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Wie auf dem Dorf: Mit Erstligafußball hatte das Chaos in Düsseldorf wenig zu tun.

© imago sportfotodienst

Fortuna Düsseldorf gegen Hertha BSC: Erinnerungen an das Skandalspiel

Das Relegationsrückspiel von Hertha in Düsseldorf versinkt 2012 im Chaos. Die Gegenwart zeigt: Gelernt hat daraus niemand.

Alles rennt. Die Tribünen runter, Richtung Spielfeld. Was zur Hölle wollt ihr denn da, denke ich. Das Spiel ist doch noch gar nicht abgepfiffen! Dann sehe ich, wie Düsseldorfer Fans den Rasen stürmen. Hertha-Spieler belagern den Schiedsrichter. Polizisten und Ordner stemmen sich gegen Menschenmassen. Überall brennen rote Fackeln. Das blanke Chaos.

Auf der Pressetribüne blicke ich auf meinen Laptop. Auf den fast fertigen Bericht über das Bundesliga-Relegationsrückspiel 2012. Ich markiere den Text und drücke auf Löschen. Über Fußball redet morgen kein Mensch mehr.

Schlagzeilen werden sein: „Die Relegation versinkt im Chaos!“ Von einem der größten Skandalspiele der Bundesliga-Geschichte ist die Rede. Von einem Eklat, der vieles verändern werde im deutschen Fußball. Ein Gericht entscheidet, dass Hertha BSC in die Zweite Liga absteigt und Fortuna Düsseldorf aufsteigen darf. Mehrere Spieler werden gesperrt.

Sechseinhalb Jahre herrscht bei allen Beteiligten Schweigen über jene Nacht. Wie nach einem betrunkenen Ausrutscher auf einer Party. Wird schon nicht wieder vorkommen. Bis Hertha-Fans vor zwei Wochen in Dortmund randalieren. Und die Berliner nun, an diesem Samstag, erneut in Düsseldorf antreten müssen. Zum ersten Mal seit damals.

Nun stellen sich doch wieder Fragen: Hat eigentlich jemand aus dem Chaos von damals gelernt? Wie konnte es dazu kommen? Was hat sich verändert? Erinnern tut weh, aber es hilft.

Schon am Morgen des 15. Mai 2012 liegt Unheil in der Luft. Ich habe ein mulmiges Gefühl, als ich aus dem Zug steige. Es ist meine erste Saison als Hertha-Reporter für den Tagesspiegel. Mit mir reisen 5000 Berliner nach Düsseldorf. Der Zug ist randvoll, viele der Fans sind es auch.

Beim Aussteigen am Düsseldorfer Hauptbahnhof grölen sie: „Kniet nieder, wenn die Hauptstadt kommt!“ Auch eine Saison mit drei Trainerwechseln, die auf Platz 16 endet, lässt diese Jungs nicht leiser auftreten. Die Grundstimmung ist mit aggressiv nett beschrieben.

Es sind ungewöhnlich viele Menschen unterwegs zum Stadion. In Düsseldorf war seit 15 Jahren fußballmäßig nicht viel los. Nach dem letzten Bundesliga-Abstieg wurde die Fortuna in die Oberliga durchgereicht. Viele Stadiongänger wirken, als kämen sie heute zum ersten Mal seit 15 Jahren wieder. Oder überhaupt zum ersten Mal. Event-Publikum, angelockt von der Aussicht auf Action.

Selbst die Ordner scheinen neu hier zu sein. Bei Fragen nach den Eingängen zucken sie nur mit den Schultern. Bundesligareif wirkt die ganze Organisation drumherum noch nicht.

Aber das trifft auch auf Hertha in der Saison 2011/12 zu. Aufstiegstrainer Markus Babbel wird als Lügner beschimpft und entlassen, Nachfolger Michael Skibbe muss nach 51 Tagen gehen. Als Pointe am Schluss kehrt Otto Rehhagel zurück. „Unsere Mannschaft spielt am Besten, wenn der Gegner nicht dabei ist“, ist eine der Weisheiten, mit denen der 73-Jährige damals glänzt.

Das trifft auch auf die Relegation zu. Das Hinspiel verliert Hertha 1:2, in Düsseldorf geraten die Berliner nach 25 Sekunden in Rückstand. Nach einer Stunde sieht Änis Ben-Hatira Gelb-Rot und Düsseldorf geht erneut in Führung. Aus dem Hertha-Block fliegen Feuerwerkskörper und Leuchtraketen auf den Rasen. Auch die Fortuna Fans zündeln. Schon beim Hinspiel haben die Düsseldorfer im Olympiastadion Bengalos entfacht. Vielleicht versuchen die Berliner Ultras nun gleichzuziehen. Als wäre das Spiel mit dem Feuer ein Wettstreit.

Oder, und das ist mein Eindruck in dem Moment: Die Hertha-Fans versuchen, einen Spielabbruch zu provozieren. In der irrsinnigen Hoffnung, das Spiel würde wiederholt werden. Jedenfalls treffen ihre Geschosse fast die eigenen Spieler. Eine Seitenbande brennt. Polizei und Ordner marschieren vor den Berliner Block.

Nach drei Minuten Unterbrechung geht das Spiel weiter. Kurz vor Schluss erzielt Raffael das 2:2. Schiedsrichter Wolfgang Stark muss wieder unterbrechen, weil der Gästeblock brennt. Sieben Minuten Nachspielzeit werden angezeigt.

Völlig außer Rand und Band: Die Düsseldorfer Fans stürmten 2012 das Spielfeld.
Völlig außer Rand und Band: Die Düsseldorfer Fans stürmten 2012 das Spielfeld.

© picture alliance / dpa

Polizei und Ordner sammeln sich vor der Hertha-Kurve. Währenddessen klettern immer mehr Düsseldorfer über die Zäune. Sie stehen an der Seitenlinie, als wäre das ein Spiel auf dem Dorf. Die Ordner schauen zu.

Der Ball geht ins Aus, Schiedsrichter Stark entscheidet auf Abstoß. Viele der Idioten halten das für den Abpfiff. Obwohl noch eine Minute zu spielen ist, rennen sie aufs Feld. Sie wedeln mit Fahnen und Bengalos, feiern den vermeintlichen Aufstieg. Ein Irrer gräbt sogar den Elfmeterpunkt aus. Der Stadionsprecher und Fortuna-Profi Sascha Rösler fordern sie wütend auf, den Platz freizugeben. Die meisten Spieler flüchten Richtung Umkleidekabinen. Im allgemeinen Chaos ist völlig unklar, ob es hier noch weitergeht. Oder eine Massenpanik ausbricht.

Auf der Pressetribüne schicke ich den Text ab, ohne zu wissen, wie das Spiel ausgeht. Die Zeitung muss in den Druck.

Erst nach 20 Minuten kommen die Berliner Spieler zurück aufs Feld. Schiedsrichter Stark pfeift noch einmal an, für zwei Minuten. Es bleibt beim 2:2. Wieder stürmen Düsseldorfer Fans aufs Feld, diesmal dürfen sie feiern. Die Berliner Spieler bedrängen Schiedsrichter Stark. Lewan Kobiaschwili schlägt ihm angeblich auf der Treppe von hinten in den Nacken. Später wird der Hertha-Profi sagen, er sei gestolpert.

In den Katakomben herrscht Chaos. Die Berliner haben sich verschanzt. Die Düsseldorfer tanzen Polonaise. Otto Rehhagel steht im überfüllten Presseraum und sagt die vielleicht einzig sinnvollen Sätze seiner Amtszeit: „Die Zuschauer nehmen sich immer mehr heraus, auf das Spiel einzuwirken.“ Die Medien seien aufgefordert, „diese Leute härter ranzunehmen, sonst mündet es irgendwann in einer Katastrophe“. Erstmal läuft es andersherum.

Es ist weit nach Mitternacht. Ich muss nach Köln, wo ich übernachten wollte. Düsseldorfer Fans rütteln am Taxi. Versuchen, es umzuwerfen. Der Fahrer gibt Gas. Wir schaffen es noch weg.

Am nächsten Tag legen die Hertha-Verantwortlichen Protest ein. Ihre Spieler hätten „Todesangst“ gehabt. Die Düsseldorfer sprechen von einem „positiv besetzten Platzsturm“. Nachdem zunächst die Fans durchgedreht sind, folgen nun die Funktionäre.

Die Fortuna sagt die geplante Aufstiegsfeier ab, die Hertha-Profis müssen sich für ein mögliches Wiederholungsspiel fit halten. Schiedsrichter Stark stellt Strafanzeige gegen Kobiaschwili, wegen Körperverletzung.

Zehn Tage nach dem Chaosspiel weist das DFB-Gericht Herthas Einspruch zurück. Die Berliner steigen zum sechsten Mal aus der Bundesliga ab. Selten waren die Umstände unrühmlicher. Mehrere Spieler erhalten Sperren, Lewan Kobiaschwili muss ein halbes Jahr aussetzen. Bis heute die längste Sperre der Bundesliga-Geschichte. Medien, Politiker und Funktionäre diskutieren danach über ein Verbot von Stehplätzen, verunglimpfen Ultras als „Taliban der Fußballfans“. Am Ende geschieht, außer einem Verbot von Pyrotechnik, nichts. Wird schon nicht wieder vorkommen.

Hertha steigt nur ein Jahr später wieder auf, Düsseldorf direkt wieder ab. Am Samstag kommt es nun zum Wiedersehen. Die Düsseldorfer Polizei, ist zu lesen, bereite sich auf ein Risikospiel vor. Dabei reist ein Teil der Hertha-Fans vielleicht gar nicht mit, aus Protest gegen die Bannerverbote. Ein Gespräch mit der Vereinsführung lehnen sie ab. Dabei könnten beide Seiten über vieles sprechen. Zum Beispiel über jene Nacht im Mai 2012. Und was man eigentlich daraus gelernt hat.

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