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Der ehemalige Torjäger Bruno Labbadia bei seiner ersten Einheit als Hertha-Trainer am Montag.

© imago images/Nordphoto

Ex-Profi Jens Hegeler im Interview: „Bruno Labbadia wird immer noch unterschätzt“

Jens Hegeler über den neuen Trainer von Hertha BSC, seine Stärken und die gemeinsame Zeit in Leverkusen.

Herr Hegeler, im April 2015 saßen wir für ein Interview zusammen. Nach dem Gespräch haben Sie erfahren, dass Bruno Labbadia neuer Trainer beim damaligen Tabellenletzten Hamburger SV wird. Ihre spontane Reaktion war: „Jetzt schafft der HSV es doch noch.“ Erinnern Sie sich noch daran?

Ich versuche gerade, mir die Situation vor Augen zu rufen. Auf Anhieb erinnere ich mich nicht. Aber ich kann mir zumindest vorstellen, dass ich das so gesagt habe.

Wieso?

Weil es auf jeden Fall meine Überzeugung widergespiegelt hätte. Es ist zwar schon zehn Jahre her, und ich habe auch nur sechs Monate mit Bruno Labbadia zusammengearbeitet. Aber in dieser Zeit waren wir mit Bayer Leverkusen relativ erfolgreich. Er hat die Mannschaft übernommen, nachdem wir am letzten Spieltag der Vorsaison noch aus den Europapokalplätzen gefallen waren. Und nach der Hinrunde, als ich an den FC Augsburg ausgeliehen wurde, lagen wir nur drei Punkte hinter dem Tabellenführer.

Wie hat Labbadia das gemacht?

Er hat es in kurzer Zeit geschafft, die Gruppe auf ein gemeinsames Ziel einzuschwören, unheimlich viel Energie in die Mannschaft gebracht. Er war gewissenhaft, diszipliniert und hat sich viele Gedanken gemacht. Dadurch wirkte er einfach authentisch und glaubwürdig. Für mich waren die sechs Monate mit ihm sehr positiv. Ich hatte das Gefühl, dass ich mich unter ihm sehr gut entwickeln kann.

Dabei sind Sie nur zu zwei Kurzeinsätzen in der Bundesliga und einem im Pokal gekommen.

Trotzdem war es eine gute Zeit und Labbadia ein wichtiger Trainer für meine Karriere. Er war topprofessionell, hatte eine gute Einstellung zum Job und hat auch viel gefordert. Das fand ich mit 21 schon hilfreich. Wir hatten damals im Mittelfeld Leute wie Arturo Vidal oder Simon Rolfes, die einfach auf einem anderen Level gespielt haben als ich. Deshalb habe ich es Labbadia auch nicht übelgenommen, dass er mich nicht häufiger eingesetzt hat.

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Bayer hatte damals eine sehr junge Mannschaft. War es Labbadia besonders wichtig, diese jungen Spieler voranzubringen?

Ich hatte zumindest nicht das Gefühl, dass ich unwichtig für ihn war und komplett unfair behandelt worden wäre. Sonst würde ich ja auch nicht glauben, dass Labbadia wichtig für mich war. Ich fand es zum Beispiel sehr lehrreich, dass im Training sehr viel Zug drin war. Für Spieler aus der zweiten Reihe wie mich war das wichtig. Außerdem muss man es erst einmal hinbekommen, dass selbst ein Spieler, der wenig spielt, nicht das Gefühl hat, komplett irrelevant zu sein für den mannschaftlichen Erfolg. Ich habe mich zumindest mitgenommen gefühlt. Was Bruno Labbadia über mich gedacht hat, weiß ich natürlich nicht (lacht).

Er selbst hat über sein Jahr in Leverkusen gesagt, da habe er zu schnell zu viel gewollt. Deckt sich das mit Ihrer Erinnerung?

Das glaube ich schon. Wobei man auch sagen muss, dass ich nur die gute Zeit erlebt habe. Als ich in der Winterpause ausgeliehen wurde, waren wir oben dabei. Danach ist es etwas runtergegangen.

Es lag an Ihrem Wechsel.

Genau, daran lag’s (lacht). Nein, Quatsch! Ich glaube, ich habe in der Hinrunde insgesamt zehn Minuten gespielt. Daran lag es sicher nicht. Aber es ist interessant, wenn er es in der Rückschau so sieht, dass er den absoluten Erfolg einen Tick zu schnell haben wollte. Das kann ich mir schon vorstellen. Wobei es natürlich auch verlockend ist: Wenn du im Winter so weit oben stehst, fühlt es sich vielleicht so an, dass der Erfolg zum Greifen nah ist. Ich habe es als junger Spieler nicht so extrem empfunden. Aber ich habe auch nicht jeden Samstag gespielt und wollte unter der Woche mal einen Tag zusätzlich frei haben. Ich konnte gar nicht genug trainieren und war froh, einen Trainer zu haben, der dir noch mal was zeigt und noch mehr von dir fordert – weil ich damals noch jung und wissbegierig war.

Haben Sie das Gefühl, dass Labbadia immer noch ein bisschen unterschätzt wird?

Ja, das glaube ich schon. Die öffentliche Wahrnehmung ist immer noch so: Er kann eine Mannschaft retten, aber mehr vielleicht auch nicht. Dabei gibt es in der Bundesliga wenige Trainer, die so oft gezeigt haben, dass sie eine Mannschaft so erfolgreich führen können wie Bruno Labbadia. Zuletzt wieder in Wolfsburg. Den Verein innerhalb eines Jahres aus der Relegation in die Europa League zu bringen, das ist schon eine Leistung. Sein Ruf wird ihm nicht gerecht. Ich bin davon überzeugt, dass Bruno Labbadia gute Arbeit leistet – und wahrscheinlich auch bei Hertha leisten wird.

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Haben Sie Hertha schon zu seiner Verpflichtung gratuliert?

Bisher nicht – aber nur, weil ich noch mit niemandem von Hertha gesprochen habe. Ich könnte ihnen gratulieren, weil ich seine Verpflichtung für eine gute Entscheidung halte. Ich glaube, dass Labbadia Hertha helfen wird und dass er ein guter Trainer für Hertha sein kann.

Haben Sie seinen Werdegang seit der gemeinsamen Zeit in Leverkusen intensiver verfolgt?

Das ist doch normal, wenn du dich mit Fußball beschäftigst. So, wie du deine früheren Vereine verfolgst, so schaust du auch, was die Trainer machen, mit denen du mal zusammengearbeitet hast. Wir haben uns immer mal wieder getroffen. Das ist im Fußball so. Es war auch immer sehr angenehm, wenn wir uns gesehen haben. Der Austausch mit ihm ist sehr positiv.

Was ist er für ein Typ?

Ich fand ihn immer sehr glaubwürdig. Zum einen, weil er als Spieler selbst vieles erlebt hat. Zum anderen, weil er alles, was er von den Spielern verlangt hat, auch vorgelebt hat; weil er eine gewisse Einstellung zu seinem Beruf hat, eine gewisse Sorgfalt bei allem, was er macht. Im Gesamtpaket fand ich das immer sehr überzeugend.

Jens Hegeler, 32, gab sein Profidebüt im Mai 2008 für Leverkusen. In der Folgesaison konnte er sich unter dem neuen Trainer Bruno Labbadia nicht durchsetzen und verließ Bayer im Winter Richtung Augsburg. Nach Stationen in Nürnberg und bei Hertha beendete er 2018 seine aktive Laufbahn bei Bristol City. Mit seinem früheren Kollegen Stefan Reinartz hat er das Analysemodell „Packing“ entwickelt.
Jens Hegeler, 32, gab sein Profidebüt im Mai 2008 für Leverkusen. In der Folgesaison konnte er sich unter dem neuen Trainer Bruno Labbadia nicht durchsetzen und verließ Bayer im Winter Richtung Augsburg. Nach Stationen in Nürnberg und bei Hertha beendete er 2018 seine aktive Laufbahn bei Bristol City. Mit seinem früheren Kollegen Stefan Reinartz hat er das Analysemodell „Packing“ entwickelt.

© imago/Philipp Szyza

Leverkusen war Labbadias erste Station in der Bundesliga, nachdem er zuvor bei Greuther Fürth in der Zweiten Liga gearbeitet hatte. Hat man das in irgendeiner Weise gemerkt?

Ich habe es nicht gemerkt. Aber es wäre es wahrscheinlich interessant, mal zu hören, wie es die etwas gestandeneren Spieler empfunden haben. Ich hatte nicht das Gefühl, dass es Labbadia an Autorität gefehlt hätte, nur weil er noch keinen großen Verein trainiert hat.

Seine Zeit in Leverkusen ist eher unerquicklich zu Ende gegangen. Auslöser war ein Interview, das am Tag des Pokalfinals gegen Werder Bremen erschienen ist. Auch wenn Sie zu diesem Zeitpunkt nicht mehr in Leverkusen gespielt haben: Wie haben Sie das wahrgenommen?

Ich habe das Interview damals gelesen. Ich bin auch in Berlin beim Spiel gewesen. Aber das ist lange her. Es scheint, als ob sich einiges aufgestaut hätte, was dann ausgebrochen ist. Aber auch in dieser Situation kann man sagen: Immerhin hat Bayer unter Labbadia das Pokalfinale erreicht. Das hat der Klub seitdem nicht mehr geschafft. Und ins Pokalfinale kommst du nicht, wenn dir deine Mannschaft nicht folgt.

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