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Derbyzeit. Bakery Jatta und der HSV empfangen am Samstag, 13 Uhr den FC St. Pauli zum Hamburger Stadtduell.

© Daniel Bockwoldt/dpa

Erst Stadtderby, dann Bürgerschaftswahl: Fegebank tippt auf St. Pauli, Tschentscher fiebert mit dem HSV

Einen Tag vor der Wahl will der Hamburger SV mit einem Derbysieg dem Aufstieg näher kommen – und nebenbei den Bürgermeister glücklich machen.

Von David Joram

Der Hamburger Verkehrsverbund ist durchaus stolz auf seine Vereine. Darum fahren durch die noble Hansestadt auch S-Bahnen, die stolze Botschaften transportieren. „Hamburg ist wieder erstklassig!“ steht in weißen Lettern auf etlichen roten HVV-Zügen. Ein bisschen verdutzt lässt manche Sportfans das zurück, bis ihnen einfällt, dass es ja die Hamburg Towers gibt, den Basketballklub, der 2019 in die Bundesliga aufgestiegen ist. Nur sind die Towers, bei aller Liebe, eben die Towers, klein, fein und Tabellenvorletzter, also nicht zwingend die Sorte Erstligist, die eine Millionenstadt repräsentieren könnte.

„Erstliga-Fußball ist für Hamburg von größter Bedeutung“

Groß, manchmal grob und stets aufrührend sind die Hamburger Fußballklubs, jeder auf seine Art. Doch wenn an diesem Samstag der weltbekannte Hamburger SV den ebenfalls weltbekannten FC St. Pauli im Volksparkstadion empfängt, handelt es sich eben um keine erstklassige Veranstaltung (mehr).

Speziell seit der HSV, immerhin sechsmal Deutscher Meister, 2018 in die Zweite Liga abgestiegen ist, gilt Hamburg als Zweitliga-Hauptstadt – trotz der Towers. An Menschen wie Peter Tschentscher nagt dieser traurige Zustand. „Erstliga-Fußball ist für die Sportstadt Hamburg und für Hunderttausende Fans von größter Bedeutung“, sagt der Erste Bürgermeister der Elbmetropole.

Sogar einen Masterplan, der sich „Active City“ nennt, hat der Hamburger Senat aufgesetzt, um der Sportstadt Inhalt zu verleihen. Bis ins Jahr 2024 reichen die Planungen, es geht um Investitionen in den Breitensport, um Großveranstaltungen, die nach Hamburg geholt werden sollen, um den Anspruch, Modellmetropole auch im Sport zu sein. Und es geht ums Geld.

Laut einer Studie des Hamburgischen Weltwirtschaftsinstituts (HWWI) vom Januar beträgt der Wirtschaftsfaktor der sportlichen Aktivitäten in Hamburg etwa 1,1 Milliarden Euro jährlich. Über 110 Millionen Euro Steuereinnahmen würde der Sport in die Stadtkassen treiben, hat das HWWI errechnet.

Grüne gegen Rote. Katharina Fegebank (Bündnis 90/Die Grünen), Hamburgs Zweite Bürgermeisterin, will bei den Bürgerschaftswahlen am Sonntag den Ersten Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) ablösen.
Grüne gegen Rote. Katharina Fegebank (Bündnis 90/Die Grünen), Hamburgs Zweite Bürgermeisterin, will bei den Bürgerschaftswahlen am Sonntag den Ersten Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) ablösen.

© Christian Charisius/dpa

Aber trockene Zahlen sind das eine, emotionale Botschafter das andere. Gerne würden sie in Hamburg wieder die Bayern und Dortmund begrüßen – statt Sandhausen und Heidenheim. Das ist der Anspruch, den vor allem der HSV an sich stellt, stellen muss.

Im Stadtderby erwarten die Fans daher ein Statement, Kapitän Aaron Hunt kündigte in Anlehnung an die 0:2-Hinspielniederlage via „Bild“ bereits an: „Wir wollen diese Pleite in unserem Stadion wieder geradebiegen. Und ich kann versichern: Wir werden alles geben.“

Solche Worte hört auch Peter Tschentscher gerne. Der Erste Bürgermeister ist, obwohl in Bremen geboren, Anhänger des HSV. „Ich werde immer gefragt: HSV oder St. Pauli“, erzählte Tschentscher auf der Mitgliederversammlung des HSV im Januar, zu der ihn die Vereinsführung eingeladen hatte. „Eine echte Fangfrage für einen Bürgermeister. Da sage ich dann immer: Ich bin gern im Volksparkstadion“, sagte er.

Vor dem Derby wollte er sich so offensiv nicht äußern und erst recht keinen Tipp abgeben. Sein Wunsch: „Dass das Spiel fair verläuft, das bessere Team gewinnt und alles friedlich bleibt“, lässt er sich auf Tagesspiegel-Anfrage zitieren. Was Bürgermeister halt so sagen dürfen – gerade in Wahlkampfzeiten.

In den Umfragen führt Tschentscher klar

Am Sonntag, einen Tag nach dem Derby, entscheiden die Hamburgerinnen und Hamburger, ob Tschentscher Bürgermeister bleiben darf. Der Regierende will die Wahl gegen die Kandidatin der Grünen, Katharina Fegebank, gewinnen.

„Vom Temperament her kann man sich unter Katharina Fegebank eine jüngere Claudia Roth vorstellen. Weniger schrill, aber zupackend“, schrieb die „Süddeutsche Zeitung“ über die Grüne. Die letzten Umfragen sprachen aber deutlich für den Amtsinhaber – 39 Prozent für die SPD, 24 Prozent für die Grünen prognostizierte das ZDF-Politbarometer, weshalb Tschentscher am Samstag im Stadion wohl keine Wahlwerbung mehr betreiben muss.

Wie wichtig ihm der mit knapp 90.000 Mitgliedern größte Verein der Stadt ist, hat Tschentscher bereits im Januar deutlich gemacht. „Alles, auch wie die Fans sich verhalten, fällt auf uns als Stadt Hamburg zurück. Alles, was der HSV macht, ist ein Markenzeichen für Hamburg“, sagte er bei der Mitgliederversammlung und verknüpfte seine Rede mit einem vielfach geteilten Wunsch der Anhängerschaft: „Ich hoffe, wir sehen uns alle zur Aufstiegsfeier wieder.“ Damit Verein und Stadt mal wieder glänzen können.

In den vergangenen Jahren präsentierte sich der HSV als ziemlich schlechter Markenbotschafter. In den Führungsgremien tobten Macht- und Ränkespielchen, oft begleitetet von launigen Kommentaren des Investors Klaus-Michael Kühne, der erst vor einem Monat sein Engagement beim Zweitligisten als „sehr trauriges Kapitel“ bezeichnete.

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Und sportlich verfehlte der Klub zuletzt alle Ziele. Die seit Jahrzehnten praktizierte Hire-&-fire-Politik sorgte dafür, dass in den vergangenen beiden Jahren vier Trainer Abstieg und Nichtaufstieg verantworten durften.

Inzwischen kennt der saisonale Hamburger Fußballkalender noch genau zwei Höhepunkte: St. Pauli gegen den HSV und HSV gegen St. Pauli. Eine weitere Schmach, wie beim 0:2 im Hinspiel, würde dem HSV unruhige Wochen bescheren – zumal die Mannschaft von Trainer Dieter Hecking im Rückspiel klarer Favorit ist.

St. Pauli kämpft gegen den tiefen Fall in die Dritte Liga

Als Tabellenzweiter geht Heckings Elf ins Stadtduell, während St. Pauli als Tabellen-14. gegen den tiefen Fall in die Dritte Liga kämpft. Lediglich zwei Punkte trennen die Kiezkicker von einem Abstiegsplatz – und deprimierende 18 vom Stadtrivalen.

Die Erwartungshaltung der Pauli-Fans hält sich daher in engen Grenzen. „Ich tippe auf ein 1:1, wir brauchen mindestens einen Punkt, besser drei. Aber da ist der Wunsch wohl Vater des Gedankens“, sagt Stephan Delius.

Derbytrainer. Dieter Hecking (l., HSV) und St. Paulis Jos Luhukay bereiten ihre Teams auf ein intensives Spiel vor.
Derbytrainer. Dieter Hecking (l., HSV) und St. Paulis Jos Luhukay bereiten ihre Teams auf ein intensives Spiel vor.

© Daniel Bockwoldt/Christian Charisius/dpa

Er betreibt die populäre St.-Pauli-Fankneipe „Jolly Roger“ in unmittelbarer Nähe des Millerntorstadions und hat fürs Derby 150 Kisten Bier eingeplant. Am Samstag erwartet er nochmal eine Nachlieferung, sonst aber ein eher überschaubares Erlebnis. „Das Derby ist ein bisschen Alltag geworden, es ist nicht mehr ganz so prickelnd wie noch vor zwei Jahren“, sagt Delius.

Er selbst hat, wie so viele St. Paulianer, die Farben in den 1990er Jahren getauscht. Es war die Zeit, in der der Volkspark viele rechte Gruppen anzog und als ziemlich biederer Fußballstandort galt. „Das war früher grauenhaft, hat sich aber glücklicherweise gebessert. Der HSV ist nicht mehr so wie früher. Da gibt es keine organisierten Nazis mehr im Block“, sagt Delius.

Fans beider Seiten solidarisierten sich mit Bakary Jatta

Vielleicht hat auch der Fall Bakary Jatta dazu beigetragen, dass HSVer und Paulianer inzwischen ein entspannteres Verhältnis pflegen können. Als eine Boulevardzeitung im vergangenen September Zweifel an der Identität des gambischen HSV-Profis streute, solidarisierten sich auch Anhänger des FC St. Pauli mit dem Spieler.

Pyro-Volkspark. Beim letzten Gastspiel im September 2018 im Stadtteil Stellingen zündelten die Pauli-Anhänger kräftig.
Pyro-Volkspark. Beim letzten Gastspiel im September 2018 im Stadtteil Stellingen zündelten die Pauli-Anhänger kräftig.

© Axel Heimken/dpa

Anhänger wie Delius, die schon etwas länger dabei sind, sehen die Fußballfeindschaft deshalb gelassener, ein bisschen jedenfalls: „Ich glaube, die Hälfte aller Pauli-Fans findet den HSV richtig scheiße, der anderen Hälfte ist er gleichgültig.“

Eine innig gelebte Abneigung herrscht nach wie vor zwischen den Ultragruppen, weil sich das aus deren Verständnis heraus eben so auch gehört. Rund 1500 Polizisten sollen rund um das Derby für Ruhe sorgen, am Dienstag fand eine Sicherheitsbesprechung zwischen den Klubs, Polizei, Feuerwehr und der HVV statt.

Zwischen den Fachbereichen gebe es sowieso einen permanenten Austausch, teilte die Pressestelle des HSV mit. 800 Ordner – üblich sind 600 – stellt der Gastgeber fürs Derby ab, für das die höchste Sicherheitsstufe gilt.

Kampf ist Trumpf. Das Derby-Hinspiel verloren Torwart Daniel Heuer Fernandes und der HSV beim FC St. Pauli 0:2.
Kampf ist Trumpf. Das Derby-Hinspiel verloren Torwart Daniel Heuer Fernandes und der HSV beim FC St. Pauli 0:2.

© Daniel Bockwoldt/dpa

Neben den üblichen Schmähungen – „Aufstieg verhageln, Kühne nageln“, plakatierten die Pauli-Fans im letzten Heimspiel – fürchten die Verantwortlichen vor allem einen hohen Pyrotechnik-Verbrauch. „Ich kann mir nicht vorstellen, dass ein Derby gänzlich ohne alles auskommen wird. Dafür ist es zu emotional, das gehört dann auch zum Fußball dazu. Sollte es zu Strafen kommen, ja, dann müssen wir sie wahrscheinlich tragen, so ungern wir das tun“, sagte St. Paulis Präsident Oke Göttlich dem NDR.

Wenn Göttlich und sein Team am Samstag im „Stadion an der Müllverbrennungsanlage“ (Paulis Ex-Präsident Reenald Koch) gastieren, darf er zwar nicht auf die Unterstützung von SPD-Kandidat Peter Tschentscher zählen, wohl aber auf Katharina Fegebank.

Die Grüne hat lange in der Nähe des Millerntorstadions gewohnt, „deshalb drücke ich den Kiezkickern die Daumen“, sagt sie und setzt auf einen 2:1-Sieg für St. Pauli. Im Stadion wird Fegebank, anders als Tschentscher, aber nicht sein. Warum auch? Ihr Lieblingsverein spielt ja in der Ersten Liga – und heißt Werder Bremen.

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