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Sima Djabar Zadegan (28) ist Nahost-Wissenschaftlerin und stammt aus einer iranisch-schweizerischen Familie.

© Thilo Rückeis

Europa - mein scHmERZ: Die EU ist eine der besten Ideen für Europa

Nochmal Abitur machen, um in einem Nachbarland zu studieren? Heiraten, damit man in einer anderen EU-Stadt arbeiten darf? Nein, danke, sagt Sima Djabar Zadegan, Wissenschaftlerin aus der Schweiz.

Ein Abend bei Freunden. Auf dem Tisch fällt mir eine Zeitschrift auf: schöne Typo, ästhetisches Layout, wohlklingende Übertitel. Ich beginne interessiert darin zu blättern. Im Begrüßungswort schreibt der Herausgeber über einen wachsenden Meinungskonformismus in den Medien, dem er entgegentreten wolle. Hier ein Zitat von Walter Benjamin, dann kritisiert er die angeblich selbstzerstörerische Toleranz der Europäischen Union, da noch ein Zitat von Michel Foucault und schon beschwört er den Untergang Europas in den Fluten muslimischer Einwanderer. Ein fragender Blick zur Studienkollegin. „Es ist doch okay, kritisch gegenüber der EU zu sein“, sagt sie knapp.

Weil wir uns in einer Küche in der Schweiz befinden, ist das Thema damit vom Tisch. Jeder darf seine Meinung haben und jeder darf, ja soll sie auch für sich behalten – insbesondere wenn es um die EU geht. Eidgenössisches Schweigen legt sich um dieses Thema.

Aus Sicht vieler Schweizer ist die EU nicht sehr sexy

Wer sich in der Schweiz laut Gedanken über Europa macht, dem ergeht es ähnlich wie Uwe Ochsenknecht in der Appenzeller-Fernsehwerbung. Da sitzt er in den Alpen zwischen zwei Sennern und fragt nach ihrem Käserezept. Zwei Blicke, der Rest ist Schweigen. Und vielleicht haben meine Genossen ja recht: Wieso sich über die EU streiten, wenn man den Schweizer Käse und Ochsenknecht haben kann?

Schließlich sind wir Schweizer doch nur Zaungäste. Wir befinden uns mitten im Kontinent Europa, aber außerhalb der EU. Wir haben zwar einige bilaterale Abkommen mit den EU-Nachbarn, die uns ein spaßiges Erasmus-Jahr in Paris, Berlin oder Stockholm ermöglichen. Doch das hindert uns nicht daran, im Zweifelsfall einen Volksentscheid gegen alle Uwe Ochsenknechte zu starten, wenn wir das für nötig empfinden. Ätsch, Europa!

Aus Schweizer Sicht ist die EU gerade nicht sehr sexy. Die Lage war schon vielversprechender. Heute zanken sich die Mitgliedsländer um die Verteilung von Flüchtlingen, einige stehen kurz vor dem Bankrott, andere verabschieden sich aus der EU. Rechtspopulisten sind auf dem Vormarsch. Und überhaupt: Der Euro hat die hässlichsten Scheine auf dem ganzen Kontinent. Es gäbe vieles zu verbessern.

Die Angebote von Eurokritikern klingen nach unangebrachter Nostalgie

An jenem Abend in der Küche hätte ich aber vor allem gerne geantwortet: Ja, es ist okay, kritisch gegenüber der EU zu sein. Aber wer diffuse Untergangsszenarien verbreitet und Kleinstaaterei verklärt, kritisiert nicht die EU, sondern lehnt sie ab. Wie viel man da noch diskutieren kann, ist fraglich. Gleichzeitig verfallen selbst smarte Kritiker in ein pessimistisches Mantra, das kaum konstruktiv sein kann. Dabei braucht es Kritik. Weil ohne sie geht es nicht voran.

Denn was wäre eine attraktivere Alternative, gerade für meine Generation? Die Angebote vermeintlicher Eurokritiker klingen nach: „Früher war alles besser.“ Ich habe dieses „früher“ nicht erlebt. Was ich aber davon weiß, lässt es mich nicht zurückwünschen. Eine klassische Grenze? Ein zweites Mal Abitur machen, um in einem Nachbarland zu studieren? Heiraten, nur damit ich in einer anderen EU-Stadt arbeiten darf? Nein, danke. Ich will mein Schengen behalten.

Das alles hätte ich in der Küche gesagt, wenn ich nicht reflexartig geschwiegen hätte. Es ist an der Zeit, damit zu brechen. Als Schweizerin bekenne ich mich offen: Die EU ist eine der besten Ideen für Europa, die Schweiz sollte beitreten! Vielfalt und Zusammenwachsen sind schon längst Realität, also lasst uns dafür sorgen, dass es gut wird. Wer zweifelt, kann sich selbst davon in den 26 Kantonen mit vier Landessprachen und Mentalitäten überzeugen. Dieses Geheimnis gebe ich gerne preis.

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