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Zum Knuddeln, selbst in Corona-Zeiten. Vedad Ibisevic wird von seinem Kollegen Matheus Cunha geherzt.

© imago images/Poolfoto

Fixpunkt, Torjäger, Führungsfigur: Vedad Ibisevic und sein Mehrwert für Hertha BSC

Mit fast 36 hat Vedad Ibisevic keine Zukunft mehr bei Hertha BSC, in der Gegenwart aber kann er sehr wohl noch wichtig für die Mannschaft sein.

An einem ohnehin rundum gelungenen Nachmittag gelang Bruno Labbadia kurz vor Schluss auch noch eine Geste von großer symbolischer Bedeutung. In der 79. Spielminute seines Debüts als Trainer von Hertha BSC nahm er Vedad Ibisevic vom Feld. Mit seinen fast 36 Jahren verkörpert der Bosnier ein bisschen die alte Hertha – und als wollte Labbadia noch einmal explizit herausstreichen, dass dem Klub ein Generationswechsel bevorsteht, schickte er für den grauen Wolf Ibisevic den nur halb so alten Jessic Ngankam aufs Feld.

Ngankam ist gerade 19 geworden, er stammt aus Herthas Nachwuchs, spielt normalerweise in der U 23, und am Samstag sammelte er beim 3:0-Erfolg gegen die TSG Hoffenheim seine ersten Minuten in der Fußball-Bundesliga. Vedad Ibisevic kommt auf inzwischen 332 Einsätze, und mit seinem Tor zum zwischenzeitlichen 2:0 gegen die TSG hat er eine neue Bestmarke aufgestellt: Er ist jetzt der einzige Stürmer, der seit 2006 in jedem Kalenderjahr in der Bundesliga getroffen hat.

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Dass Vedad Ibisevic diese Serie noch ausbauen kann, ist eher unwahrscheinlich. Sein Vertrag läuft im Sommer aus, eine Zukunft bei Hertha hat er wohl nicht. Aber in Sinsheim hat er bewiesen, dass er in der Gegenwart sehr wohl noch wichtig sein kann.

Mit seiner Aufstellung für das Spiel gegen die TSG sind Bruno Labbadia einige Überraschungen gelungen. Dass Ibisevic in der Startelf auftauchte, war eine davon. „Er hat sich in den ersten Wochen ein Stück weit schwergetan, was die Intensität und auch die Umfänge betraf“, erklärte Labbadia. „Aber von Tag zu Tag wurde er immer stärker.“

Für Jürgen Klinsmann hatten die Spieler keinen Mehrwert mehr

Überhaupt sah es so aus, als hätte sich Herthas neuer Trainer ganz bewusst für den Faktor Erfahrung entschieden. Während Lukas Klünter, 23, Santiago Ascacibar, 23, und Krzysztof Piatek, 24, nur auf der Bank saßen, tauchten neben Ibisevic auch Peter Pekarik, 33, und Per Skjelbred, 32, in der Startelf auf – lauter Spieler, denen Jürgen Klinsmann in seinem geheimen Protokoll nachgesagt hatte, sie besäßen keinen Mehrwert mehr für den Hertha BSC.

Mit Blick auf mögliche Transfererlöse mag das sogar stimmen. Bei allen dreien läuft im Sommer der Vertrag aus, und alle drei werden Hertha wohl verlassen. Am Samstag aber hatten die drei Routiniers sehr wohl einen Mehrwert: Skjelbred war im defensiven Mittelfeld wieder mal als Kontrolleur mit strengem Blick unterwegs, Pekarik erzwang mit seinem Volleyschuss das vorentscheidende 1:0, und Ibisevic traf nicht nur unmittelbar darauf zum 2:0, er war auch vor dem Führungstreffer an allen gefährlichen Offensivaktionen der Gäste beteiligt.

Labbadia widersprach später der Einschätzung, dass der Faktor Erfahrung ein entscheidendes Kriterium für die Zusammenstellung der Mannschaft gewesen sei. „Wichtig war: Wer passt zu wem? Wer hat im Training gerade in der letzten Woche den besten Eindruck hinterlassen?“, erklärte er. „Und da haben ein paar Spieler richtig herausgestochen.“

In Sinsheim zeigte sich, wie Bruno Labbadia seinen Job versteht

Und so stand die Personalie Ibisevic letztlich sinnbildlich nicht nur für Labbadias glückliches Händchen, sondern auch für das grundsätzliche Verständnis von seinem Job. Herthas Trainer verfügt über einen klaren Blick für die Notwendigkeiten aus, eine gewisse Bodenhaftung, gesunden Pragmatismus und – nach all den gut gemeinten Experimenten seiner Vorgänger – eine erfrischende Nüchternheit.

Hätte man ihn zwei Wochen vorher nach der Startelf für Hoffenheim gefragt, so erzählte Labbadia, wäre seine Antwort noch anders ausgefallen. Vedad Ibisevic wäre ganz sicher nicht dabei gewesen. „Aber er hat sich in der letzten Woche total gezeigt“, berichtete Herthas Trainer. Und auch taktisch hatte seine Idee zunächst anders ausgesehen. Labbadia bevorzugte eigentlich eine 4-3-3-Formation, entschied sich nach seinen Eindrücken aus dem Training dann aber für ein 4-2-3-1. „Ein, zwei Sachen haben nicht so funktioniert, wie wir es gerne hätten, da wäre es blödsinnig gewesen, an dieser Marschroute festzuhalten“, sagte Labbadia.

Das 4-2-3-1 erwies sich als guter Griff – auch dank Vedad Ibisevic und seiner Rolle darin. „Wir haben jemanden gebraucht, der die Mannschaft ein bisschen führt“, sagte Labbadia. „Da ist Vedad einfach gut.“

Vedad Ibisevic kann nicht anders

Im leeren Stadion von Sinsheim erinnerte sich Herthas Trainer daran, dass er in unmittelbarer Nähe mal bei Ibisevic im Wohnzimmer gesessen hatte. Mehr als acht Jahre ist das her. Labbadia wollte den damaligen Stürmer der TSG Hoffenheim von einem Wechsel zum VfB Stuttgart überzeugen, den er seinerzeit trainierte. „Ich hätte nicht geglaubt, dass wir ihn kriegen können“, sagte Labbadia, „aber es war eine sehr, sehr gute Entscheidung.“

So wie es eine sehr gute Entscheidung war, Ibisevic gegen die TSG von Anfang an spielen zu lassen. Im Verbund mit Matheus Cunha beraubte er Florian Grillitsch, Hoffenheims Spielmacher aus der Tiefe, weitgehend seiner Wirkung. Und in der Offensive war Ibisevic der klare Fixpunkt in Herthas Spiel, immer anspielbar und stets eine latente Bedrohung für den Gegner.

Dazu bewies er rund um das 2:0 seinen untrüglichen Instinkt als Stürmer: vor dem Tor, als er sich bei der Flanke von Maximilian Mittelstädt besser zu positionieren wusste als sein junger Gegenspieler Kevin Akpoguma; aber auch unmittelbar danach, als Ibisevic entgegen den Hygieneempfehlungen der Deutschen Fußball-Liga seine Kollegen entschlossen herzte. Der innige Jubel der Berliner erregte auch am Tag danach noch einige Gemüter. „Wir sind Fußballer, keine Roboter“, sagte Vedad Ibisevic. „Es tut mir leid. Ich kann das nicht anders.“

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