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Schwarz, rot, voll. Die Zuschauer sind die einzige Einnahmequelle der Hockenheimring GmbH zur Refinanzierung des Spektakels.

© picture alliance / Jan Woitas/dp

Formel 1 in Hockenheim: Highway to Hell für die Formel 1 in Deutschland?

Weil das finanzielle Risiko zu groß ist, droht dem Grand Prix in Deutschland das Aus. Zu Besuch beim vielleicht letzten Rennen in Hockenheim. Was danach kommt weiß keiner.

Von David Joram

Der Ausnahmezustand beginnt hinter dem Friedhof. Wo sonst die Toten ruhen, wabern die Stimmen von Rammstein durch die warme Nacht. „Gott weiß, ich will kein Engel sein“, grölen ein paar junge Frauen und Männer mit, sie trinken Bier aus Plastikbechern, drei Euro fünfzig kostet die 0,4-Liter-Variante auf dem Campingplatz in Hockenheim. Wohnwagen reiht sich hier an Wohnwagen, Pavillons und Zelte sind längst zu schier uneinnehmbaren Festungen ausgebaut worden, stellenweise duftet es nach Chili-Eintopf. Viele Getränke kühlen in etlichen Planschbecken vor sich hin, manche sind zusätzlich mit Menschen besetzt. Ein junger Mann lässt sich zusammen mit einer aufblasbaren Sexpuppe, der jemand eine schwarze Hose übergezogen hat, durch den Pool treiben. „Hey, das geht ab“, tönen die Boxen unterm nahen Privatzelt namens Castrop-Rauxel. Die Formel 1 gastiert in Hockenheim.

Und wenn der Grand-Prix-Zirkus da ist, kommt auch der restliche Zirkus in die kleine, gutbürgerlich geprägte Stadt im Norden Badens. Dann strömen die Massen ein, die aus dem Motorsport ein Motorsportfest machen – mindestens bis Sonntag jedenfalls, wenn die Ampeln beim Großen Preis von Deutschland um 15.10 Uhr auf Grün schalten werden.

Was danach kommt, weiß keiner. Der Formel 1 droht in Deutschland das vorläufige Aus. Wenn sich die Rennstreckenbetreiber nicht mit dem Vermarkter der Rennserie einigen, wird die motorisierte Königsklasse künftig am Automobilland vorbeifahren. Die Gründe sind vor allem finanzieller Natur – aber nicht nur.

Die vielen Fans in Orange huldigen Max Verstappen

Dass der Boom der fetten Schumacher-Jahre vorbei ist, bildet auch der bunte Campingplatz ab. Weil es eben doch nicht mehr so abgeht wie von den Castrop-Rauxel-Atzen suggeriert. Wo um die Jahrtausendwende noch Pils-Pyramiden aufragten, bleiben heute viele Bierbänke leer. An den Buden geht es mittlerweile gesellig zu, weniger ausschweifend. „Klar war damals mehr los“, sagt Dirk. Er kommt aus einem der Nachbarorte Hockenheims und stand 1996 das erste Mal an der Rennstrecke. „Da war ich 17 und großer Schumi-Fan.“

Nun sitzt er auf einem aufklappbaren Campingstuhl, hält einen Bierkrug in der Hand und erinnert sich zurück. An Frentzen, Schumacher, Heidfeld. Und: „Nico Rosberg fand ich noch sehr gut. Seit der weg ist, ist's für mich vorbei.“ Trotzdem: „Die Formel 1 gehört hier in die Region, ganz klar.“ Er freue sich auf Sonntag, hoffe, dass Hamilton gewinne – aber wenn es anders käme, sei das auch in Ordnung. Die ganz große Leidenschaft fehle ihm inzwischen zum Mitfiebern. „Aber ich bin zufrieden, mit der Formel 1 ist hier immer noch mehr los als bei der DTM.“ Und mit seinen holländischen Zeltnachbarn verstehe er sich auch ganz ordentlich.

Die vielen Fans in Orange huldigen Max Verstappen, dem 20-Jährigen, der in einem Red Bull über den Asphalt rast, Zukunftshoffnung und Branchenliebling zugleich. Verstappen bringt die Fans an alle Strecken in der Welt, auch dank ihm werden am Sonntag 70 000 Tribünenplätze vergeben sein. Der Sechste der WM-Gesamtwertung hat in den Niederlanden für einen Boom gesorgt, den Ferrari-Mann Sebastian Vettel in Deutschland nicht erreicht. Obwohl Verstappen die WM noch nie gewinnen konnte, und Vettel selbige schon vier Mal. Vettel ist nur eine halbe Stunde nördlich von Hockenheim groß geworden, das Heimspiel in Hockenheim konnte er aber noch nie gewinnen. Er könnte sich also freuen, dass die Strecke 2019 sicher nicht im Rennkalender steht und darüber hinaus wohl eher auch nicht.

Er tut es natürlich nicht. „Es wäre eine Schande, dieses Rennen zu verlieren, es ist einer der Klassiker“, sagt Vettel stattdessen, dass es großartig wäre, im nächsten oder übernächsten Jahr wieder in Hockenheim fahren zu können. Er gibt sein Bestes, um den Sport in Deutschland wieder populärer zu machen. Vettel ist Teil einer wahnsinnig spannenden Saison, geprägt vom erneuten Duell mit dem ebenfalls vierfachen Weltmeister Lewis Hamilton, einer starken Red-Bull-Fraktion und engen Rennausgängen. Sportlich passt das Gesamtpaket Formel 1.

Der Sport ist in den letzten Jahren aber unübersichtlicher geworden. Verschiedene Reifenmischungen, neue technische Finessen, weniger Lärm: All das hat dafür gesorgt, dass Traditionalisten den Spaß zunehmend verloren haben. Im Interview mit der „Süddeutschen Zeitung“ sprach sich Vettel dafür aus, die Technik wieder zu vereinfachen. Das senke nicht nur die Kosten, sondern sorge auch für lautere Motoren. „Wir sollten auch wieder schalten wie früher, mit der Hand und nicht am Lenkrad“, findet er.

Es geht um Risikominimierung, was die Kosten betrifft

Vettel hat erkannt, dass seine erfolgreichen Jahre in eine Phase fielen, in der die Materie an Komplexität gewann – was auch negative Auswirkungen auf seine Popularität im Schumacher-Land hat. Schumacher begünstigte allerdings auch, dass es vor ihm lange Zeit keinen erfolgreichen deutschen Rennfahrer gab. Stefan Bellof schien im britischen Rennstall Tyrrell auf einem guten Weg – bis seine Aussichten 1985 an einem Betonpfeiler im belgischen Spa tödlich endeten. Mehr war da nicht aus deutscher Sicht. Vor Vettel aber war Schumacher, der siebenmalige Weltmeister. Rekordweltmeister. Nach dem Karriereende des Kerpeners wurde es leerer in Hockenheim und auf dem Nürburgring.

Mit halbvollen Tribünen – das haben die Rennstreckenbetreiber schnell festgestellt – blieb neben der großen Show vor allem ein dickes Minus. Die Zuschauer sind die einzige Einnahmequelle der Hockenheimring GmbH zur Refinanzierung des Spektakels. Wie viel die GmbH an den Vermarkter Liberty Media für die Ausrichtung des Grand Prix hinblättern muss, ist nicht bekannt. Georg Seiler, Chef der GmbH, sagt: „Der Vorverkauf läuft bislang gut, wir erwarten am Sonntag mit 70 000 Besuchern ein volles Haus.“ Am Ende sollen sie für eine schwarze Null sorgen. 119 Euro kostet das günstigste Ticket für Erwachsene, 389 das teuerste, Kinder bezahlen in allen Kategorien 45 Euro. Wer also grob mit 200 Euro pro Ticket rechnet, kommt bei 70 000 Besuchern auf 14 Millionen Euro, die Zahl soll laut einigen Formel-1-Experten nicht ganz unrealistisch sein. „Der Sport lebt wieder“, findet Seiler: „Wir wollen die Formel 1, aber nicht um jeden Preis. Es geht um Risikominimierung, was die Kosten betrifft. Dass wir investieren und andere das Geld verdienen, ist nicht zu vermitteln.“

Denn, und das sei nun mal so: „Anfang der 2000er kamen wir mit mobilen Tribünen auf 90 000. Die Zeit kann man mit der heutigen aber so nicht vergleichen. Damals wollten die Fans unbedingt die Formel 1 sehen. Der Name Schumacher war herausragend, das war ein Boom wie durch Becker und Graf beim Tennis.“ Der Boom ist vorbei, Verträge, die über ein Jahr hinausgehen, gelten als unkalkulierbar. Das weiß Seiler aus den vergangenen Veranstaltungen in den Jahren 2014 oder 2016, und deshalb sagt er: „Die Stadt hat schon öfter Verluste getragen, aber das geht künftig nicht mehr.“

Auch sonst fehlten Partner. Der im nahen Stuttgart residierende Weltkonzern Mercedes denkt längst global. Darüber kann auch der bei Nacht leuchtende Stern über dem Baden-Württemberg- Center, wo die Pressekonferenzen stattfinden, nicht hinwegtäuschen. Und das Land? In Stuttgart regiert ein grüner Ministerpräsident, dessen Partei auf Elektromobilität setzt. Das Stammland des Automobils interessiert die Zukunft des Rennsports im Ländle herzlich wenig.

Einer wie Schumacher fehlt den Betreiber

Im benachbarten Rheinland-Pfalz ist die Lage ähnlich. Der Nürburgring verzichtete schon 2015 und 2017 auf die Formel 1, zu teuer. Für 2019 gilt: „Wir haben noch keinen Vertrag geschlossen. Es wird aber immer schwieriger, einen Termin zu finden, weil wir für das nächste Jahr zu nahezu 100 Prozent ausgelastet sind“, sagt Geschäftsführer Mirco Markfort. Zum bislang letzten Mal siegte 2013 Sebastian Vettel dort. Ein Comeback ist laut Markfort eher nicht in Sicht, „das Rennen 2013 war bei Weitem nicht kostendeckend“. Aber: „Die Gespräche laufen noch, es gibt noch eine kleine Restchance.“

Wie Kollege Seiler übt auch er Kritik am derzeitigen Konstrukt: „Es kann nicht sein, dass der Rennstreckenbetreiber Summe X bezahlt und das finanzielle Risiko trägt. Gewinne wie zum Beispiel die TV-Werbung bekommt der Serienpromoter. Dieses Modell ist nicht zukunftsfähig.“ Markfort fordert „Modelle, an denen beide Parteien partizipieren. Wo Chancen und Risiken geteilt werden“. In Deutschland sei die Situation der Formel 1 eben speziell: „In vielen anderen Ländern werden öffentliche Gelder verwendet. Das ist bei uns vorbei – und das ist auch richtig so, weil es anders nicht vertretbar wäre.“

Zwar hätte auch Liberty-Media-Chef Chase Carey ein Interesse daran, die traditionsreichen Strecken im Kalender zu behalten, berichtet Markfort, „aber auch für ihn geht es am Ende ums Geld und unterm Strich natürlich um Gewinne“. Und Letztere sind in Ländern, die das Spektakel zusätzlich subventionieren, leichter zu machen. Markfort präzisiert: „Das Entgegenkommen vonseiten Liberty Media ist begrenzt, zumal sie wahrscheinlich bei anderen Strecken in der restlichen Welt für die Formel 1 tendenziell mehr verlangen können.“ Und man selbst scheue das Kostenrisiko, das einst wesentlich besser kalkuliert werden konnte: „Zu Schumi-Zeiten hatte der Nürburgring noch sechsstellige Besucherzahlen – an einem Tag“, sagt Markfort.

Einer wie Schumacher fehlt den Betreibern – und den Fans in Hockenheim. „Keep on fighting“, steht auf einem Pappschild, das mit Schumacher-Konterfei an einem Baum im hinteren Teil des Campingplatzes hängt. Der Kerpener, der seit seinem tragischen Skiunfall Ende 2013 von seiner Familie abgeschirmt wird, ist omnipräsent, auf Fahnen, Mützen – und bei Josef und Ulrike. Das Ehepaar, beide über 60, betreiben den letzten Modellauto-Stand wenige Hundert Meter vor dem Campingplatz. Mini-Schumis haben sie noch einige im Regal stehen – so wie früher rund 50 andere Modellliebhaber in der Straße. Auch ein paar Frentzens und alte Vettels im Toro-Rosso. 30 Kunden seien am Freitag gekommen, die etwas gekauft hätten. Hat alles nachgelassen, finden sie. „Der Ring hat sich abgekapselt, früher ging der Trubel in die Stadt rein“, sagt Josef. „Aber das will keiner mehr.“

Vom Campingplatz wehen die letzten AC/DC-Klänge herüber. „Highway to Hell“. So könnte sie aussehen, die Zukunft der Formel 1 in Deutschland.

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