Spielerin in der Nationalmannschaft endete vor knapp zwanzig Jahren mit einem Skandal. Damals bereitete sich die deutsche Mannschaft im Trainingslager auf die Olympischen Spielen in Sydney vor. Martina Voss-Tecklenburg, zu der Zeit noch Martina Voss, war Kapitänin. 125 Spiele und vier Europameistertitel standen schon in ihrem Steckbrief, sie galt als Institution im Mittelfeld des deutschen Teams. Plötzlich erfuhr Voss-Tecklenburg, dass ihre Lebenspartnerin Inka Grings, die ebenfalls im Nationalteam spielte, eine Affäre hat. Geschockt sprach Voss-Tecklenburg mit der Trainerin Tina Theune-Meyer – und wurde von ihr am nächsten Tag aus der Mannschaft geworfen. Theune-Meyer hat Voss-Tecklenburg danach nie wieder in die Nationalelf berufen. Die Gründe für diese Entscheidung blieben unbekannt, ein klärendes Gespräch wurde Voss-Tecklenburg verwehrt.

Ballsichere Kapitänin: Als Spielerin war Martina Voss (l.) lange Zeit im Mittelfeld der Nationalmannschaft gesetzt.
Ballsichere Kapitänin: Als Spielerin war Martina Voss (l.) lange Zeit im Mittelfeld der Nationalmannschaft gesetzt.

© picture-alliance/dpa

Dieses Erlebnis ist vielleicht ein Grund, warum Voss-Tecklenburg als Trainerin so einen großen Wert auf direkte Kommunikation legt. Die Trainerin selbst beschreibt sich als „sehr offen und klar“. Dzsenifer Marozsan, die wohl stärkste deutsche Spielerin, sagt: „Sie ist sehr ehrlich, das bedeutet mir viel.“ Marozsan, die mit Olympique Lyon vor wenigen Wochen die Champions League gewonnen hat, zählte zu einer großen Befürworterin von Jones und war Kapitänin.

Als Voss-Tecklenburg ihre Arbeit aufnahm, gab Marozsan das Amt freiwillig an Popp ab. Der Wechsel lief reibungslos und ohne Ärger ab. Das lässt sich vielleicht mit der Generosität von Marozsan erklären – oder damit, dass Voss-Tecklenburg, die Trainerin aus dem Ruhrpott, ihr Team im Griff hat. Die Schwammigkeit eines Joachim Löw, unter dem sich Michael Ballack und Philipp Lahm 2010 einen heftigen Zweikampf um das Kapitänsamt lieferten, ist bei ihr nur schwer vorstellbar.

Die Konkurrenz hat aufgeschlossen

Im Umgang mit der Mannschaft tariert Voss-Tecklenburg, die ihren Namen bei Instagram selbst mit „MVT“ abkürzt, die Grenzen zwischen Nähe und Distanz fein aus. Beim Frühstück und Mittagessen mischt sie sich mit dem Betreuerteam unter die Spielerinnen, beim Abendessen sind die Tische klar getrennt. An den Teambuilding-Abenden lässt sie die Spielerinnen erst alleine und kommt später dazu. Hier wird die lange Erfahrung Voss-Tecklenburgs sichtbar.

Die deutsche Nationalmannschaft beim Training.
Die deutsche Nationalmannschaft beim Training.

© dpa

2008 wurde sie Trainerin beim FCR Duisburg. Dort förderte sie Popp, die jetzt ihre wichtigste Bezugsperson auf dem Platz ist. 2012 übernahm Voss-Tecklenburg die Schweizer Nationalmannschaft und führte sie drei Jahre später erstmals zu einer Weltmeisterschaft – ein riesiger Erfolg für das Land, in dem Frauenfußball eine besonders kleine Rolle spielt. Lara Dickenmann, die Rekordnationalspielerin der Schweiz, erinnert sich noch, wie Voss-Tecklenburg ihre erste Ansprache hielt: „Sie stand vor uns und hat gesagt, wie viel Qualität in unserem Team steckt. Wir haben uns angeguckt und gefragt: Was redet die denn da? Wir waren doch die kleine Schweiz.“

Voss-Tecklenburg habe so lange auf sie eingeredet, bis die Spielerinnen an die eigene Qualität geglaubt hätten, sagt Dickenmann. Und Voss-Tecklenburg strebte weiter nach oben. „Wir alle wussten, dass es ihr größter Traum war, die deutsche Nationalmannschaft zu trainieren“, sagt Dickenmann, „wir waren froh, dazu beitragen zu können, dass das klappt.“ Zum Abschied schenkten ihr die Schweizerinnen ein Buch mit persönlichen Dankesworten und einen Raclette-Ofen.

Damals in der Schweiz. Rekordnationalspielerin Lara Dickenmann (l.) kriegt Anweisungen von Martina Voss-Tecklenburg.
Damals in der Schweiz. Rekordnationalspielerin Lara Dickenmann (l.) kriegt Anweisungen von Martina Voss-Tecklenburg.

© Salvatore Di Nolfi/dpa

Die Erwartungen an die Nationalmannschaft in Deutschland sind, natürlich, viel höher als in der Schweiz. Zwei Mal gewannen die Deutschen schon die Weltmeisterschaft, acht Mal wurden sie Europameisterinnen. Doch die Zeiten, in denen Deutschland mit der großen Spielerin Birgit Prinz den Frauenfußball dominierte, sind längst vorbei. Die Konkurrenz hat aufgeschlossen.

Neben dem traditionell starken Team aus den USA zählen bei der WM zum Beispiel Frankreich, England und Japan zu den Favoritinnen. Einige deutsche Spielerinnen sprechen offen vom Titel als Ziel. Voss-Tecklenburg ist zurückhaltender, sie fordert die Qualifikation für die Olympischen Spiele 2020 in Tokio. Dafür muss Deutschland unter die drei stärksten europäischen Teams kommen. Die Vorrunde mit China, Spanien und Südafrika sollte dabei kein Problem darstellen. Doch im Viertelfinale könnten die starken Schwedinnen oder die US-Amerikanerinnen warten.

Voss-Tecklenburg will offensiv spielen

Mit welchem Fußball will Voss-Tecklenburg da bestehen? Sie setzt vor allem auf offensiven Tempofußball und legt Wert auf „Leitlinien und Prinzipien“ anstelle von festen Positionszuordnungen, wodurch das Spiel der Mannschaft flexibler werden soll. Es spricht vieles für ein 4-2-3-1-System, in dem der Angriff mit Popp, Marozsan und Svenja Huth besonders herausragt. Der letzte Test vor der WM gegen Chile am Donnerstag ist geglückt, beim 2:0-Sieg zeigte das deutsche Team insbesondere in der ersten Halbzeit eine starke Leistung.

Wenn es weiterhin so glatt läuft zwischen Martina Voss-Tecklenburg und der deutschen Nationalmannschaft, dann wird sie in Zukunft sicher öfter nach Grassau reisen dürfen, zu den Wiesen und zu den Hähnchen. Vielleicht ja schon im kommenden Jahr – zur Vorbereitung auf die Olympischen Spiele.

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