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Zeitenwende. Ein Abstieg des HSV wäre das Ende für die Uhr.

© dpa

Exklusiv-Interview mit der HSV-Stadionuhr: "Vielleicht lasse ich mich umschulen"

Die Stadionuhr beim HSV schaut immer hin! Trotz der prekären Lage des Klubs spricht sie mit uns über den letzten Funken Hoffnung, den Absturz und die eigene Zukunft.

Liebe HSV-Uhr, danke, dass Sie…

Tack.

Guten Tag.

Nicht Tag. Tack. Hören Sie das?

Ehrlich gesagt, nein.

Tack. Wieder ist der HSV eine Sekunde länger ununterbrochen in der Bundesliga. Tick. Noch eine. Tack. Und noch eine. Tick...

Ah ja. Wie lang wird es bei Anpfiff des Heimspiels am Samstag gegen den SC Freiburg genau sein?

Auf die Sekunde?

Auf den Tag würde reichen.

Das ist leicht: 240 Jahre und 54 Tage.

Seit 1778, elf Jahre vor der Französischen Revolution?

Ach du liebe Zeit, mein Fehler. 54 Jahre und 240 Tage, so ist es korrekt. Sehr aufmerksam von Ihnen, junger Mann. Dieser Abstiegskampf macht mich fertig.

Sie ticken hier seit vielen Jahren – zuletzt ging es fast immer gegen den Abstieg. Tritt da kein Gewohnheitseffekt ein?

Nie.

Wie spät ist es denn beim HSV?

Eins vor Zwölf.

Eine Minute?

Eine Sekunde.

Kann das Umspringen auf Zwölf noch verhindert werden?

So lange ich hier hänge, glaube ich an den Klassenerhalt. Sonst könnte ich sagen, „zählt eure Sekunden alleine“, meine Ziffern einpacken und gehen.

Was macht Ihnen Hoffnung?

Nochmal: So lange es auch nur irgendwie möglich ist, gebe ich alles für den HSV und die Raute und laufe weiter. Immer weiter. Mit Zahlen kenne ich mich aus. Daher weiß ich, dass noch etwas drin ist. Momentan sind es acht Punkte auf Platz 16. Noch vier Spiele. Vier mal drei Punkte für den HSV, macht zwölf…

Ähem.

Na gut, es könnte zwölf Punkte für den HSV machen. Also, alles machbar. Aber ich bin ja nicht blöd. Die Gefahr, dass die Bundesliga-Zeit abläuft, ist nicht klein. Kommt es ganz dumm, ist es schon am Wochenende vorbei. Gegnerische Fans prophezeiten allerdings regelmäßig mein Ende. Und wer hing in der folgenden Saison immer noch? Meine Wenigkeit.

Diese Jahre, die Sie ansprechen, liefen schon nicht gut. Nun ist es noch schlechter. Niemand sieht mehr Heimspiele als Sie: Wo liegen die Gründe für den Absturz?

Wie viele Tage Zeit haben Sie mitgebracht?

Vielleicht geht es in Kurzform.

Nehmen wir als Beispiel eine Uhr. Eine schöne alte Uhr, die funktioniert. Doch Sie bringen sie ständig zum Uhrmacher. Immer zu einem anderen. Sie lassen dies wechseln und das wechseln. Die Uhr läuft immer langsamer. Irgendwann hat es sich ausgelaufen. Dann bleibt sie stehen. Kein Tick mehr, kein Tack mehr.

Was machen Sie, wenn Sie auf schönere Gedanken kommen wollen?

Dann singe ich mein Lieblingslied. Wollen Sie es hören?

Unbedingt.

(Singt) „Wer wird Deutscher Meister? H-H-H-HSV! Wer wird Deutscher Meister? H-H-H-HSV!“ Ach ja, das waren noch Zeiten. Meistens beschweren sich leider schnell die Kollegen Sitzschalen.

Warum?

Sie meinen, ich solle keinen - ich zitiere - unrealistischen Quatsch singen.

Das ist nicht nett. Endet Ihr Engagement im Falle des Abstiegs?

Ich will keinem Gegner zu nah treten, aber nachdem mein Vorgänger und ich insgesamt 17 Jahre lang Deutschlands Fußball-Elite gesehen haben, wäre es komisch, gegen den SV Sandhausen oder Erzgebirge Aue den Zuschauern mitzuteilen, wie lange der HSV schon in der Zweiten Liga ist.

Wie planen Sie für diesen Fall Ihre eigene Zukunft?

Ich weiß nicht, ob ich das sagen darf. Ich sage es: Ich lasse bald Bewerbungsbilder machen.

Die kluge Uhr baut vor.

Besser vorbauen als vorgehen (lacht).

Machen Sie ein bisschen Werbung in eigener Sache: Was sind Ihre wichtigsten Eigenschaften?

Ich bin zuverlässig, immer da, strahle Ruhe aus. Tick. Tack. Nie zu schnell, nie zu langsam. Tick. Tack. Ich laufe wie ein Hamburger Uhrwerk.

Fällt es Ihnen manchmal schwer, den Rhythmus zu halten?

Klar. Zum Beispiel beim Elfmeter gegen den FSV Mainz 05 im März.

Den Filip Kostic verschoss. Das Spiel endete 0:0. Die Chance, den Abstand auf den Relegationsrang auf vier Punkte zu verkürzen, war vertan.

Das ging mir richtig auf den Zeiger. Da musste ich mich beherrschen und Profi sein. Geht ja nicht, dass sich die Zeit der Bundesligazugehörigkeit auf einen Schlag auf 70 Jahre verlängert, weil ich zu hohen Puls habe. Sonst schaut hier noch der rosarote Panther vorbei und fragt: „Wer hat an der Uhr gedreht?“ Soll ich es vorsingen?

Die Botschaft ist auch so angekommen. In welche Richtung würde es für Sie beruflich gehen?

Ach, da lasse ich mir alle Zeit der Welt. Erst einmal würde ich mir ein paar ruhige Monate machen. Einfach in den Tag hinein ticken. Meine Bundesligajahre schmücken den Lebenslauf. Da wird es sicher heißen: „Oooooh, die HSV-Uhr, welch Ehre“. Ich bin für vieles offen. Vielleicht engagiere ich mich auch nebenbei ehrenamtlich bei einem Amateurklub in Hamburg und zeige die Zahl der verkauften Biere und Bratwürste während des Spiels an. Nur Badezimmeruhr muss nicht sein. Das ist mir zu nass. Da wäre ich ständig beschlagen.

Nässe sind Sie doch durch das Hamburger Wetter gewöhnt.

Hier hänge ich allerdings schön geschützt zwischen Ober- und Unterring rum. Vielleicht lasse ich mich auch umschulen. Hauptsache, ich kann gepflegt abhängen. Besonders mobil bin ich nämlich nicht.

Welche Sparte haben Sie auf der Uhr?

Sonnenuhr könnte ich mir gut vorstellen. Klingt entspannt und es ist schön warm.

Dann hängen Sie aber nicht mehr so in der Öffentlichkeit.

Ich will gar nicht wissen, wie viele Fotos von mir schon gemacht wurden. Das ist auch anstrengend. Schließlich will man sich immer von seiner besten Seite zeigen. Sie haben ja in Berlin auch eine bekannte Uhr auf diesem Platz. Na, wie heißt er noch...

Alexanderplatz.

Genau. Alexander, so wie unser früherer Ersatztorwart Bade. Zwei Jahre im Verein, von 1998 bis 2000.

Sie kennen sich aus.

Das war Einstellungskriterium. Zurück zum Alexanderplatz. Ich meine die Weltzeituhr. So etwas wäre interessant. Andere Zeitzonen. Ich bewundere, wie die Armbanduhren das machen. Fliegen irgendwo hin und plötzlich ist es da fünf Stunden früher oder acht Stunden später als hier. Wäre nichts für mich, zu viel Stress. Aber ich muss den Kollegen vom Alexanderplatz mal fragen, wie lange er noch berufstätig ist. Erst einmal muss ich Sie jedoch bitten, zum Ende zu kommen. Sie haben schon recht viel Zeit von meiner Uhr genommen und ich esse zeitig.

Letzte Frage: Was passiert am 12. Mai, dem letzten Bundesliga-Spieltag, etwa um 17.19 Uhr?

Etwa? Mit dem Wort kann ich nun gar nichts anfangen. In meinem Metier geht es konkret zu. Auf die Sekunde. Da halte ich es wie mein alter Kumpel, die Atomuhr in Braunschweig: Bloß nicht falsch gehen, das ist schlecht für den Ruf. Jetzt muss ich dann auch. Auf Wiederhören. (beginnt zu singen) „Wer wird Deutscher Meister? H-H-H-HSV! Wer wird Deutscher Meister? H-H-H-HSV!“

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