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Lea Schüller (l) und Nicole Anyomi am Dienstag beim Training.

© dpa

Europameisterschaft in England: Das friedliche Familienfest zeugt von der Emanzipation des Frauenfußballs

Das Potenzial ist auch in Deutschland riesig. Aber die Vereine vermarkten den Frauenfußball noch immer zögerlich. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Jörg Leopold

Die Fußball-Europameisterschaft in England liefert schöne Bilder, von einem friedlichen Familienfest auf den Rängen und in den Gastgeberstädten drumherum. Es hat fast etwas von einer Theaterinszenierung oder von einem Konzert, zu dem die Massen pilgern, sich unterhalten lassen und dann mehr oder weniger zufrieden wieder von dannen ziehen. Es gibt keine wilden Horden von alkoholisierten Fans, für die Fußball mehr ist als nur ein Spiel.

Die großen Emotionen, das Ausgelassene, mitunter Mitreißende, dass dieser Sport bieten kann, lässt sich bei der EM der Frauen allerdings auch nicht feststellen. Vielleicht ist es aber auch genau das, was den Reiz ausmacht. Der Fußball wird auf das reduziert, was er ist: eine fabelhafte Nebensache, aber keine Angelegenheit von staatstragender Bedeutung.

Natürlich gibt ihn immer noch, diesen Reflex, Frauen- und Männerfußball unbedingt miteinander vergleichen zu wollen. Auch bei dieser EM der Fußballerinnen, die jetzt in ihre entscheidende Phase geht und bei der die deutsche Auswahl am Donnerstagabend im Viertelfinale auf Österreich trifft.

Die Frauen würden viel authentischer daherkommen, weniger foulen und seltener sterbende Schwäne spielen. Die Männer sollten sich daran mal ein Beispiel nehmen, heißt es auf der einen Seite. Auf der anderen wird gern gefrotzelt, weil das Spiel kein Tempo habe und zu fehlerbehaftet sei. Das sei doch die typisch männliche Sichtweise auf Frauenfußball, heißt es dann wieder.

Die Einschaltquoten stimmen auch in Deutschland

Trotzdem kommt der Frauenfußball dieses Sommers an, im Gastgeberland England sowieso. Aber durchaus auch in Deutschland, zumindest lassen die stattlichen Einschaltquoten diesen Schluss zu. Und bisher liefert das deutsche Team auch herausragende Argumente, dieses Turnier am heimischen Bildschirm mitzuverfolgen: Dynamisch, fast schon rasant war der erste Auftritt beim 4:0 gegen Dänemark. Der 2:0-Sieg gegen Spanien war eine kleine taktische Meisterleistung und gegen Finnland (3:0) zeigten die deutsche Fußballerinnen, wie stark sie in der Breite aufgestellt sind.

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Dabei galt Deutschland vor dem Tunier nicht als Topfavorit, so wie das in der Vergangenheit eigentlich immer der Fall gewesen war. Acht EM-Siegertrophäen bezeugen, dass die DFB-Frauen dieser Rolle oft gerecht geworden sind. In diesem Jahr ist die Situation grundlegend anders. Nach zuletzt eher durchwachsenen oder gar ganz verpassten großen Turnieren war nicht klar, wie gut der deutsche Frauenfußball im Jahr 2022 wirklich ist.

Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg war dennoch stets überzeugt, dass ihre Mannschaft sehr wohl ein Kandidat für den EM-Titel sei – einer von mehreren, denn die Zeiten, in denen die deutschen Fußballerinnen in Europa und weltweit dominierten, sind vorbei. Schlecht ist das nicht, auch nicht für Deutschland. Andere Länder haben aufgeholt. England, Frankreich oder Spanien, wo zuletzt 90000 Zuschauer und Zuschauerinnen zu den Spielen des FC Barcelona ins ehrwürdige Camp Nou pilgerten, zeigen, in welche Dimensionen der Frauenfußball vorgestoßen ist.

Wie dauerhaft die Euphorie ist, bleibt abzuwarten. Gleiches gilt für den deutschen Klubfußball und die Frage, ob diese Welle bis in die Niederungen der Bundesliga überschwappt. Denn dort herrscht oft Tristesse mit niedrigen vierstelligen Besucherzahlen – wenn überhaupt. Dabei spielen die Stars des Nationalteams wie Alexandra Popp, Lina Magull oder Lea Schüller allesamt in Deutschland, sie stehen bei großen Vereinen wie dem VfL Wolfsburg oder Bayern München unter Vertrag. Die Klubs haben das Potenzial ihrer Frauenteams erkannt, aber sie trauen sich noch nicht so recht, es auszuschöpfen.

Eine weiterhin erfolgreiche Europameisterschaft könnte dazu beitragen, dass der Frauenfußball sich weiter emanzipiert, sein Profil schärft und seine ganz eigene Faszination leben kann. So wie das aktuell in England der Fall ist. Und ganz ohne Vergleiche.

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