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Noch einmal groß fühlen. Aus diesem Traum wurde nichts für Portugals Anhänger.

© PATRICIA DE MELO MOREIRA/AFP

Europameister nach WM-Aus: Die Portugiesen können Cristiano Ronaldo noch nicht loslassen

Die Portugiesen ertragen das WM-Aus ihrer Nationalelf mit ihrer ganz eigenen Melancholie. Und hoffen weiter auf ihren berühmtesten Bürger seit Vasco da Gama.

Als alles vorbei und der Europameister geschlagen ist, ziehen plötzlich dunkle Wolken über Lissabon auf und vom Atlantik her fegt ein kalter Wind in die Stadt. Es passt zu der Stimmung beim größten Public Viewing Portugals auf dem Praça do Comercio, dem alten Handelsplatz der Hauptstadt direkt am Tejo-Fluss.

2016 hatten sich Zehntausende Portugiesen hier versammelt, um ausgelassen den EM-Titel zu feiern. Zwei Jahre später sind wieder Tausende Menschen auf die Fanmeile in Lissabon geströmt, dekoriert in Rot und Grün. Doch während der 1:2-Niederlage gegen Uruguay herrscht oft gespenstische Stille. Nach dem zwischenzeitlichen Ausgleich kommt kurzzeitig lautstarke Hoffnung auf, die nach der erneuten Führung der Südamerikaner gleich verfliegt. Wieder Stille. Auch die vereinzelten „Puurrtuuugalll“-Rufe helfen am Ende nicht.

Die Portugiesen ertragen das WM-Aus im Achtelfinale schließlich mit der ihnen ganz eigenen Melancholie. Während man auf dem Tejo Schiffen winken könnte, starren sie sprachlos auf die Videoleinwand davor. Die Portugal-Plastikfähnchen, die ein Sponsor verteilt hat, liegen zerknüllt auf dem Boden. Einige umschlungene Pärchen trocknen sich gegenseitig die Tränen. In Ronaldos CR7-Bar, gleich um die Ecke, interviewen Fernsehteams den einzigen Uruguay-Fan. Der Fanmeilen-DJ legt nach Abpfiff Partymusik auf, aber die Menschen fliehen vor Wolken, Wind und Wehmut. Und auch der „Visit Portugal“-Werbespot, der noch über die Leinwand flimmert, kann bei den Einheimischen keinen Stolz mehr auf die Schönheit ihres kleinen Landes auslösen.

CR7 + 10 Andere

Die Portugiesen wollten sich noch einmal groß fühlen. „Es ist Zeit, wieder Giganten zu werden“, hatte die Sportzeitung „A Bola“ vor dem Spiel getitelt, mit einem breitbeinigen Cristiano Ronaldo auf dem Cover. Aber auch der Nationalheld „Krischtianu“, wie ihn die Menschen hier anbetend rufen, kann Uruguay nicht im Alleingang besiegen. Seine stärkste Szene im Spiel hat der portugiesische Kapitän noch, als er den humpelnden Doppeltorschützen Edinson Cavani stützt und vom Spielfeld geleitet.

Was bleibt sonst noch von einem Nationalteam, das nach der Formel „CR7 + 10 Andere“ funktioniert hatte? Beim furiosen 3:3 zum Auftakt gegen Spanien hatten sich die Fans auf dem Praça do Comercio noch mit ihren 1-Liter-Bierflaschen zugeprostet und den Dreifach-Torschützen „Rrruuunalduuu“ gefeiert. „Göttlich“, nannte die Zeitung „Record“ ihn.

Aber spätestens nach der Gruppenphase wird es ganz menschlich: Cristiano Ronaldo kann keine WM-Tore in K.o.-Spielen und scheitert daher, nachdem er es 2006 mit Figo und Deco ins Halbfinale geschafft hatte, als Alleinunterhalter bei Weltturnieren spätestens im Achtelfinale. Nach dem Spiel ließ der 33-Jährige offen, ob er im Nationalteam weiterspielen wolle. Sein Trainer Fernando Santos bekniete ihn fast. „Er hat noch viel zu geben“, sagte er über seinen Star von Real Madrid. „Im September beginnt mit der Nations League ein neuer Wettbewerb, wir wollen, dass der Kapitän den jungen Spielern hilft, zu wachsen. Er hat in solchen Stunden immer ja gesagt.“ Wird Cristiano es noch einmal tun? Oder wird er wie Lionel Messi als ewig Unvollendeter in die WM-Geschichte eingehen? Im Nachhinein wirkt ihr Wettstreit mit Ziegenfotos, -torjubeln und -bärtchen, wer nun der GOAT (Greatest Of All Time) sei, etwas albern.

Ronaldo ist Portugals bekanntester Bürger seit Vasco da Gama

Aber vielleicht braucht Portugal seinen bekanntesten Bürger seit Entdecker Vasco da Gama noch, auch angesichts des unfertigen Nachwuchses. Für das eigene Selbstbewusstsein. In Portugal kann es im Restaurant vorkommen, dass der Tischnachbar plötzlich laut sagt: „Wissen Sie, warum Ronaldo besser ist als Messi? Er kann köpfen“. Und dann stumm weiter isst.

Als Portugal noch eine große Seefahrernation war, ließ der König am Praça do Comercio, wo die Schiffe aus fernen Ländern anlegten, Nashörner gegen Elefanten kämpfen. Einfach weil man es konnte.

Ronaldo mag keine Ziege sein, aber für Portugal ist er Nashorn und Elefant in einem.

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