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Fernando Alonso

© AFP

Formel 1: McLaren-Protest stellt Titel für Räikkönen wieder in Frage

Eine denkwürdige Saison in der Formel 1 fand gestern ihren würdigen Abschluss mit Kimi Räikkönen als Überraschungs-Weltmeister. Doch auch dieser wird noch ein Nachspiel am grünen Tisch haben, passend zur Saison eben.

Von Jens Marx, dpa

Die Skandalsaison hat ihr dramatisches Nachspiel: Kurz nachdem Kimi Räikkönen zum zweiten Mal auf seinen WM-Triumph anstoßen konnte, legte McLaren-Mercedes Protest gegen die Wertung des an Spannung kaum zu überbietenden Titel-Thrillers von Sao Paulo ein. Bei dem WM-Finale der Formel 1 war Silberpfeil-Senkrechtstarter Lewis Hamilton im letzten Meisterschafts-Moment vom finnischen Ferrari-Fahrer abgefangen worden. Drei Autos, die am Sonntag vor dem siebtplatzierten Briten beim heißen Großen Preis von Brasilien ins Ziel kamen, sollen mit zu kühlem Benzin unterwegs gewesen sein. Zum historischen WM-Gewinn als jüngster Champion mit 22 Jahren hätte Hamilton mindestens Fünfter beim Sieg von Räikkönen werden müssen.

Der Internationale Automobilverband Fia sah wegen möglicher Mess-Schwankungen aber von einer Strafe ab, die Hamilton womöglich nachträglich am Grünen Tisch zum Weltmeister gemacht hätte. Nun hat McLaren-Mercedes eine Woche Zeit, den Protest auszuformulieren und bei der FIA einzureichen. Es ist auch der letzte Versuch, die vom Spionage-Skandal und dem silbernen Stallduell geprägte Saison mit dem ersten Fahrer-Titel seit 1999 abzuschließen.

Es war so bizarr wie so oft in dieser Saison: Auf den Monitoren im Medienzentrum wurde das Rennen und die Bilder der jubelnden Ferraristi gezeigt. Scuderia-Mitglieder verließen freudig singend das Fahrerlager, als alles wieder ins Wanken geriet. Räikkönen war schon bei den ersten Feierlichkeiten, während Hamilton im Teamhotel von den Vermutungen erfuhr.

Sechs Stunden banges Warten

Dann die Bestätigung: Während der Boxenstopps wurde festgestellt, dass die Benzin-Temperatur bei den BMW-Sauber-Autos des fünftplatzierten Robert Kubica und des Sechsten Nick Heidfeld sowie den Williams-Toyota-Wagen von Nico Rosberg (4.) und Kazuki Nakajima (10.) die erlaubte Abweichung von der Außentemperatur - 37 Grad Celsius - um drei, bzw. vier Grad überschritt. Über sechs Stunden banges Warten, dann die offizielle Mitteilung: keine Strafe. Das Rennergebnis ist offiziell, und Räikkönen fünf Tage nach seinem 28. Geburtstag erstmal auf dem Thron der Königsklasse. Dann die erneute Wende: McLaren-Mercedes kündigt Protest an.

Kritik kam von McLaren-Störenfried Alonso. "Wenn der Protest bei der FIA Erfolg hat und Hamilton dadurch doch noch den Titel gewänne, würde ich vor Scham vergehen. Das wäre eine Schande", sagte er laut der Internetseite dem spanischen Radiosender Cadena SER.

Alonso sieht Schuld für verlorenen Titel bei McLaren

Der entthronte Champion sieht ohnehin die Schuld für die verpasste WM bei seinem Rennstall. "McLaren trug seinen Teil dazu bei, dass der Titel verloren wurde", sagte der 26-Jährige, mit dessen Abschied von den Silbernen in den nächsten zwei Wochen gerechnet wird. "Es sieht nicht so aus, dass sie die Saison gut gemanagt hätten. Das Resultat spricht für sich selbst." Bei den letzten Rennen seien ihm "die Füße und Hände gebunden" gewesen. "Ich musste tun, was man mir sagte."

In der Tat haben die Silberpfeile den heißen WM-Kampf aber letztlich selbst verloren. In China ließen sie trotz sichtbarer Probleme mit den Pneus ihren Musterschüler Hamilton zu lange auf der Strecke, der Engländer landete im Kiesbett. "Die Reifenstrategie war im Nachhinein abenteuerlich", räumte Mercedes-Motorsportchef Norbert Haug ein.

Defekt kostet Hamilton den Titel

Auf dem Interlagos-Kurs in Sao Paulo ließ den sportlichen Ziehsohn von Teamchef Ron Dennis dann das Auto kurzzeitig im Stich - der schleichende Hamilton verlor rund 30 Sekunden. Das war es. Auch für den ungeliebten Alonso. Dessen dritter Platz in Brasilien langte nicht zum Hattrick. "Es ist besonders enttäuschend, wenn man nach einem so langen, engen und spannenden Kampf um die Fahrer-WM an der letzten Hürde scheitert", gab auch Dennis zu.

"McLaren begeht Selbstmord", schrieb am Montag die italienische Zeitung "La Repubblica". "Es tut weh, aber wir werden nicht in Demotivation versinken", beruhigte Haug bereits. Dennoch: Dass ausgerechnet Ferrari und ausgerechnet der vor einem Jahr der von McLaren-Mercedes zur Scuderia gewechselte "Iceman" jubeln durften, ist wohl mehr als nur ein Nadelstich. Hatten die Italiener dem Erzrivalen doch bereits den Konstrukteurstitel wegschnappen können - am Grünen Tisch durch die Spionage-Affäre, in die beide Teams verwickelt waren. Zudem musste McLaren-Mercedes die Rekordgeldstrafe von 100 Millionen Dollar berappen.

Häme aus Spanien

"Ein Desaster für McLaren. Der Rennstall hat in wenigen Wochen erst die Krone der Konstrukteure wegen einer Spionageaffäre verloren und dann den Fahrertitel verpasst, weil er alles auf Hamilton statt auf Alonso gesetzt hat", befand die französische Sportzeitung "L'Équipe". Im Heimatland von Alonso gab es zudem die erwarteten Ohrfeigen und schallende Häme für das Team: "Die größte Lachnummer des Jahrhunderts. McLaren begeht Harakiri. Hamilton geht nicht als der jüngste Weltmeister in die Formel-1-Geschichte ein, sondern als der Rennfahrer, der den Titel in der kürzesten Zeit verspielt."

Des einen Leid, des anderen Freud. Ferrari-Präsident Luca di Montezemolo sprach vom "Sieg der Gerechtigkeit". "Ferrari ist der Stolz Italiens", sagte er und wähnt sich schon in einer neuen Ära nach dem Ende der Schumacher-Zeit vor einem Jahr. "Von diesem Tag wird man noch in 100 Jahren sprechen", meinte Montezemolo.

Feier mit Schumi erst nach Berufungsverhandlung

Im Fernsehsessel freute sich auch der bis Sonntag letzte Ferrari-Weltmeister mit seinem Ferrari-Team. Wirklich gerechnet hatte aber der insgesamt siebenmalige Titelträger Michael Schumacher nicht mit der wundersamen Wende, nachdem Räikkönen mit sieben Punkten Rückstand in das Finale gegangen war und nach dem USA-Rennen Mitte Juni gar 26 Punkte hinter Hamilton gelegen hatte.

"Ich meine, ich habe zwar schon immer daran geglaubt, dass man nie aufgeben und auch auf die kleinste Chance hoffen soll, aber dass sich das so bewahrheitet, hätte wohl keiner gedacht", sagte Schumacher, der das Finale wie fast 13 Millionen Zuschauer in Deutschland am Fernsehen verfolgte. "Schade nur im Nachhinein, dass ich nicht vor Ort war; mitgefeiert hätte ich natürlich schon gern. Aber das holen wir bald nach, und darauf freue ich mich schon richtig." Allerdings muss auch er sich nun gedulden, bis das Berufungsgericht der FIA über den McLaren-Mercedes-Protest befindet. (mit dpa)

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