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Dynamisches Dehnen. Klara Bühl, Leonie Maier, Sara Däbritz und Giulia Gwinn (von links) wollen am Samstag gegen Schweden ins Halbfinale einziehen.

© dpa

Früherer Mentaltrainer der DFB-Frauen: "Fußballerinnen sind professioneller"

Markus Hornig über seine Arbeit mit dem deutschen Team, die Aufgabe im Viertelfinale gegen Schweden – und seine Erfahrungen mit Herthas Josip Simunic.

Von David Joram

Herr Hornig, die deutschen WM-Spielerinnen verzichten bisher weitgehend auf die Hilfe von Sportpsychologin Birgit Prinz. Muss man sich Sorgen um Ihre Berufsgruppe machen?

Die Mentaltrainerzeiten gehen jetzt erst los. Trainer wie Jürgen Klopp haben von Haus aus das Talent, die Leute richtig anzupacken. Hinter dem Begriff Mentaltrainer vermutet man ja irgendwelche Geheimwissenschaften oder Wunderdinge.

Klären Sie uns auf.

Die hohe Kunst ist es, zu wissen, wie Spielerinnen ticken und durch diese Menschenkenntnis in der Lage zu sein, das Beste aus jeder Einzelnen herauszuholen.

Wenn das eine Trainerin schafft, braucht das Team also gar keinen Mentalcoach?

Definitiv, das würde ich so sagen.

Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg fehlt also eine gewisse Kompetenz?

Das würde ich wiederum nicht sagen. Voss-Tecklenburg kenne ich nicht näher. Was ich am Rande mitkriege, ist, dass die Mannschaft sehr gut mit ihr auskommt. Trotzdem ergibt mentale Hilfe Sinn.

Konkret sieht das dann wie aus?

Einmal durch Einzelcoaching: Wie geht die Spielerin mit Drucksituationen um? Welcher Stresstyp ist sie? Wie kann man sie mental am besten auf die Aufgabe vorbereiten? Solche Fragen. Auf der anderen Seite coacht man als Mentaltrainer auch das Trainerteam. Da lautet die Leitfrage: Wie führt das Trainerteam das Team?

Sie sind dann quasi das Kontrollorgan?

Man sieht die blinden Flecken. Deshalb haben Silvia Neid und ich so gut zusammengearbeitet. Neid hat gesagt: „Super, dass du vom Fußball keine Ahnung hast. Schau’ dir das aber mal an und gib ein Feedback.“ Eine starke Einstellung von ihr.

Welche blinden Flecken haben Sie bei Silvia Neid gesehen?

Das bleibt vertraulich.

Was macht ein Mentaltrainer anders als ein Psychologe?

Ein Mentaltrainer ist dazu da, dass die Mannschaft es schafft, ihr Potenzial abzurufen, leistungsorientiert. Ein Psychologe ist auch für Themen wie Depressionen zuständig. Ein Sportpsychologe macht eigentlich aber dasselbe wie ein Mentaltrainer und schaut, wie der Kopf funktioniert.

Sie sagten mal, Pausen seien wichtig, um neue Topleistungen bringen zu können. Das deutsche Team pausiert zwischen dem Achtelfinale und dem Viertelfinale gegen Schweden am Samstag sieben Tage lang. Kann das auch ein Nachteil sein?

Ein Beispiel aus 2016: Wir haben in Rio Gold geholt, waren aber definitiv nicht das beste Team. Im Halbfinale und Finale spielten wir gegen Teams, die vorher in Verlängerung und Elfmeterschießen mussten. Für uns ein Riesenvorteil.

Markus Hornig, 54, arbeitet als Mentaltrainer und betreute von 2011 bis 2016 die deutschen Fußballerinnen. In dieser Zeit gewann das Team die EM 2013 und olympisches Gold 2016.
Markus Hornig, 54, arbeitet als Mentaltrainer und betreute von 2011 bis 2016 die deutschen Fußballerinnen. In dieser Zeit gewann das Team die EM 2013 und olympisches Gold 2016.

© promo

Mehr Zeit für Regeneration hilft also?

Es kann auch ein Nachteil sein. Eine Woche totzuschlagen, ist nicht einfach.

Ihr Ratschlag?

Man hätte die Spielerinnen jetzt drei Tage nach Hause schicken können. So hätte man die Phase der Anspannung von sieben auf vier Tage verkürzt.

Was passiert in der Zeit zwischen den Spielen mit Körper und Kopf?

Ich kann die Spannung auf den Wettkampf nicht eine Woche hochhalten. Jetzt ist gutes Timing wichtig.

Ihr Tipp gegen Schweden?

Ich glaube, die Deutschen werden noch ein richtig gutes Turnier spielen und kommen ins Finale. Sie sind Schwedens Angstgegner, ich bin zuversichtlich.

Wie sieht die Arbeit eines Mentaltrainers vor wichtigen Spielen aus?

Das Olympiafinale war natürlich ein Höhepunkt. Da musst du den Spielerinnen bewusst machen, dass das die Chance ihres Lebens ist. Sie dürfen das aber nicht als Bedrohung sehen, sondern als Herausforderung. Diese Emotionen, die damit verbunden sind, das ist eigentlich der Treibstoff, der einen über 90 Minuten trägt.

Sie kommen aus dem Tennis, unterstützten einst auch Michael Stich. Welche Gemeinsamkeiten gibt es zum Fußball?

Es gibt vier Komponenten, wie der Sport sich definiert: Technik, Taktik, Kondition, Mentales. Technisch, taktisch und konditionell kannst du dich in der Weltspitze kaum mehr abheben. Das haben alle drauf. Mental gibt es Unterschiede.

Was lehren Sie, um mit diesem Wettkampfdruck umzugehen?

Die Frage muss sein, was getan werden muss, damit man eine gute Siegchance hat. Das ist der Unterschied zwischen Erfolgs- und Leistungsziel. Das ist die Kunst von Trainerinnen und Trainern, auf diese Leistungsziele einzugehen. Dazu sind klare Anweisungen nötig. Welche Pässe sollen wie gespielt werden? Was für eine Zweikampfquote wird erwartet? Wer das gut vorgeben kann, nimmt die Angst vor der Niederlage.

Und wenn das nicht reicht?

Dann war eben nicht mehr drin. Die anderen wollen ja auch gewinnen.

Sie arbeiteten auch eng mit Torhüterin Nadine Angerer zusammen. Wie finden Sie den Videobeweis, der bei dieser WM speziell Torhüterinnen beim Elfmeter ärgert?

Man sieht an diesem Beispiel, dass Leute, die nie auf dem Platz standen, die Regeln machen. Das ist leider in vielen Sportarten so. In der Leichtathletik bilden sich deshalb Gewerkschaften – völlig richtig!

Sollte sich das deutsche Team ein Vorbild an den US-Spielerinnen nehmen, die etwa höhere Prämien vom US-Verband fordern?

Ich finde es gut, dass die Spielerinnen – im Unterschied zu vielen männlichen Profis – mit beiden Füßen auf dem Boden stehen. Die studieren oder absolvieren nebenbei eine Ausbildung. Ein Porsche ist da nicht drin.

Eher ein Golf.

Ich werde nie vergessen, als ich das erste Training 2011 gesehen habe, wie engagiert und motiviert und fokussiert die Spielerinnen waren. Bei den Männern wäre das undenkbar.

Sind Fußballerinnen fleißiger?

Fußballerinnen sind professioneller! Das unterschreibe ich hundertprozentig. Ich habe mal ein Jahr als persönlicher Mentaltrainer von Josip Simunic die Hertha-Zeit erlebt, schon länger her. Das war was ganz anderes.

Erzählen Sie.

Das war, zumindest damals, einfach teilweise zu locker. Entscheidend ist es deshalb, dass ein Trainer die Mischung zwischen höchstem Engagement und Spaß vermittelt. Das können nicht viele. Das kann man an keiner Akademie lernen, das ist Menschenkenntnis.

Simunic spielte noch zu Basler-Zeiten – hat sich das Profidasein nicht verändert?

Damals war das jedenfalls eine ganz heikle Zeit bei Hertha. Es gab Simunic, Pantelic und diesen Typ mit dem Zopf… (überlegt) – Woronin! Gleichzeitig gab’s die junge Garde um Boateng. In der Kabine herrschte ständig Zoff.

Was haben Sie mit Simunic gemacht?

Den habe ich mit einer Frage gekriegt: Kannst du dir vorstellen, Trainer zu werden? Ja, hat er geantwortet. Dazu müsse er dann Vorbild werden und sich um die jüngeren Spielern kümmern, erklärte ich ihm. Da hat es bei ihm Klick gemacht, er hat Selbstreflexion und Eigenverantwortung gelernt.

Haben Sie auch bei der Frauen-Nationalmannschaft mal einen derartigen Generationenkonflikt erlebt?

2011 hörten Birgit Prinz und Co. gerade auf. Zur Vorbereitung auf die Euro 2013 rückten viele Neue nach. Das waren Däbritz, Maier, Leupolz und noch ein, zwei andere. Küken, um die 20. Auf der anderen Seite gab es die Generation Angerer, Bartusiak, Krahn. Ich musste dafür sorgen, dass die gut zusammenwachsen. Die Älteren haben noch gemacht, was die Trainerin gesagt hat. Die Jüngeren hinterfragten, wollten es erklärt haben. Das fand ich gut. Silvia Neid war da offen, obwohl sie einen super autoritären Führungsstil hatte. So entstand eine gute Dynamik.

Was macht man, wenn eine negative Dynamik entsteht?

Eine negative Dynamik entsteht bei Turnieren immer! Wer inklusive Vorbereitung neun, zehn Wochen aufeinander sitzt, kann sich irgendwann nicht mehr sehen. Da muss man als Coach Positivität vorleben. Eine gute Trainerin spielt eine Rolle und vermittelt sie glaubwürdig.

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